Der Schattenpapst – Benedikt XVI. sorgt immer wieder für Irritationen
Es war halb Geniestreich, halb Verzweiflungstat, auf jeden Fall historisch: Am Rosenmontag 2013 kündigte Benedikt XVI. in einer lateinischen Rede vor den Kardinälen seinen Verzicht auf das Papstamt an. Der katholischen Kirche hing der Missbrauchsskandal in den Gewändern, zwei Dokumenten-Leaks hatten Korruption und Filz im Vatikan aufgedeckt. Der Papst fühlte sich alt und schwach. Er trat zurück. Mit der Sedisvakanz waren alle Kurienleiter ihren Job los. Was für ein Coup!
Ein neuer Papst sollte es richten. Beim Abschied am 28. Februar gelobte Benedikt XVI. ihm, den er noch nicht kannte, Gehorsam. Er selbst wollte sich in die Stille der vatikanischen Gärten zurückziehen und der Kirche im Gebet dienen. Sieben Jahre später steht fest: Aus dem "Klösterl" drangen nicht nur Gebete zum Himmel, sondern auch Wortmeldungen nach draußen. Nicht alle waren mit dem Nachfolger Franziskus abgestimmt.
Zwar hatte Benedikt XVI. nach eigenem Bekunden erkannt, dass ihm die Kraft geschwunden war, "das Schifflein Petri zu steuern". Dennoch behielt er auch als gewesener Papst Autorität genug, um dem neuen Kapitän wiederholt ins Wort zu fallen.
Seine Worte schlugen Wellen
Am augenfälligsten geschah das in der Frage des Missbrauchsskandals. Für Franziskus hat das Problem mit "Klerikalismus" zu tun, unguten Autoritäts- und Machtstrukturen. Benedikt XVI. hingegen machte in einem Aufsatz im April 2019 die sexuelle Revolution der 60er Jahre und eine lasche Moraltheologie als Wurzeln des Übels aus. Applaus kam von jenen, die in der katholischen Kirche weniger Selbstbezichtigung und mehr klare Kante gegen den Zeitgeist wünschen, darunter die Kardinäle Gerhard Ludwig Müller und Robert Sarah.
Benedikt XVI. hatte seine persönlich gefärbten "Notizen" zu dem Thema dem bayerischen "Klerusblatt" anvertraut; über digitale Medien schlugen sie unerwartet hohe Wellen. Ähnlich ging das mit einem Beitrag über das Judentum, den der Emeritus als private Betrachtung an Kardinal Kurt Koch übergab und auf dessen Zureden im Juli 2018 in der Zeitschrift "Communio" drucken ließ.
Der Text rührte an empfindliche Punkte, etwa die theologische Legitimation des Staates Israel und die Fortdauer des Gottesbundes mit dem jüdischen Volk. Benedikt XVI. wollte nur ein paar Präzisierungen anbringen; doch Vertreter des katholisch-jüdischen Dialogs zeigten sich irritiert über die Thesen und die Tatsache der Veröffentlichung.
Dann war da noch "Lettergate", die Affäre um den Brief Benedikts XVI. zu einer mehrbändigen Publikation über die Theologie von Franziskus. Bei ihrer Vorstellung im März 2018 verlas der damalige vatikanische Medienchef Dario Vigano stolz ein Schreiben des Emeritus, in dem er das Buchprojekt lobt und zugleich erklärt, er sehe sich "auch aus physischen Gründen" außerstande, einen eigenen Beitrag beizusteuern.
Wenig schmeichelhaft für Franziskus
Scheibchenweise kam heraus, dass Vigano wesentliche Teile des Briefs unterschlagen hatte - in denen sich Benedikt XVI. verwundert zeigte, dass unter den Autoren Peter Hünermann firmiert. Der Dogmatiker löckte einst mit der "Kölner Erklärung" 1989 wider den Stachel des Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger. Auf so einen als Autor, schien Benedikt XVI. jetzt zu meinen, könne man getrost verzichten; wenig schmeichelhaft für Franziskus. Vigano musste seinen Posten räumen.
Für Überraschung sorgte auch eine neue, von Benedikt XVI. ins Leben gerufene Stiftung für katholische Publizistik, die bei der konservativen Zeitung "Die Tagespost" angesiedelt ist. Ihr Zweck überschneidet sich mit dem der Katholischen Journalistenschule ifp in München, einer lange etablierten Einrichtung der Deutschen Bischofskonferenz.
Zuletzt machte der Emeritus Schlagzeilen mit seinem Beitrag für ein Buch von Kurienkardinal Robert Sarah. Der Band, eine Verteidigung des Priesterzölibats, wurde als Warnung gegen mögliche Ausnahmeregelungen durch Franziskus gedeutet. Auch wenn in diesem Fall von "Missverständnissen" die Rede war, bleibt die Frage, wie es dazu kommen konnte. Jüngste Filmaufnahmen zeigen den 92-Jährigen als hinfälligen Greis. Mit dem Rücktritt vor sieben Jahren wollte er auch den Ränken an der Kurie entgehen. Es scheint, als hätten sie ihn wieder eingeholt.