Hans Maier: Joseph Ratzinger hatte keine Führungsqualitäten
Joseph Ratzinger mangelte es nach dem Urteil von Hans Maier an Führungsqualitäten. "Ich hatte ihn 1963 noch als Kollegen kennengelernt und für seine Predigten, seine rednerische Begabung und für die Art seiner Veröffentlichungen bewundert - bis heute gilt das noch", sagte der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und bayerische Kultusminister in einem Interview der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) über den emeritierten Papst Benedikt XVI. Aber der Funktion des Regenten, ob als Bischof, Kardinal oder Papst, sei Ratzinger "nicht gewachsen" gewesen, so der 88-Jährige weiter. "Ihm fehlte der Wille und die Kraft, sich durchzusetzen. Deshalb trat er dann auch zurück."
Zum Bruch zwischen ihm und Ratzinger sei es 1997 über den Streit zum Ausstieg der Kirche in Deutschland aus der Schwangerschaftskonfliktberatung gekommen, so Maier. Er habe sich an einer von ihm als inkonsequent empfundenen Haltung des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation gestört. Die katholische Kirche habe stets mit Nachdruck den Schwangerschaftsabbruch abgelehnt. Aber in fast allen Ländern der Welt habe es damals schon die Fristenlösung gegeben, wonach Kinder in den ersten drei Monaten nach Beginn der Schwangerschaft abgetrieben werden könnten. Nur in Deutschland hätten Bundesverfassungsgericht und Bundestag dieser Fristenlösung eine Hürde vorangestellt, die Vorschrift einer pflichtmäßigen Schwangerschaftskonfliktberatung.
"Das ist die Antwort des Pontius Pilatus"
"Ich hatte also Kardinal Ratzinger die Frage gestellt, warum sich die ganze Kritik Roms ausgerechnet gegen Deutschland richtet, das der Fristenlösung doch als einziges Land noch einen Riegel vorgeschoben hatte? Es kann doch nicht sein, warf ich ihm vor, dass er sich bei der bedingungslosen Fristenlösung in katholischen Kernländern still verhält und hier den Versuch, Leben zu erhalten, torpediert." Ratzinger habe ihm darauf geantwortet: "In diese Länder sind wir nicht involviert" - weil es dort keine kirchlichen Beratungsstellen gegeben habe.
"Darüber war ich sehr empört und sagte zu ihm: 'Das ist die Antwort des Pontius Pilatus.'" Dieser Satz habe Ratzinger getroffen, "er war darüber sehr aufgebracht", fasste Maier zusammen. "Seither ist unser Verhältnis gestört, seit zwei Jahren verkehren wir aber wenigstens wieder schriftlich miteinander." Der Ausstieg der Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung veranlasste Maier und andere prominente Katholiken 1999 zur Gründung des Vereins Donum Vitae (Geschenk des Lebens).
Weiter kritisierte Maier die Kommunikation in der katholischen Kirche und sieht vor allem Defizite in der Kommunikation zwischen Vatikan und den Ortskirchen. Konkret beklagte er, dass die Führung der Kirche in Rom oft nur ein einseitiges Bild von der Lage vor Ort erhalte. "Nur die, die etwas kritisieren wollen an der Kirchenpraxis in ihrem Land, schreiben Klagebriefe an den Vatikan." Maier: "Das geschieht oft hinterrücks, ohne dass die Betreffenden, über die Beschwerde geführt wird, irgendetwas davon erfahren." Unter dem Strich bündelten sich im Vatikan "immer nur die Stimmen der innerkirchlichen Opposition gegen die Reformer - das verzerrt die Perspektiven: eine Minderheitenmeinung bekommt dadurch ein viel zu großes Gewicht".
Befragt nach Alternativen, antwortete Maier: "Es müsste genauso ablaufen wie in einem gesunden Föderalismus: Wenn in Rom Petitionen eintreffen, sollten sie zunächst wieder zurück an die zuständigen Ortsbischöfe verwiesen werden. Sie haben das Recht auf ein erstes Urteil." Papst Pius XII. (1939-1958) habe das noch so gehandhabt. "Er schrieb Bischöfen, die sich nach Rom wandten, oftmals: 'Non datur. Episcopi est.' - Keine Weisung. Das ist Sache des Bischofs. Darin war er demokratischer als manche seiner Nachfolger." (tmg/KNA)