Priester Hanjo Sauer arbeitet als Seelsorger auf Kreuzfahrtschiffen

"Die, die reden, sind nicht dieselben, die über Bord springen"

Veröffentlicht am 01.03.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Hans-Joseph Sauer ist Bordseelsorger. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz reist der katholische Priester auf Kreuzfahrtschiffen rund um die Welt. Die Kreuzfahrtgesellschaft stellt Kabine und Essen, Sauer begleitet Gäste und Crew seelsorglich. Worauf es dabei ankommt, erzählt er im Interview.

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Der Priester und emeritierte Theologieprofessor Hanjo Sauer ist gerne mit dem Schiff unterwegs. Das macht der Seelsorger sogar aus beruflichen Gründen. Warum für ihn die Bordseelsorge unverzichtbar ist, erklärt er im Interview.

Frage: Herr Sauer, wann war ihre letzte Reise?

Sauer: Meine letzte Reise war die Weihnachtsreise mit der MS "Artania" von Genua nach Mexiko. Wir waren fast vier Wochen auf dem Atlantik und im Golf von Mexiko unterwegs, mit vielen Landgängen. 

Frage: Haben Sie kein schlechtes Gewissen, als Geistlicher so viel Luxus zu genießen?

Sauer: Der Schein trügt: Es ist keine Gesellschaft der Reichen! Für nicht wenige Gäste ist dieser Luxus der Kreuzfahrt der einzige, den sie sich in ihrem Leben noch leisten und manche haben lange dafür gespart. Wenn ich mitfahre, dann stelle ich mich ganz auf die Situation einer Kreuzfahrt ein. Dazu gehören eben auch die Annehmlichkeiten. Meine Reise wird von der Schifffahrtsgesellschaft bezahlt, genauso wie die der Künstler, die für Unterhaltung sorgen. Ich habe deshalb kein schlechtes Gewissen. Wenn ich meine Aufgabe mit den sonstigen Angeboten auf dem Schiff vergleiche, dann brauche ich mich mit dem, was ich leiste, nicht zu verstecken. Ich bekomme außerdem keine Gage wie die anderen Künstler.

Frage: Lohnt sich Seelsorge auf einem Kreuzfahrtschiff überhaupt?

Sauer: Leben und Sterben liegen auf dem Schiff ganz dicht beieinander. Ich erinnere mich an eine meiner ersten Reisen in die Südsee. Die Geschichte eines Ehepaares ging mir damals sehr nahe. Die beiden wussten, dass es ihre letzte gemeinsame Reise wird. Die Frau lag auf der Krankenstation im Sterben. Ich habe sie regelmäßig besucht. Als sie gestorben war, wurde ihre Leiche bei einem Landgang diskret von Bord gebracht. Damals wurde mir bewusst, dass eine Schiffsreise wie das Leben selbst ist. Irgendwann endet diese Reise, schön, wenn man dann bewusst Abschied nehmen kann. Auf dem Schiff öffnen sich die Menschen sehr für religiöse Fragen, was sie zu Hause so nie täten. Gerade auf einem Kreuzfahrtschiff kommen die Passagiere rasch zur Ruhe und haben Zeit, über sich und ihr Leben nachzudenken. Als Seelsorger bin ich für sie da. Ich denke, wenn es diese Form der Seelsorge einmal nicht mehr gäbe, würden wir als Kirche damit eine große pastorale Chance verpassen.

Frage: Wo feiern Sie die Gottesdienste an Bord?

Sauer: Meistens können wir für die Messe eine schöne Lounge auf einem Deck ganz oben nutzen. Dort hat man einen herrlichen Rundblick. Wir stellen einen Altar auf, meist ein flexibler, klappbarer Holztisch, legen ein weißes Tischtuch darauf und ein paar flackernde Kunstlichtkerzen. Wir haben sogar ein eigenes Kreuz. Zur Grundausstattung eines Bordseelsorgers gehört auch der Messkoffer mit den liturgischen Geräten, die meist an Bord bleiben. Zum Singen haben wir etwa 50 Gotteslobbücher vorrätig. Ich achte auch immer darauf, dass ich genügend Hostien dabei habe. Ich lege große Sorgfalt darauf, dass keine konsekrierten Hostien am Schiff verbleiben, denn einen Tabernakel gibt es auf dem Schiff ja nicht. Immerhin haben wir auf dem Schiff einen Raum, den wir als Sakristei nutzen können. Wenn es dort ein verschließbares Regal gibt, freue ich mich darüber, denn manchmal finde ich die Messgewänder zerknittert in einer Ecke, weil irgendwer dachte, das seien Kostüme.

Bild: ©Foto: privat

Hans-Joseph Sauer (73) ist Bordseelsorger. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz reist der katholische Priester und emeritierte Theologieprofessor aus Bamberg mit Kreuzfahrtschiffen rund um die Welt. In 22 Jahren war er so schon auf 50 Kreuzfahrten unterwegs.

Frage: Wie viele Gäste besuchen den Gottesdienst auf einem Kreuzfahrtschiff?

Sauer: Etwa 30 bis 40 Personen kommen regelmäßig. Ich feiere aber auch Gottesdienste mit nur wenigen Teilnehmern. Beim Weihnachtsgottesdienst sind es bis zu 300 Leute, die mitfeiern. Bei den Morgenandachten kommt meist nur eine kleine Gruppe. Ich finde es aber schön, wenn ich dann die meisten mit Namen ansprechen kann.

Frage: Für welchen Bischof beten Sie im Hochgebet?

Sauer: Für alle. Ich spreche die Formel immer im Plural. Ich müsste jedes Mal während des Gottesdienstes auf der Brücke feststellen lassen, in wessen Gewässern das Schiff gerade unterwegs ist. Selbstverständlich wird Papst Franziskus als Bischof von Rom ausdrücklich genannt. 

Frage: Gibt es Trauungen an Bord?

Sauer: In der Regel nicht. Ich müsste zuerst einmal feststellen, welches Heimatbistum für das Paar zuständig ist. Denn ich benötige die Papiere aus dem jeweiligen Bistum und die Erlaubnis vom Ortsbischof und dann sollte ich auch noch feststellen, in welchem Gebiet die Trauung vollzogen wurde. Das wäre ein zu großer Aufwand. Außerdem sollte eine kirchliche Eheschließung nach Möglichkeit in der Heimatgemeinde stattfinden. Problemlos sind die Hochzeitsjubiläen, die wir regelmäßig an Bord feiern und für die die Gäste außerordentlich dankbar sind. 

Frage: Welche Sakramente spenden Sie sonst noch an Bord?

Sauer: Die Krankensalbung kommt manchmal vor, schließlich sind die meisten Gäste auf dem Schiff über 60 Jahre alt.

„Die Bar ist der beste Ort für gute Gespräche.“

—  Zitat: Hans-Joseph Sauer

Frage: Wie oft kommt es vor, dass ein Passagier an Bord stirbt?

Sauer: Verhältnismäßig häufig. Ich bekomme es nur nicht immer rechtzeitig mit. Daher halte ich immer guten Kontakt zum Bordarzt und zur Krankenstation, um frühzeitig informiert zu werden und um nachfragen zu können, ob eine geistliche Begleitung und eventuell eine Krankensalbung gewünscht wird. 

Frage: Nehmen Sie an Bord auch die Beichte ab?

Sauer: Es gibt viele Gespräche, die mit einer Beichte vergleichbar sind. Ich frage dann meist nach, ob die Person auch eine sakramentale Lossprechung haben möchte. Für die meisten ist das aber nicht wichtig. Solche quasi-sakramentalen Beichtgespräche führe ich meist im öffentlichen Bereich des Schiffes. Früher habe ich noch Sprechstunden an Bord angeboten. Aber es kam kaum jemand vorbei. Heute setze ich mich lieber an die Bar und die Leute kommen einfach dazu und schon sind wir mittendrin. Die Bar ist der beste Ort für gute Gespräche. Mit manchen Leuten mache ich auch konkrete Zeiten aus, wann wir uns ungestört unterhalten können. 

Frage: Der Künstler Daniel Küblböck ist während einer Kreuzfahrt von Bord gegangen und gilt seitdem als vermisst. Haben Sie so eine Situation auch schon einmal miterlebt?

Sauer: Nein. Die Details von Daniel Küblböck kenne ich nicht. Es gibt aber nicht wenige ähnliche Fälle, insbesondere auch im Bereich der Crew. Das meiste davon wird nicht bekannt. Das Schiffspersonal ist meist sehr aufmerksam und beobachtet genau, ob sich jemand zu lange an der Reling aufhält oder intensiv auf den Ozean schaut. Wenn man tagelang durch einsame Gebiete fährt und kein anderes Schiff sieht, kann es schon passieren, dass da einer auf dumme Gedanken kommt. Das kann durchaus gefährlich werden für jemanden, der depressiv ist oder in einer schwierigen Lebensphase steckt. Manche Passagiere erzählen mir, dass sich bei ihnen in solchen Momenten das Gefühl des Alleisseins verstärkt. Man spüre die Einsamkeit regelrecht bis in die Knochen. Wenn ich so etwas mitbekomme, spreche ich die Leute sofort an und frage, ob alles in Ordnung ist. Aber die, die reden, sind nicht dieselben, wie die, die über Bord springen.

Frage: Haben Sie Angst, dass die nächste Schiffsreise auch Ihre letzte sein könnte?

Sauer: Nein, ich fürchte mich nicht vor meiner letzten Schiffsfahrt. Ich lebe so, dass jede Stunde meine letzte sein könnte. Ich finde, man sollte sich sein Haus oder besser gesagt, seine Kabine, immer so einrichten, dass man sie jederzeit für immer verlassen könnte. Ich finde es unglaublich faszinierend auf einem Schiff Menschen und ihr Lebensschicksal kennen zu lernen. Viele Begegnungen an Bord eines Kreuzfahrtschiffes haben mich selbst sehr bereichert. Dafür bin ich dankbar. 

Von Madeleine Spendier