Seit 1.700 Jahren ein schwieriges Verhältnis

Der Kampf der Kirche mit der Sexualität

Veröffentlicht am 16.08.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Brixen ‐ Die Kirche gilt heute vielen als sex- und lustfeindlich. Tatsächlich hat sie den gegenseitigen Spaß am Körper lange abgelehnt. Obwohl sie im Laufe der Jahrhunderte ihre Lehre angepasst hat, wirken die Schatten der Vergangenheit immer noch nach.

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Die Bibel ist voller Erotik – doch mit dem Sex hatte die Kirche schon immer Probleme. Noch heute wird sie von Vielen als "Spaßbremse" wahrgenommen, die ihren Gläubigen die Freude im Bett nicht gönnt. Jüngst warf der schweizerische Theologe Alberto Bondolfi allen Religionen vor, Sexualität viel zu biologistisch zu sehen. Mit Blick auf die katholische Kirche ist der Vorwurf nicht ganz von der Hand zu weisen.

Weitreichenden Einfluss auf die Haltung der Kirche hatte der Heilige und Kirchenlehrer Augustinus von Hippo (354 – 430). Für ihn war Sexualität etwas Sündhaftes, dabei hatte er vor allem die sexuelle Lust im Blick. Diese Einstellung erklärt sich aus seinem Lebenslauf: Bevor Augustinus Christ wurde, hing er dem Manichäismus an. In dieser Religionsströmung wurde alles Körperliche verteufelt und Askese gepredigt. Der vergeistigte Mensch galt als Ideal. Diese Einstellung brachte Augustinus nach seiner Konversion in das Christentum ein. Er fand: Alles, was nicht der Vernunft gehorcht und sich ihr unterordnet, ist sündhaft. In seinen "Bekenntnissen" beschreibt er recht detailliert seine Erfahrung, dass sich Sexualität nicht der Vernunft unterordnet – denn bei ihr verliert der Mensch die Kontrolle über seine Körperfunktionen. Deswegen war sein Urteil klar: Sexuelle Lust ist Sünde.

Aus seiner Sicht hatte Sexualität nur in einer Hinsicht eine Berechtigung: Wenn es einem Ehepaar in diesem konkreten Moment um die Zeugung von Nachkommen ging. Sonst degradiere Man(n) die Ehefrau zur "Dirne".

Von Augustinus zu "Pillen-Paul"

Als ein großer und einflussreicher Theologe seiner Zeit verbreitete sich Augustinus‘ Lehre schnell. Trotzdem wurde sie nach und nach angepasst – man könnte auch sagen "aufgeweicht". So war Sex ab der Neuzeit auch in Ordnung, wenn man nicht unbedingt ein Kind zeugen wollte. Man durfte es nur nicht willentlich ausschließen. Diese Frage stellte sich wieder, als der Zyklus der Frau immer weiter untersucht wurde und bestimmt werden konnte, an welchen Tagen sie fruchtbar war und an welchen nicht. Was hieß das für die Sexuallehre? Nachdem mehrere Beichtpriester eine entsprechende Anfrage an den Vatikan geschickt hatten, entschied die Apostolische Pönitentiarie: Man sollte Ehepaare in dieser Frage nicht unnötig verunsichern. Papst Paul VI. ließ die "Kalendermethode" sogar als legitime Verhütung zu. Gleichzeitig verurteilte er jedoch die damals aufkommenden chemischen Verhütungsmittel – weshalb er weithin auch als "Pillen-Paul" bekannt ist.

Bild: ©KNA

Kam als "Pillen-Paul" zu zweifelhafter Bekanntheit: Papst Paul VI. (1897-1978)

Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil änderte sich die Position der Kirche zur Sexualität dann ganz offiziell. Heute steht im Codex Iuris Canonici: "Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben." (Can. 1055 § 1 CIC) Neben der Fortpflanzung ist jetzt auch das "Gattenwohl" ein konstituierendes Prinzip der geschlechtlichen Gemeinschaft. In seinem nach der Familiensynode von 2015 verfassten Schreiben "Amoris laetitia" schlägt Papst Franziskus dann sogar einen ganz neuen Ton an: "Begierden, Gefühle, Emotionen – das, was die Klassiker ‚Leidenschaften‘ nannten – nehmen einen wichtigen Platz in der Ehe ein." (143) Zudem bemerkt er: "Die Momente der Freude, der Erholung oder des Festes und auch die Sexualität werden als eine Teilhabe an der Fülle des Lebens in seiner (Christi) Auferstehung erlebt." (317)

Hier ist von der Abwertung der Lust keine Rede mehr. Trotzdem ist das Image der Kirche nicht besser geworden. Das liegt unter anderem an vielen Amtsträgern, glaubt der Brixener Moraltheologe Martin M. Lintner. "Da herrscht manchmal immer noch die Angst, dass mit der Anerkennung der sexuellen Lust ein Mensch zum sexuellen Objekt degradiert wird." Darin spiegelt sich wieder ein Rückgriff auf die Argumentation des Augustinus wider, wenn der davon spricht, aus der Ehefrau eine "Dirne" zu machen. Allerdings berichten Liebespaare vom genauen Gegenteil, stellt Lintner fest: "Sie erleben das Begehrtwerden als ein Zeichen, schön und wertvoll zu sein." Hier hat die Kirche noch einiges von liebenden Paaren selbst zu lernen, findet er.

Der richtige Ort für Sex ist klar

In einem anderen Punkt ist die Kirche ihrer Lehre über die Jahrhunderte dagegen treu geblieben: Dass Sex nur in der Ehe seinen Platz hat. Grund dafür sind auch hier wieder historische Zusammenhänge. Denn schon das Alte Testament sieht die Ehe als Schutzraum – vor allem für Frauen. Die konnten nämlich leicht verarmen, wenn sie ein uneheliches Kind bekamen und sich der Vater aus der Verantwortung stahl. Deshalb galt die Regel: Wer eine Frau entjungfert, muss sie auch heiraten – und wegen des Scheidungsverbots konnten Männer ihre Frauen auch nicht einfach aus dem Haus werfen. So war die Ehe als Schutz für Frauen und Kinder konstruiert.

Bild: ©privat

Martin M. Lintner ist Professor für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen.

Doch das Thema Sexualität ist für die Kirche noch lange nicht ausgestanden. "Dass Sexualität auch ein Bestandteil der eigenen Identität ist, hat die Kirche noch nicht ausreichend anerkannt", findet Lintner. Menschen, die in sexueller Hinsicht nicht der Mehrheit entsprechen, wollen sich wertgeschätzt wissen. Wer einen Menschen des gleichen Geschlechts liebt oder sich seinem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlt, kommt im kirchlichen Denken nicht vor. Das von vielen Theologen gescholtene Genderpapier des Vatikans ist nur ein Beispiel dafür, wie schwer sich die Kirche mit diesen Themen tut und wie viel Angst sie vor einer Öffnung hat. "In vielen Kreisen des Vatikans – der Papst inklusive – wird die Genderforschung in erster Linie als Angriff auf die christliche Anthropologie gesehen. Das wird aber weder der Forschung in ihrer Komplexität noch dem Selbstverständnis vieler Menschen gerecht", so Lintner. Denn in den Genderstudien gehe es keineswegs darum, sich sein eignes Geschlecht nach Belieben "aussuchen" zu können, sondern darum, die eigene Identität entdecken und zu ihr stehen zu dürfen. Hier mache es sich die Kirche zu einfach, findet er.

Was aber stimme: Die Genderforschung stelle eine Anfrage an das christliche Menschen- und Familienbild. Darauf regiere die Kirche mit Angst und dem Impuls, ihr Weltbild verteidigen zu müssen, meint Lintner. Zu Unrecht: "Eine neue Sicht auf Sexualität wäre nicht das Ende der klassischen Familie." Die meisten Menschen lebten eine Geschlechtsidentität, bei der das biologische und soziale Geschlecht übereinstimmen, und sind heterosexuell orientiert. Jene, die sich davon unterscheiden, sollten aber darin bestärkt werden, sich selbst anzunehmen und sich selbständig zu entwickeln. "Jeder muss eine sexuelle Identität selbst finden und leben. Da kann man nicht einfach nur mit Regeln kommen, die man vorschreibt."

Von Christoph Paul Hartmann