Ein Vierteljahrhundert an der Spitze der Erzdiözese Wien

Christoph Schönborn: Österreichs bekanntester Kirchenmann wird 75

Veröffentlicht am 22.01.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Wien ‐ Wäre seine Gesundheit nicht so angeschlagen, wäre er ein "papabile", ein Kandidat für das Papstamt. Mit seinem 75. Geburtstag sollte der Ruhestand für den Wiener Kardinal näher liegen als ein neuer Posten. Doch noch lässt Franziskus ihn nicht gehen.

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Der Name Schönborn hat in der Kirche und über die Kirche hinaus einen besonderen Klang. Das alte Adelsgeschlecht stellte über Jahrhunderte Fürstbischöfe im süddeutschen Raum. Als Erzbischof von Wien und Kardinal der Römischen Kirche war Christoph Schönborn bei seiner Ernennung 1995 eine beinahe logische Besetzung. Nach einem Vierteljahrhundert an der Spitze des Wiener Erzbistums und 22 Jahren im Vorsitz der Österreichischen Bischofskonferenz nähert sich diese "Ära Schönborn" ihrem Ende. Schon einige Monate vor seinem 75. Geburtstag hat er dem Papst im Vatikan persönlich sein altersbedingtes Rücktrittsgesuch übermittelt.

Am Dienstag wurde jedoch bekannt, dass Papst Franziskus Schönborn vorläufig und auf unbestimmte Zeit im Amt belässt. Schönborns Abberufung als Wiener Erzbischof wird dann voraussichtlich zeitgleich mit der Bekanntgabe seines Nachfolgers erfolgen. Es wird heftig darüber spekuliert, wer ihm in Wien und damit als geistlicher Führer der katholischen Kirche in Österreich nachfolgen könnte. Denn die Fußstapfen sind groß.

Schönborn ist über Österreich hinaus eine Institution, ähnlich wie sein Vorvorgänger Franz König (1956-1985). Als er 1995 den nach Missbrauchsvorwürfen zurückgetretenen Kardinal Hans Herrmann Groer beerbte, stand Schönborn vor einer schweren Aufgabe. Das Ansehen der Kirche war schwer erschüttert, die Flügelkämpfe zwischen fortschrittlichen und konservativen Kräften in Österreich hatten schon begonnen.

Garant der Rechtgläubigkeit - mit Kontakten ins progressive Lager

Wirklich befrieden konnte auch Schönborn diesen Richtungsstreit nicht, trotz seiner ausgleichenden und dialogbereiten Persönlichkeit. Doch war es wohl sein Verdienst, dass es nicht zum offenen Bruch kam. Für die damals in Österreich noch starken konservativen kirchlichen Kräfte war er - trotz seiner Kontakte ins progressive Lager - auch deshalb ein Garant der Rechtgläubigkeit, weil er einst federführend am Katechismus der Katholischen Kirche mitgearbeitet hatte. Durch seine Hände ging die Endredaktion dieses 1992 erschienenen Dogmenkatalogs, in dem Papst Johannes Paul II. verbindlich festhalten wollte, was Katholiken am Ende des 20. Jahrhunderts glauben sollten.

Kardinal Christoph Schönborn bei einer Rede im Vatikan.
Bild: ©KNA

Kardinal Christoph Schönborn bei einer Rede im Vatikan.

Seit jener Zeit ist der frühere Dogmatikprofessor auch auf weltkirchlicher Ebene einer der prominenteren Köpfe, ein "Groß-Theologe" in der Liga von Ratzinger, Metz oder Kasper. Weltweit bekannt wurde er durch einen Beitrag zur Debatte um die Evolutionstheorie. In einem 2005 veröffentlichten Text in der "New York Times" kritisierte Schönborn den klassischen Darwinismus, der die Resultate der Evolution als bloße Zufallsprodukte interpretiert. Dem setzte der Kardinal den Begriff eines "Designs" des Schöpfers entgegen, das in diesen Resultaten zu erkennen sei.

Mit den Päpsten seiner Amtszeit geriet Schönborn nie in Konflikt. Er diente Johannes Paul II. ebenso wie Benedikt XVI. und Franziskus. Allerdings hat sich der Fokus seines Lehrens merklich verschoben: Ging es früher mehr um dogmatische Fragen, liegt der Akzent jetzt mehr auf Barmherzigkeit und der seelsorgerischen Fall-zu-Fall-Unterscheidung. Diese ursprünglich jesuitische Methode hat sich der Dominikaner rasch zu eigen gemacht. Auch seine Stellungnahmen zu heißen Themen wie der moraltheologischen Bewertung von Homosexualität sind weicher geworden.

Zu Veränderungen bereit

Konservative Kirchenvertreter warfen Schönborn mitunter vor, ein Wendehals zu sein, der seine streng rechtgläubigen Positionen verraten habe. In jüngerer Zeit hat er sich bei der Familiensynode mit ihrer Öffnung für wiederverheiratete Geschiedene und auch bei der Amazonas-Synode mit der Forderung nach Ausnahmen vom Priesterzölibat für Veränderungen bereit gezeigt. Dabei betont er aber stets die Kontinuität mit der überlieferten Lehre, die es unversehrt zu bewahren gelte.

Der Stephansdom in Wien.
Bild: ©ABDULSALAM - stock.adobe.com

Der Stephansdom in Wien.

In der zweiten Welle der Missbrauchskrise nach 2010 gelang es ihm abermals, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Viel beachtet wurde sein TV-Gespräch mit der früheren Ordensfrau Doris Reisinger, die nach eigener Darstellung Opfer sexueller Übergriffe war. Obwohl sie vor Gerichten bislang keine Anerkennung fand, brach Schönborn im Gespräch das Eis, indem er sagte: "Ich glaube Ihnen das." Später stellte er freilich klar, dass er diesen Satz eher in seelsorgerischer Absicht gemeint habe - und nicht im Sinne einer juristischen Anerkennung.

Den stetigen Rückgang der gesellschaftlichen Bedeutung der Kirche in Österreich hat der intellektuelle und polyglotte Seelsorger freilich nicht aufhalten können. In Wien liegt der Katholikenanteil heute deutlich unter 50 Prozent; er hat sich in den vergangenen 50 Jahren halbiert. Nach den Konfessionslosen sind mittlerweile Muslime die drittstärkste Gruppe in der Bevölkerung.

Auch wenn der Papst sein Rücktrittsgesuch nicht angenommen hat, könnte Schönborn die weitere Entwicklung doch aus einer gewissen Distanz verfolgen: Er denke laut einer Erklärung seines Bistums darüber nach, den Vorsitz der österreichischen Bischofskonferenz bei der kommenden Frühjahrsvollversammlung abzulegen. Das würde eine Neuwahl möglich machen und verhindern, dass das Amt, das Schönborn offiziell noch bis 2022 innehat, bei einem zeitigeren Rücktritt als Diözesanbischof vakant wird.

Über den Zeitpunkt des Rücktritts und die Nachfolge Schönborns als Wiener Erzbischof entscheidet allein der Papst. Schönborn ließ aber bereits verlauten, dass er sich seinen Ruhestand im Dominikanerkloster in Retz vorstellen könne. Dann wäre er weiter weg von Wien und ein wenig näher an seiner alten böhmischen Heimat, aus der seine Familie vor fast 75 Jahren vertrieben wurde.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)