Öffnung der Vatikan-Archive steht unmittelbar bevor

Vatikan-Archivar: Öffentliches Bild von Pius XII. wird sich ändern

Veröffentlicht am 21.02.2020 um 11:48 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ "Ich selber habe bereits ein anderes Bild von Pius als das, was ich andernorts lese", sagt Vatikan-Archivar Johan Ickx. Und das gelte nicht nur für die Themen Holocaust und die Haltung des Papstes zu den Kriegsparteien.

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Die Öffnung des Vatikan-Archivs zum Pontifikat von Pius XII. (1939-1958) wird aus Sicht von Experten das öffentliche Bild des umstrittenen Papstes in Teilen verändern. Je weniger jemand mit der politischen Logik des Heiligen Stuhls im Zweiten Weltkrieg vertraut sei, desto mehr werde er von den Funden überrascht sein, sagte Johan Ickx, Archivar im vatikanischen Staatssekretariat, am Donnerstag im Vatikan. "Ich selber habe bereits ein anderes Bild von Pius als das, was ich andernorts lese", so Ickx. Das gelte aber nicht nur für die Themen Holocaust und Pius' Haltung zu den Kriegsparteien. Nach der Aufarbeitung des Archivmaterials kenne er bereits einen guten Teil. Die Archivbestände zur Regierungszeit Pius' XII., dem Historiker immer wieder mangelnden Protest gegen die NS-Judenverfolgung vorwarfen, sollen ab 2. März für die Forschung zugänglich gemacht werden.

Zu der Haltung und möglichen Protesten des Papstes angesichts der Rassengesetze unter Italiens Diktator Benito Mussolini könne man sicher neue Erkenntnisse erwarten, deutete der aus Belgien stammende Kurienmitarbeiter an. Ähnliches gelte für die Razzia der deutschen Besatzer im römischen Ghetto; diese hatten am 16. Oktober 1943 über 1.000 Juden verhaftet und dann in deutsche Vernichtungslager geschickt.

Dass der Vatikan beim deutschen Botschafter Ernst von Weizsäcker protestierte, sei bekannt aus bereits vorab veröffentlichtem Material, so Ickx. Dazu wie auch zu den ebenfalls bekannten Aktionen römischer Klöster, die damals Juden bei sich versteckten, sei nun weiteres Material zu erwarten, mit dem das Geschichtsbild differenzierter und genauer werde. Das werde aber mindestens ein bis zwei Jahre gründlicher Arbeit erfordern.

Keine Vermittlungsbitte Japans an Papst

Die Öffnung der Archive zum Pontifikat Pius XII. könnte auch ein neues Licht auf das Ende des Zweiten Weltkriegs im Pazifik werfen. So werde sich etwa die Behauptung, Kaiser Hirohito (1901-1989) habe den Papst um Vermittlung bei den US-Amerikanern gebeten, als falsch erweisen, sagte Ickx.

Seit Bekanntgabe der Öffnung der Pius-XII.-Archive durch Benedikt XVI. (2005-2013) hatten Mitarbeiter der Vatikan-Archive das Material neun Jahre lang aufbereitet, damit Geschichtsforscher damit arbeiten können. Vor gut einem Jahr hatte Papst Franziskus entschieden, die Archive zum 81. Jahrestag der Wahl Eugenio Pacellis zum Papst am 2. März zu öffnen. Von den mehr als zwei Millionen Faszikeln allein im Archiv des Staatssekretariats zum Pontifikat von Pius XII. sind nach Aussage von Ickx inzwischen 1,3 Millionen digitalisiert und teils verschlagwortet. Darunter ist auch die Korrespondenz während der Kriegszeit zwischen dem Vatikan und der Nuntiatur in Berlin sowie mit dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl.

Zwei Wochen vor Öffnung der Vatikanarchive zur Amtszeit von waren Forderungen laut geworden, das Seligsprechungsverfahren für den Pontifex zu stoppen. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf sagte am Montagabend bei einer Podiumsdiskussion in Frankfurt: "Seit 1965 läuft ein Seligsprechungsverfahren für Pius XII., das bis zur gründlichen Auswertung der jetzt neu zugänglichen Bestände gestoppt werden sollte." Wolf, der wesentlich an der Aufarbeitung der Archivbestände in Rom beteiligt ist, fügte hinzu: "Das verlangt der Respekt vor unseren jüdischen Freunden." (tmg/KNA)