Diese Regelungen gelten für Kirchenglocken
Mitten in der Nacht holt er einen aus dem Schlaf. Schon wieder sorgte der Uhrschlag der benachbarten Kirche dafür, dass man die halbe Nacht wach lag, schlägt die Glocke selbst nachts schließlich alle 15 Minuten. Mancherorts sorgen solche Situationen für Ärger. Anwohner beschweren sich im Pfarrbüro, etwa, wie in der beschriebenen Situation, wenn der nächtliche Schlag ihren Schlaf stört oder das Geläut zu laut ist. Oftmals ist dann vom "nächtlichen Glockengeläut" die Rede. Das ist aber nicht ganz richtig, sagt Martin Kares vom Beratungsausschuss für das Deutsche Glockenwesen. In der Nacht sei vom sogenannten Uhrschlag die Rede, der – wie der Name schon verrät – bekannterweise die aktuelle Uhrzeit meist viertelstündig schlägt. Dabei schlägt nur ein Hammer auf die Glocke, während sie beim eigentlichen Geläut schwingt und ihren vollen Klang von sich gibt. "Das sind zwei völlig verschiedene technische Einrichtungen", betont Kares.
Unterschiedlich sind deshalb auch die Zuständigkeiten von Geläut und Uhrschlag: Der Uhrschlag ist meistens von der politischen Gemeinde verantwortet. Diese zahlt dann auch für die Wartung und die Unterhaltung des Glockenschlags. Auch das führe oft zu Verwirrung, sagt Kares: "Man macht sich gar nicht klar, was kirchenspezifisch und was politisch oder gesellschaftlich ist." Entsprechend sind Beschwerden über den Uhrschlag meist auch an die politische Gemeinde zu richten. Über das eigentliche Geläut verfügt die Kirchengemeinde. Läuten dürfen die Kirchenglocken aber lediglich zu liturgischen Anlässen, etwa zum Gottesdienst-Rufen oder zum Begleiten der Wandlung oder Segnungen. Unter der Woche dürfen Glocken auch als Gebetsruf läuten. "Das ist dann auch vom Grundgesetz und dem Passus der Religionsfreiheit geschützt."
Nicht alle Glocken sind kirchlich
Bis zur Verbreitung von Taschenuhren läuteten Glocken viele Jahrhunderte auch zur Markt- und Gerichtszeit oder zur Schließung der Stadttore. Mittlerweile geht "einfach so läuten" nicht mehr – auch nicht für politische Zwecke, etwa, wenn eine bedeutende Politikerin stirbt. Spätestens nachdem die Nazis anwiesen, zum Geburtstag Adolf Hitlers zu läuten, sind Kirchenglocken für solche Anlässe tabu. Doch auch hier gibt es eine Ausnahme: In Deutschlands Kirchtürmen hängen gelegentlich städtische oder kommunale Glocken. Diese können zu kommunalen oder staatlichen Anlässen läuten – genauso wie andere nicht-kirchliche Glocken, etwa in Rathäusern.
Bei einem Papst-Tod sieht Kares das Läuten ebenfalls ambivalent. Stirbt der Papst beispielsweise mitten in der Nacht, wissen die allermeisten Menschen den Grund nicht und ärgern sich über das laute Geläut. Kündigt man in der darauffolgenden Nacht zur Sterbestunde des Papstes das Läuten hingegen an und lädt zu einer Andacht ein oder ruft zum Gebet auf, werde das nach seiner Einschätzung zumindest in katholisch sozialisierten Gemeinden als Bereicherung zu diesem wichtigen Anlass empfunden. Woanders sieht das nicht so aus: "Im städtischen Umfeld wird man eher Probleme bekommen."
Ein Friedensgebet für "Fridays for Future"
Kirchengemeinden finden jedoch auch andere Wege, mit ihrem Geläut politische Statements zu setzen. Kares erinnert sich daran, dass zum globalen Klimastreik von "Fridays for Future" im September 2019 viele Pfarrgemeinden angefragt hatten, ob sie läuten dürften, um die Bewegung zu unterstützen. Die Lösung: Sie boten zum verabredeten Zeitpunkt ein Friedensgebet oder ein Gebet zur Wahrung der Schöpfung an und konnten damit passend läuten.
Kirchenglocken müssen jedoch nicht unbedingt immer zu besonderen Anlässen läuten, um Menschen zu verärgern. Allein durch die Lautstärke fühlen sich einige gestört. Zwischen 70 und 90 Dezibel darf die Glocke laut sein – gemessen am nächsten Einwirkungsort, etwa einem Dachfenster. Wie laut die Glocken genau zu hören sein dürfen, bestimmt die Baunutzungsverordnung der jeweiligen Kommune. Auch beim Neubau einer Kirche spielt dieser Grenzwert eine Rolle, nicht etwa der Abstand zwischen Kirche und Wohngebäude.
Für die Dauer des Geläuts wiederum gibt es zwar Empfehlungen, aber keine gesetzlichen Bestimmungen. In dem Punkt gelte der gesunde Menschenverstand, erklärt Kares: "Es ist einfach unsinnig, 10 Minuten oder länger am Stück zu läuten. Das ist auch eine Belästigung." Das Beten des Vaterunsers beispielsweise dauere etwa zwei Minuten. Dem sollte sich auch das Gebetsläuten annähern. Zum Gottesdienstruf brauche es ebenso keine lange Dauer. "Die allermeisten Menschen laufen nicht mehr dann von zu Hause zum Gottesdienst los, wenn die Glocken anfangen zu läuten." Deshalb empfiehlt Kares fünf Minuten Läutdauer vor dem Gottesdienst. Beachtet werden muss jedoch eine Ruhezeit: Zwischen 22 und 6 Uhr morgens darf nicht geläutet werden; der Stundenschlag dagegen darf innerhalb eines Schallpegelgrenzwertes von 40 bis 65 Dezibel nach wie vor vollzogen werden.
Einen Ursprung darin, dass Menschen sich von den Kirchenglocken gestört fühlen, sieht Kares in der Art des Läutens: "Viele Gemeinden machen den Fehler, dass sie alle Glockenschalter auf einmal umlegen." Dadurch entstehe jeden Sonntag ein "riesiges Getöse", das die Vielfalt der Glocken gar nicht herausbringe. Nach seiner Ansicht könnten Messdiener, Firmlinge oder andere Jugendgruppen den Dienst der Glocken übernehmen und diese zeitversetzt einsetzen – und das sogar mit einer passenden App am Handy. "Dann haben sie eine Aufgabe, die Sakristanen sind entlastet und das Geläute klingt viel schöner."
In der evangelischen Landeskirche Baden beaufsichtigt Kares etwa 800 Gottesdienstorte mit Glocken. Streit gibt es seiner Erfahrung nach nur selten. "Wir haben im Jahr vielleicht zwei Beschwerden über den Uhrschlag, über das Läuten eigentlich überhaupt nicht." Gibt es doch mal Ärger, empfiehlt er den Kirchengemeinden, die Beschwerden ernst zu nehmen und den zuständigen Glockensachverständigen einzuschalten, um gemeinsam nach einer Lösung zu schauen. Sind die Glocken tatsächlich zu laut, könnten etwa Klöppel mit entsprechenden Bronzepuffern oder normgerechte Schallläden Abhilfe schaffen. Kares selbst ist der Meinung, dass Pfarrgemeinden eine Verpflichtung haben sollten, die Laustärke regelmäßig zu kontrollieren – ohne, dass sich erst jemand beschweren muss.
Denn reagiert man nicht auf die Beschwerden, droht eine Klage. Stellt das Landratsamt bei einer Messung dann zu laute Werte fest, können Bußgelder auf die Pfarrgemeinde zukommen. Oder sie müssen die Glocken sogar abschalten. Und das würde wohl niemandem gefallen, weder der Pfarrgemeinde noch den Gläubigen aus der Gemeinde. Denn für viele gehört der Glockenschlag fest zu ihrer Heimat dazu.