Antisemitische Aussagen seien bewusst nicht publiziert worden

Hubert Wolf: Vatikan hat Schlüsseltexte zu Pius XII. verheimlicht

Veröffentlicht am 25.04.2020 um 10:05 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Die Arbeiten in den Vatikanarchiven zu Pius XII. müssen wegen der weltweiten Corona-Pandemie aktuell ruhen. Neue Erkenntnisse gibt es trotzdem – und die könnten erklären, warum der Papst nicht laut gegen den Holocaust protestiert hat.

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Der Vatikan hat nach Meinung des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf ein Schlüsseldokument zur Politik von Papst Pius XII. (1939-1958) während der NS-Zeit zurückgehalten. Konkret geht es um ein Schriftstück von 1942 aus der Feder des damaligen Vatikan-Mitarbeiters und späteren Kardinals Angelo Dell'Acqua, wie Wolf am Freitag dem Portal "kirche-und-leben.de" sagte. Darin bezweifelte Dell'Acqua die Glaubwürdigkeit der Angaben einer jüdischen Organisation sowie des damaligen Lemberger Erzbischofs Andrej Szeptyzkyj über die Ermordung einer halben Million Juden innerhalb eines halben Jahrs in der Ukraine.

Dell'Acqua hatte laut Wolf geschrieben, Juden könne man ohnehin nicht trauen und ebenso wenig orientalischen Katholiken, weil sie zu Lügen und Übertreibungen neigten. Diese antisemitische Äußerung sei bewusst nicht in die 1965 publizierte elfbändige Aktensammlung über das Pontifikat, den "Actes et documents du Saint Siege relatifs au Deuxieme Guerre Mondiale", aufgenommen worden.

Es lege aber Gründe offen, warum Pius XII. nicht laut gegen den Holocaust protestiert habe. Es belege, dass der Heilige Stuhl die Informationen über die Ermordung von Juden durch eigene Quellen bestätigen konnte. Um den Papst davon abzuhalten, der amerikanischen Regierung gegenüber die Glaubwürdigkeit der jüdischen Informationen über die Ermordung hunderttausender Juden zu bestätigen, oder gar sich einem öffentlichen Protest der Alliierten gegen den Holocaust anzuschließen, habe Dell'Acqua die beiden voneinander unabhängigen Zeugnisse als unglaubwürdig hingestellt.

Nach den Worten von Wolf wird man der gesamten elfbändigen Dokumenten-Edition über das Pontifikat von Pius XII. gegenüber skeptisch sein und sie Blatt für Blatt überprüfen müssen. "Wenn Pius XII. aus diesem Quellenstudium heller herauskommt – wunderbar. Wenn er dunkler herauskommt, muss man auch das akzeptieren", so der Kirchenhistoriker. "Aber zu meinen, man könne ohne diese Quellenarbeit das Seligsprechungs-Verfahren abschließen – dann wäre die Archivöffnung witzlos." Vier Jesuiten hatten in den 1960er Jahren von Papst Paul VI. den Auftrag erhalten, die Akten des Heiligen Stuhls von 1939 bis 1945 durchzuarbeiten und eine Auswahl der wichtigsten Dokumente zu veröffentlichen.

Arbeiten in Archiven pausieren wegen Corona-Krise

Wolf leitet ein aus sieben Personen bestehendes Forscherteam, das neben vielen anderen Historikern im Vatikan die Archive zu Pius XII. erforschen will. Die Arbeiten begannen Anfang März 2020, mussten aber wegen der Corona-Krise nach kurzer Zeit unterbrochen werden.

Papst Franziskus hatte die Vatikanarchive mit Dokumenten aus dem Pontifikat von Papst Pius XII., mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli, Anfang März öffnen lassen. Historiker hatten in der Vergangenheit wiederholt die Öffnung der Archive gefordert, um das umstrittene Verhalten des Pacelli-Papstes im Umgang mit den Nationalsozialisten erforschen zu können. Pius XII. steht seit langem in der Kritik, zum Holocaust geschwiegen und nicht entschieden genug gegen die NS-Verbrechen protestiert zu haben. Der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth löste 1963 mit der Veröffentlichung seines Theaterstücks "Der Stellvertreter" über Pius XII. eine anhaltende Kontroverse über den Papst aus.

Zwei Wochen vor Öffnung der Vatikanarchive waren Forderungen laut geworden, das Seligsprechungsverfahren für den Pontifex zu stoppen. "Seit 1965 läuft ein Seligsprechungsverfahren für Pius XII., das bis zur gründlichen Auswertung der jetzt neu zugänglichen Bestände gestoppt werden sollte", sagte Wolf damals und fügte hinzu: "Das verlangt der Respekt vor unseren jüdischen Freunden." Der Erfurter Bischof Ulrich Neymeyr pflichtete dem bei: "Da würde ich mich dem Votum von Professor Wolf anschließen, auf jeden Fall zu warten, bis die Ergebnisse der Archivsichtung vorliegen." (cbr/KNA)