Himmelklar - der neue katholische Podcast

Overbeck: Eine neue Spiritualität durch Corona

Veröffentlicht am 13.04.2020 um 18:25 Uhr – Lesedauer: 

Essen ‐ Viele Menschen arbeiten gerade im Homeoffice, für manche eine neue, gewöhnungsbedürftige Situation. Für den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck ist dieser Zustand seit Jahren Normalität. Er geht mit einer bestimmten Geisteshaltung an die Sache heran.

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Franz-Josef Overbeck ist seit 2009 Bischof von Essen. Zudem ist er auch für die Militärseelsorge und das Hilfswerk Adveniat zuständig. Die Corona-Krise zeige uns hierzulande Probleme, die Menschen andernorts immer hätten, findet er.

Frage: Herr Bischof, wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich gesund?

Overbeck: Ich bin gesund und munter und habe persönlich noch keine Probleme.

Frage: Wie sieht denn Ihr Alltag im Moment aus? Was ist anders?

Overbeck: Der Alltag ist vor allem anders durch die jetzt ausfallenden Termine, die durch die Begegnung mit Menschen gekennzeichnet sind. Es ist ruhiger geworden. Das heißt, ich bin wesentlich häuslicher als ich es sonst bin und auch sein kann. Auf der anderen Seite ist er aber genauso lebendig und auch genauso anstrengend, manchmal sogar noch anstrengender als sonst, weil eben vieles über Telefon- und Videokonferenzen laufen muss, eine ungeheure Anzahl von zu bearbeitenden E-Mails, wesentlich mehr als sonst und anderen Formen – von Instagram über Whatsapp bis hin zu anderen Formen von SMSn, die Sie bearbeiten. Da merken wir im Bischofshaus, dass diese Zeit zwar anders, aber in diesem Sinne nicht ruhiger geworden ist.

Frage: Das heißt, dass Sie jetzt nicht mehr Freizeit haben?

Overbeck: Das kann ich nicht unbedingt sagen. Ich muss einfach meinen Arbeitsstil vollkommen umstellen – und wir müssen es gemeinsam tun mit allen, die hier im Bistum Verantwortung tragen.

Frage: Viele Menschen arbeiten im Homeoffice. Sie sitzen als Bischof im Bischofshaus, arbeiten also sowieso da, wo Sie wohnen. Das ist wahrscheinlich nicht so eine große Umstellung, oder?

Overbeck: Das ist in der Tat bei uns in Essen so, dass ich im Bischofshaus lebe und arbeite. In der unteren Etage sind die Büros und die entsprechenden Räume, wo ich mit Menschen zusammenkomme, oben ist eine Kapelle, eine Gästewohnung und meine private. Sie sehen, das Wort Homeoffice ist für mich auch nicht das richtige, ich arbeite schlicht da, wo ich hingehöre, nämlich im Bischofshaus.

Frage: Wenn Sie so zurückdenken, als Sie als Bischof angefangen haben quasi zu Hause zu arbeiten. Was können Sie uns für Tipps geben? Wie kann man sich darauf einstellen, wenn man nicht morgens und abends immer hin und zurück fährt?

Overbeck: Man muss eine andere Form der Disziplin aufbringen, um sich vorzubereiten auf den Beginn der Arbeit und auch auf das Ende der alltäglichen Arbeit. Aufgrund meiner besonderen Arbeitsfülle, aber auch oft aufgrund des Arbeitszusammenhanges, in dem ich als Bischof stehe, gibt es sowieso die Regeln nicht, die andere Menschen im normalen Arbeitsalltag verfolgen können. Ich weiß genau, in welchem Zuschnitt ich morgens den Tag beginne und abends aber auch vollende. Dazwischen ist eine unendliche Zeit mit ganz vielen unterschiedlichen Aufgaben, die mich ja weiß Gott nicht nur hier im Bischofshaus einlassen. Ich bin ja sehr viel unterwegs bei ganz vielen Menschen, bei Vorträgen, bei Gottesdiensten und bei allem was zum Bischofsalltag dazu gehört.

Bild: ©Harald Oppitz/KNA

Overbeck wohnt und arbeitet im Essener Bischofshaus.

Frage: Inwiefern können Sie denn jetzt noch rausgehen und den Menschen tatsächlich begegnen?

Overbeck: Das ist natürlich schwerlich möglich, weil ich mich genauso an die Vorschriften halte wie jeder andere auch. Aber es kommen vereinzelt immer noch Leute aus guten Gründen, dann aber zu Einzelgesprächen oder wenn wichtige Absprachen zu treffen sind, mit den entsprechenden Abstandsregeln zu mir. Ansonsten geschieht das eben über die Medien, wie ich gerade berichtet habe – und das verlangt viel Zeit und ganz viel Aufmerksamkeit. Das ist zu 90 Prozent mein Alltag mittlerweile.

Frage: Jetzt sind Sie Bischof, aber auch Priester. Das heißt, Sie feiern weiter Gottesdienste. Wie ist denn das vom Gefühl her, wenn man nicht mehr eine Gemeinde vor sich sitzen hat?

Overbeck: Ja, ich wäre kein Bischof geworden, wenn ich nicht Priester gewesen wäre und Diakon. Das bleibe ich natürlich auch. Das gemeinsame Gebet fehlt natürlich sehr und das fehlt vielen Menschen und das bedrückt und bewegt mich genauso wie ganz viele Gläubige, die mir das, sollte ich sie treffen, genauso sagen wie auch schreiben und telefonisch, über E-Mail und über das Netz mitteilen. Das ist so und das macht nochmal deutlich, wie wesentlich für unseren christlichen Glauben die Begegnung ist und damit auch das gemeinsame Gebet und vor allen Dingen auch das Hören von Gottes Wort oder der Empfang der Eucharistie, aber auch viele andere Formen von Gebet. Das ist glaube ich eine der großen Chancen, dass wir genau diese Kultur noch einmal intensivieren. Die Hauskirche mit ihren einfachen Gebeten und dem Bewusstsein wie zum Beispiel am Abend um 19 Uhr hier bei uns in Essen eine Kerze ins Fenster stellen, ein Vaterunser gemeinsam mit ganz vielen  beten, die wir ja nicht sehen, um so zu erfahren, dass wir zusammengehören und gemeinsam beten.

Frage: Gucken wir mal nach Ostern. Das ist doch bestimmt ein merkwürdiges Gefühl, wenn man weiß, man kann an Ostern nicht so feiern wie es eigentlich sein sollte?

Overbeck: Und trotzdem geschieht Ostern im Sinne einer Erinnerung und einer Feier, denn es ist ja schon einmal weltgeschichtlich geschehen und hat uns erlöst und befreit. Wir tun es nun eben auf eine für uns sehr unbekannte Weise. Ich bin auch Adveniat-Bischof und denke an ganz viele Gemeinden und Pfarreien zum Beispiel in Amazonien, die diese Erfahrung, die wir gerade machen, immer haben. Sie können keine Messe feiern. Sie können natürlich zusammenkommen, aber wichtig und wesentlich ist eben, dass sie sie nicht miteinander begehen können. Und so eine Form der Solidarität gehört auch zu meinem Alltag und die lebe ich jetzt mit vielen anderen auch. Außerdem bin ich ja auch Militär-Bischof und weiß ganz genau, wie unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz das tun können. Wenn Priester dabei sind, funktioniert das. Andere können das nicht tun. Das ist auch eine Form des Miteinandergehens, nämlich eine Form des Vermissens, was zu uns gehört. Sehr eingedenk zu sein und trotzdem Ostern feiern zu können.

Frage: Aber das mit Amazonien geht mir die letzten Tage auch durch den Kopf. Vergangenes Jahr die Amazonas-Synode im Vatikan. Da haben wir gedacht, dass ist etwas ganz weites weg, dass Gemeinden keinen Gottesdienst mit Priester feiern können und jetzt ist das ja quasi bei uns, nicht wahr?

Overbeck: Das ist schon lange bei uns, das will nur jeder nicht so wirklich wahrhaben, aber jetzt wird es eben deutlich. Die alten und die kleinen Gemeinden, die keine Priester mehr haben, mit denen sie hätten Gottesdienst feiern können, haben sich schon umgewöhnen müssen, was nicht nur übrigens ein Verlust, sondern auch ein Gewinn sein kann. Aber die Umstände, unter denen in Amazonien der Glaube überleben muss, sind sehr unterschiedlich zu denen, die wir hier haben. Und trotzdem gibt es ein paar Hinweise, die zumindest darauf hindeuten, dass wir doch oft mehr gemeinsam haben als wir denken.

Frage: Ich würde noch einmal zurückkommen auf Ihre Position, auf Ihre Aufgabe als Bischof. Es heißt ja auch Hirte und es heißt ja auch bei den Menschen sein. Wir haben das ja eben schon angesprochen. Wie gehen Sie damit um, dass sie jetzt nicht direkt bei der Gemeinde sein können? Was fühlen Sie dabei?

Overbeck: Die Gemeinde, zu der ich gehöre, bildet ja eine ganz große Gemeinschaft ab. Der Teil, der zum Gottesdienst kommt und mit dem ich feiere bildet ja auch nur eine kleine Gemeinschaft im Verhältnis zu der ganzen Zahl der Gläubigen, die dazu gehören. Jetzt erweitert sich das noch einmal mehr, aufgrund unseres Zeitalters ist eben eine digitale Form von Realität bedeutsamer als früher und als sonst. Ich muss gestehen, dass es mir wichtig ist, daran zu erinnern, dass für ganz viele einfache Menschen das überhaupt nicht möglich ist, was ich ja noch tun kann, mit ganz wenigen feiern und die tun es überhaupt nicht. Die beschäftigen mich sehr, weil sie es nicht können und an die denke ich dann vor allen Dingen und werde für sie und mit ihnen erst recht beten.

Frage: Herr Bischof Overbeck, eine Frage, die ich allen Menschen zum Schluss stelle, ist eigentlich die wichtigste Frage im Moment. Was bringt Ihnen Hoffnung?

Overbeck: In diesen Tagen habe ich wegen der besonderen Gedenk- und Feiertage und der heiligen Woche einen kurzen Podcast gehalten, ein kleines Video eingespielt unter dem großen Thema "Jetzt ist das Ende und was kommt danach?" Vieles in der heiligen Woche bis hin zur Kreuzigung Jesu und die Stille des Karsamstags bezeugt ja eher, dass etwas zu Ende geht ohne dass wirklich klar ist, was kommt danach. Und an Ostern kommt etwas ganz Neues und ich bin der Überzeugung, wie das ja schon mit dem menschlichen Leben ist, dass es in Rhythmen von Jahren auch immer wieder Neues geben kann, dass das dann auch kommen wird, dass wird so sein. Wir werden große sozio-ökonomische Herausforderungen zu bestehen haben, wir werden uns fragen müssen, wie wir uns politisch aufstellen im Sinne von eigener Souveränität und Abhängigkeit von anderen. Wir werden neu fragen müssen: Wie können wir eigentlich so leben, dass wir wissen, wir werden nicht allein selig, sondern zum Beispiel hier bei uns in Europa nur mit allen zusammen und in vielen Punkten erst recht in der Weltgemeinschaft, gerade was den Frieden und die Wohlfahrt angeht. Da bin ich deswegen ganz positiv gestimmt, weil ich weiß, dass die Weltgeschichte schon so viele Formen von Ende und Dramatik gezeigt hat, wo die Menschen nicht wussten, was kommt und es kam dann, wenn auch natürlich oft mit vielen Opfern, die niemand vergessen darf, etwas Neues und das wird jetzt auch kommen.

Von Renardo Schlegelmilch