Wie der Petersplatz an Ostern zum Paradiesgarten wird
Das Herzstück der Blumenpracht aus den Niederlanden ziert die Mittelloggia des Petersdoms, schließlich richten sich hierher am Ostersonntag tausende Blicke. Wenn der Papst den blumenumrankten Balkon betritt, soll alles perfekt sein. Dafür sind rund 30 Niederländer schon Tage vor Ostern im Einsatz. Seit 2015 ist der niederländische Florist Paul Deckers (55) für Design und Umsetzung des Blumenteppichs zuständig. "Die ersten Gedanken mache ich mir schon während der Ostermesse auf dem Petersplatz im Vorjahr", erzählt er. Welche Blumen könnten farblich passen und Regen und Wind trotzen? Weiße Blumen zum Beispiel seien zwar schön, aber für große Flächen eher ungeeignet. "Auf Papier mache ich dann eine grobe Skizze", erzählt Deckers. Anschließend spricht er mit den Züchtern in den Niederlanden, damit sie die benötigten Blumen im Herbst anpflanzen können.
Alles begann 1985. Damals lieferte der holländische Blumenhändler Nic van de Voort den Schmuck für die Seligsprechung des 1942 im KZ Dachau ermordeten Priesters Titus Brandsma. Da kam die Idee: Wie wäre es, wenn Niederländer den Blumenschmuck für die Ostermesse bereitstellen würden? Aus dem Traum wurde Realität: Seit 1986 stiftet und organisiert die Vereinigung der niederländischen Blumenzüchter die Osterdekoration vor dem Petersdom. 1988 fragte van de Voort Deckers, ob er nicht mit im Team für den Blumenschmuck für Ostern arbeiten wolle. Deckers war damals bereits ein gefragter Blumendesigner. Er machte Ausstellungen in Südafrika, Israel und Taiwan. Nun am Blumenschmuck für den Petersplatz mitzuwirken sei eine Ehre gewesen, sagt Deckers.
Der Papst bedankt sich persönlich
Er erinnert sich noch gut daran, wie er 1988 zum ersten Mal am Blumenteppich mitarbeitete. "Die Glocken haben geläutet, und wir standen auf dem Petersplatz. Das war ein großartiges Gefühl", sagt er. Deckers ist selbst katholisch. Getauft wurde er in der Osternacht im Jahr 1965. 50 Jahre später zeichnete Papst Franziskus ihn an Ostern für die alljährliche Blumenpracht aus. Für Deckers bedeutet die Auszeichnung sehr viel, genauso wie der Tag, an dem er sie erhielt. "Irgendwie bin ich mit dem Osterfest besonders verbunden", sagt er.
Nach dem Ostergruß bedankt sich Papst Franziskus immer persönlich bei Deckers und seinem Team. Auf diesen Moment hat sich der Blumendesigner 2019 besonders vorbereitet und extra etwas Italienisch gelernt. Er hat sich fest vorgenommen, dem Papst diesmal eine Frage zu stellen. Aber noch ist es nicht soweit.
Am Dienstag vor Ostern 2019 scheint die Sonne. Die meisten Menschen flanieren mit einem Lächeln auf dem Gesicht an diesem Tag über die 32 Hektar große Gartenanlage Keukenhof im niederländischen Lisse. Von dort aus treten die Tulpen, Narzissen und Orchideen für den Vatikan ihre Reise an. Vor der Abfahrt am Keukenhof werden sie gesegnet. Das initiierte Deckers 2017 zum ersten Mal. "Ich fand es schade, dass die Blumen in den Jahren zuvor einfach nur den Keukenhof verlassen haben", sagt er.
Zwischen menschengroßen Wagen mit roten Tulpen steht Bischof Johannes van den Hende von Rotterdam. Der Keukenhof liegt in seinem Bistum. Während Hende die Blumen segnet, erinnert er an die Schöpfung. "Ich hoffe, dass die Blumen auf dem Petersplatz den Menschen klar machen, wie wichtig die Schöpfung ist", sagt er. "Wir haben den Auftrag, vorsichtig mit dem umzugehen, was Gott uns gibt: diese Blumen und auch die Handwerkskunst, mit der sie wachsen", so der Bischof. Das Fest der Auferstehung Christi werde durch die Blumenpracht unterstrichen.
30 Tonnen Blumen und Material per LKW nach Italien
Insgesamt schickt Deckers vom Keukenhof jährlich etwa 30 Tonnen Blumen und Material nach Italien. 2019 wurden zwei Transporter mit 55.000 Blumen und Pflanzen beladen, darunter Tulpen, Orchideen, Rosen, Paradiesvogelblumen, Weidenkätzchen und Hyazinthen. Fast zwei Tage brauchen die Lastwagen von den Niederlanden bis nach Rom. An Gründonnerstag fliegt Deckers mit seinem Team nach. Am Karfreitag herrscht in der kleinen Gärtnerei am Rande der vatikanischen Gärten Hochbetrieb. Bis zum Abend müssen die Vorbereitungen beendet sein – am Karsamstag steht die Dekoration auf dem Platz an.
Für das zentrale Blumengebinde auf dem Balkon ist der niederländische Landschaftsarchitekt Ewald Jamin aus Lisse zuständig. Er füllt noch vorhandene Lücken mit lachsfarbenen Rosen oder grünen Blättern. Auf dem Boden kniend wirft er von unten einen prüfenden Blick auf sein Werk: "Die Herausforderung ist, dass es auf die Entfernung und von nah gut aussieht – die Menge sieht die Farben, der Papst die Details", erklärt er.
Blätter werden eingeschlagen, damit sie den Papst nicht pieksen
Damit die Menge auch den Papst gut sieht, dürfen die Blumen nicht zu hoch sein. Blätter an der Innenseite werden eingeschlagen, damit sie das Kirchenoberhaupt nicht piksen, wenn es nahe am Balkon steht. An der Vorderseite macht sich ein Kaskadeneffekt gut. Damit keine Teile davon abfallen, darf der Blumenschmuck hier nicht zu lang und schwer sein. Zur Sicherheit steckt Jamin noch einige dunkelgrüne Drahtklammern zusätzlich in den Unterbau des Gebindes.
Das Hauptwerk für die Mittelloggia soll Wind und Wetter auf dem Petersplatz trotzen und den Transport auf den Balkon unbeschadet überstehen. Der erfolgt üblicherweise erst am Ostersonntag früh. Dann wird die Blumengirlande als krönender Abschluss der Dekorationen auf den Schultern von sechs Personen zur Mittelloggia getragen.
Bis dahin gibt es noch viel zu tun für die niederländischen Floristen. Damit es kein Durcheinander gibt, hat jeder eine Liste, welche Blumen in welcher Anzahl wie angeordnet werden sollen. Während Jamin an der Balkon-Dekoration arbeitet, zückt Marinca Massaar-van der Slot ihr Schweizer Taschenmesser. Mit geübtem Schwung schneidet die 47-Jährige an ihrem mobilen Arbeitsplatz auf einem Roll-Regal gelbe Kahnorchideen an; schon fällt die nächste Stilspitze zu Boden. Etwa sechs bis sieben der schlanken Blumen steckt sie in einen runden Blumenkübel. Insgesamt werden 60 dieser Dekorationen benötigt.
Blumenduft mischt sich mit schwüler Luft
Wie viele im Team trägt van der Slot ein kurzärmliges violettes T-Shirt, dunkle Jeans und bequeme Schuhe. Zum Abschluss wässert sie den Blumensteckschwamm im Kübel, dann geht es nebenan ins Gewächshaus der Vatikan-Gärtnerei. Hier lagern die fertigen Gestecke. Blumenduft mischt sich mit schwüler Luft. Eine Kühlvorrichtung sucht man vergebens. Angst um die Blumen hat die Floristin dennoch nicht – die Orchideen wurden extra so gewählt, dass ihnen römische Temperaturen nichts anhaben. Ganz anders die Osterglocken, die noch im Kühltransporter aus den Niederlanden lagern.
Um acht Uhr am Karsamstag liegt Spannung in der Luft. Das Team hat nur noch bis zum Nachmittag Zeit, die Blumenarrangements des Platzes fertigzustellen. Bei der Teambesprechung auf dem Petersplatz neben dem Altar ruft Chefdesigner Deckers Namen auf, verteilt Blumenlisten sowie Pläne mit Computerskizzen des Blumenschmucks im DIN-A3 Format. Alle sind da, das Wetter ist gut – das ist die halbe Miete. Stets ein heikler Moment: das Ausladen der Pflanzen aus dem Kühllaster in Halbschräge vor der Altarinsel. An diesem Morgen läuft alles glatt.
Noch wirkt der Platz ungeordnet, Grasteppiche liegen eingerollt neben der Altarinsel, Rollregale mit den vorbereiteten Pflanzendekorationen stehen herum. Ein Traktor umfährt die Altarinsel. Ein Maßband liegt zur Vermessung der Planquadrate am Boden, Hyazinthenduft in der Luft. Vereinzelt schwirren Bienen umher, offenbar leicht irritiert über die Blütenvielfalt. Viele der gewählten Blumen blühen üblicherweise nicht zur gleichen Zeit.
In Kleingruppen ziehen die niederländischen Gärtner los, zunächst werden Plastikplanen auf dem Boden verteilt. Marinca Massaar-van der Slot hat die Liste in der Hand. Sie koordiniert die Arbeiten in ihrem Quadrat neben dem Altar. "1,2,3,4, dann haben wir hier die Tulpen", zählt sie eine Reihe ab, schaut suchend auf den Plan. An manchen Stellen gibt es Lücken – einige Blumen sind noch im Depot in den vatikanischen Gärten. Nach und nach schwinden die kahlen Stellen. Auch die gelben Orchideen bekommen ihren Platz in den "Gärten", wie die Bereiche auf dem Petersplatz hier heißen.
Bis zum Abend sind die Stufen vor dem Altar mit grünen Grasteppichen ausgelegt, die Osterglocken planmäßig darum drapiert, sämtliche anderen Gärten blühen und grünen ebenso. Dass alle Blumen zu Ostern in voller Pracht stehen, ist eine Kunst für sich. Wechselndes Wetter wie wechselnde Ostertermine stellen zudem jedes Mal eine eigene Herausforderung für Deckers dar.
Seine Arbeit ist für Deckers eine Ehre
Am Morgen vor der Papstmesse am Ostersonntag ist auch das Paradestück der Blütenpracht an der Loggia des Petersdoms angebracht. Die letzte Kontrolle übernimmt Chefdesigner Deckers immer persönlich. Seine Arbeit hier ist für den 55-Jährigen eine Ehre. "Es ist jedes Jahr ein unbeschreibliches Gefühl, mit meinem Team und den Blumen auf diesem weltbekannten, heiligen Platz zu arbeiten." Nachdem der Papst seinen Segen von der Mittelloggia gespendet hat, kann der Blumendesigner aufatmen: "Es ist alles gut gelaufen, auch die Laserapparatur zur Abschreckung von Möwen hat funktioniert."
Für Deckers folgt nun noch ein Höhepunkt des alljährlichen Ausflugs nach Rom. Papst Franziskus bedankt sich persönlich beim Blumenteam. Nun ist der Moment gekommen. Deckers fragt den Papst: "Il suo fiore preferito?", was ist Ihre Lieblingsblume? Der Papst antwortet. Deckers ist überglücklich. Die Italienischstunden haben sich gelohnt. Doch was der Papst antwortete, will Deckers nicht verraten. "Die Lieblingsblume des Papstes wird an Ostern 2020 auf der Hinterseite des Blumenschmucks eingearbeitet, damit der Papst sie sehen kann", sagt er. In Gedanken hat er schon die Skizze für den Blumenteppich 2020 auf dem Petersplatz gemacht.