Warum vor 30 Jahren in El Salvador sechs Jesuiten ermordet wurden
Ist das der Frieden oder noch die Friedhofsruhe? Von dieser Ecke scheint das geschäftige Treiben auf dem Campus der Universidad Centroamericana (UCA) in San Salvador abzuprallen. Nur ab und an dringen Gesprächsfetzen von vorbeiziehenden Studentengruppen herüber. Frisch gestutzt und saftig grün ruht das Rasengeviert in der Sonne; Palmen, Rosen und Bougainvilleen verleihen dem kleinen Garten eine fast schon paradiesische Anmutung.
Erst auf den zweiten Blick sind in einer Ecke des Areals acht Stelen mit Namen zu erkennen: Ignacio Ellacuria, Amando Lopez, Joaquin Lopez, Ignacio Martin-Baro, Segundo Montes, Juan Ramon Moreno, Celina Ramos, Julia Elba Ramos. Sechs Jesuiten, ihre Haushälterin und deren Tochter, die hier vor 30 Jahren von einer Todesschwadron der salvadorianischen Armee niedergemetzelt wurden.
Der Vorfall markierte einen Wendepunkt in jenem blutigen Bürgerkrieg in El Salvador, der mit dem Mord an Oscar Romero, dem Erzbischof von San Salvador, 1980 offen ausgebrochen war. Nach dem Massaker auf dem Universitätsgelände in der Nacht zum 16. November 1989 nahm der internationale Druck auf die vom Militär gestützte Regierung zu, einen Ausgleich mit der linken Guerilla FMLN zu erreichen. Dazu kam es dann 1992. Bis heute wurden die meisten Täter nicht zur Rechenschaft gezogen - wie in vielen anderen Fällen dieses Konflikts.
"Es wird immer gesagt: 'Man darf die Wunden nicht wieder aufreißen'", sagt die aus Österreich stammende Theologin Martha Zechmeister, die seit Jahren an der Universidad Centroamericana lehrt und forscht. "Man kann die Wunden aber gar nicht aufreißen, weil sie nie verheilt sind." In unmittelbarer Nachbarschaft zu dem kleinen Garten hat die UCA eine "Sala Memorial de Martires" eingerichtet; eine Gedenkstätte, die an einige der schätzungsweise 75.000 Toten des Bürgerkriegs erinnert.
Hinter Glasvitrinen sind unter anderem Kleidungsstücke aufbewahrt, die die 1989 ermordeten Jesuiten zum Zeitpunkt ihres Todes trugen. Etwa eine braune Stoffhose, ein Paar blauer Socken, dazu ein durchschossenes Unterhemd und ein blutgetränktes Taschentuch von Joaquin Lopez. Der 71-Jährige kam in den Garten, als dort fünf seiner Mitbrüder bereits tot lagen. Vergeblich flehte er die Soldaten an, ihn zu verschonen. Doch sie hatten den Auftrag, keine Augenzeugen zu hinterlassen. Lopez musste sterben, ebenso wie Haushälterin Julia Elba Ramos und ihre erst 16-jährige Tochter Celina, die sich in einem der Wohnräume der Jesuitengemeinschaft aufhielten.
Die Todesschützen wollten schon abziehen, als sie das Wimmern der schwer verletzten Frauen hörten. Per Funk erkundigten sie sich bei ihren Befehlshabern, was sie tun sollten. "Rematenlas!" - "Erledigt sie!", lautete die Antwort, mutmaßlich von Vize-Verteidigungsminister Juan Orlando Zepeda. Noch einmal feuerten die Mörder eine Salve aus ihren Kalaschnikows. Mit den Waffen, die sie von der FMLN erbeutet hatten, wollten sie der Guerilla die Untat in die Schuhe schieben, wie der US-Historiker Richard Joseph Golsan schreibt.
Warum aber gerieten ausgerechnet die Jesuiten ins Fadenkreuz der Militärs? Das hatte mit der Hinwendung der Ordensleute zu den Benachteiligten und der als "links" wahrgenommenen Befreiungstheologie zu tun. Auch die von ihnen 1965 gegründete Universidad Centroamericana schlug einen ähnlichen Kurs ein. Verkörpert wurde das insbesondere durch Ignacio Ellacuria, Rektor der Universität und ein Vordenker der Befreiungstheologie. Während sich Teile der Kirche mit dem Establishment arrangierten, wurde die UCA nach Ansicht von Minister Zepeda und anderen ein "Zufluchtsort für Terrorführer". Ein Widerstandsnest, das es auszuräuchern galt.
Als die FMLN in der Hauptstadt San Salvador am 11. November 1989 eine Offensive startete, bedeutete dies das Todesurteil für die Jesuiten. Die USA als traditionelle "Schutzmacht" El Salvadors wollten ihren "Hinterhof" frei von Kommunisten halten und ließen den einheimischen Militärs freie Hand. Die Soldaten nutzten für ihren "Sondereinsatz" angeblich Nachtsichtgeräte, die sie wenige Tage zuvor beim Training mit den Green Berets erhalten hatten, einer US-Spezialeinheit.
Zwei Patres entgingen dem Mordtrupp, weil sie sich an diesem Tag zufällig nicht auf dem UCA-Gelände aufhielten. Einer von ihnen, Jon Sobrino, lebt heute noch. Der 80-Jährige arbeitet weiter an der Universität. Und will, leise aber bestimmt, seinen Teil dazu beitragen, dass Friedhofsruhe nicht die Aufarbeitung der dunklen Kapitel in der Geschichte des kleinsten mittelamerikanischen Landes überdeckt.