Manche Gesetze fordern, dass es gebrochen wird

Das Beichtgeheimnis unter Druck

Veröffentlicht am 17.03.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nach einer Beichte müssen Priester über das Gehörte schweigen – so will es die Kirche. Doch in Zeiten von Missbrauch wollen Gesetzgeber in einigen Ländern das Beichtgeheimnis beschneiden. Damit steht ein zentrales Sakrament mit absoluter Vertraulichkeit in Frage.

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Es sind schwere Zeiten für das Beichtgeheimnis: Die absolute Vertraulichkeit des Gesprächs zwischen Priester und Beichtendem wird in Zeiten des Missbrauchs teilweise massiv kritisiert. Täter könnten sich bei der Beichte ohne Bedenken von ihrer Schuld reinwaschen und ungestört weitermachen. Deshalb hat etwa der australische Hauptstadtbezirk Canberra Priester verpflichtet, in der Beichte erfahrene Missbrauchsfälle zu melden – andere Landesteile sind bereits nachgezogen. Auch in weiteren Ländern stehen solche Regelungen zur Diskussion – begleitet von Protest aus den Reihen der Bischöfe.

Dass es das Beichtgeheimnis überhaupt gibt, hat mit dem lehramtlichen Verständnis der Beichte und deren Geschichte zu tun. Bis in das frühe Mittelalter hinein ist die Buße eine öffentliche Angelegenheit. Sünder bekennen ihre Vergehen vor der Gemeinschaft – allerdings bestimmte diese auch, wie oft Buße geleistet werden darf. Zum Teil darf ein Mensch nur einmal in seinem Leben in den "Stand der Büßer" treten.

Erst ab dem 7. Jahrhundert setzt sich durch Einflüsse aus der Ostkirche auch in der katholischen Kirche nach und nach eine mit wesentlich geringeren Hürden verbundene Form der Buße durch: Sünder können ihre Taten nun als Einzelperson im privaten Gespräch mit einem Priester bekennen. Das stellt den Einzelnen weniger bloß und ist viel intimer, wirft dadurch aber auch die Frage nach der Vertraulichkeit des Gesprächs auf.

Der Priester ist nur Mittelsmann

Denn erzählt werden die Sünden zwar einem Priester, der ist aber nur Mittelsmann. Sünden vergeben kann nur Gott allein (KKK 1441). Die "Ausübung der Absolutionsgewalt" hat Gott laut dem Katechismus "dem apostolischen Amt anvertraut". Der Priester handelt bei der Beichte und der Lossprechung von den Sünden also an Stelle Gottes. Das heißt auch, dass der Priester die Gott vorgebrachten Sünden eher als Beifang mitbekommt, für seine persönlichen Ohren sind sie nicht gedacht.

Ein Priester gewährt die Absolution im Beichtstuhl
Bild: ©Fotolia.com/Piotr Slizewski

Nur ein Priester darf von Sünden lossprechen.

Deshalb setzt das Vierte Laterankonzil 1215 in Rom das Beichtgeheimnis in Kraft. Priester, die gebeichtete Sünden weitererzählen, werden von ihrem Amt abgesetzt und müssen sich ins Kloster zurückziehen. Mit der Zeit haben sich die Strafen sogar noch verschärft. Heute droht zu gesprächigen Beichtvätern sogar die Exkommunikation als Tatstrafe – die nur vom Papst wieder aufgehoben werden kann.

In den Jahrhunderten nach der Entscheidung für das Beichtgeheimnis gibt es immer wieder Diskussionen über Ausnahmen. Eine davon betrifft einen Klassiker, der auch in den heutigen Debatten über den Umgang mit gebeichtetem Missbrauch durchscheint: Wie wäre es, wenn ein Priester in der Beichte von einem Mordplan erfährt? Hier gibt es in der Geschichte durchaus Positionen, bei einem solchen Fall das Beichtgeheimnis zu lockern – sie setzen sich aber nicht durch. Im 17. Jahrhundert entscheidet das Heilige Offizium: In der Beichte erworbenes Wissen darf unter keinen Umständen verwendet werden.

Freiheit zur Offenheit

Durch das Beichtgeheimnis soll Beichtenden die Freiheit gegeben werden, wirklich alles zu erzählen, was ihnen auf der Seele liegt – ohne Angst vor Konsequenzen. Dafür ist die vertrauliche Atmosphäre wesentlich. "Sonst funktioniert die Beichte nicht", sagt etwa der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier. Alles andere könnte Menschen vom Bekenntnis ihrer Sünden abhalten. Deshalb gilt das Beichtgeheimnis, "auch wenn Gefahr für Leib und Leben droht", so Bier.

Den beteiligten Priester kann das in eine schwierige Situation bringen, aus der er Wege herausfinden muss. Eine Möglichkeit besteht etwa darin, die Absolution zu verweigern. Das berührt zwar das Beichtgeheimnis nicht, übt aber Druck auf den Beichtenden aus. Der Priester kann dem Beichtenden bei einem schweren Vergehen zudem als Buße auferlegen, sich den Behörden zu stellen oder ihm derart ins Gewissen reden, eventuell bestehende Verbrechenspläne fallen zu lassen. Ein Beichtvater kann aber auch selbst aktiv werden, ohne sein Wissen zu verbreiten. So könnte er das mögliche Opfer eines Mordplans zu sich bestellen und es so vor den Tätern schützen. Am Ende ist der Priester mit seinem Gewissenskonflikt allerdings allein.

Linktipp: Wenn das Beichtgeheimnis an die Grenzen kommt

Darf einem Sexualverbrecher in der Beichte vergeben werden? Ist der Priester dem Beichtgeheimnis streng verpflichtet, auch wenn er von einer Straftat Kenntnis erlangt? Der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister spricht im Interview über das Sakrament der Vergebung.

Bis heute ist umstritten, ob ein Gläubiger seinen Beichtvater von der Schweigepflicht entbinden kann. Bier findet: Nein. Wer die Vertraulichkeit lösen wolle, könne sich entweder selbst offenbaren oder dem Priester das in der Beichte gesagte außerhalb des Beichtgesprächs noch einmal mitteilen.

Übrigens sind auch Unbeteiligte, die durch Zufall Zeugen des Beichtgesprächs werden, zur Verschwiegenheit verpflichtet. Für sie gilt zwar nicht das Beichtgeheimnis, da unterschiedet das Kirchenrecht, moralisch sind sie aber dennoch zur Geheimhaltung verpflichtet. Wer dagegen verstößt, kann bis zur Exkommunikation sanktioniert werden. Als Tatstrafe sieht das Kirchenrecht die Exkommunikation sogar für jene vor, die vorsätzlich aufgenommene Mitschnitte von Beichtgesprächen verbreiten.

Kirchenrecht über staatlichen Regeln

Staatlichem Recht will die Kirche das Beichtgeheimnis aber nicht unterordnen. Im Kirchenrecht heißt es unmissverständlich, als zeugnisunfähig gelten "Priester hinsichtlich jedweder Kenntnis, die sie aus der sakramentalen Beichte gewonnen haben" (Can. 1550 CIC). Aus Sicht der Kirche müsste ein Priester also gegen staatliches Recht verstoßen und gegebenenfalls eine damit verbundene Strafe auf sich nehmen, um das Beichtgeheimnis nicht zu brechen. Erst im Juli 2019 hat der Vatikan nochmals die Bedeutung des Beichtgeheimnisses bekräftigt: Über das Beichtgeheimnis könne "keine menschliche Macht" Jurisdiktionsgewalt beanspruchen. Das deutsche Recht respektiert das Beichtgeheimnis bis heute, die gültige Regelung geht auf das Reichskonkordat von 1933 zurück.

Es ist durchaus fraglich, welche Alltagsrelevanz Regelungen wie etwa in Australien haben. Der ehemalige Priester und Historiker Paul Collins sagte dem Sender ABC: "Kein Pädophiler mit ein bisschen Hirn würde auch nur in die Nähe eines Beichtstuhls gehen, wenn es eine solche Regelung gibt." Zudem sollte beachtet werden, dass die allermeisten Katholiken nur äußerst selten zur Beichte gehen – wenn überhaupt. Verschiedene Beichtregelungen spielten im Alltag also keine Rolle, da kaum gebeichtet würde. Collins nennt solche Gesetze deswegen Symbolpolitik.

Außerdem gibt es andere Formen der Sündenvergeltung. Seit einigen Jahrzehnten haben sich beispielsweise Bußandachten etabliert, in denen gemeinsam ohne individuelle Beichte für die Vergebung der Sünden gebetet wird. Außerdem steht zu Beginn jeder Messe ein Sündenbekenntnis. Das hat zwar nicht die sakramentale Kraft einer Beichte, normale Alltagssünden sind dadurch aber vergeben. Hier sprechen alle den gleichen Text, niemand muss von persönlichen Sünden erzählen. Den meisten Katholiken scheint das zu reichen.

Von Christoph Paul Hartmann