Vatikan stellt Mordermittlungen auf deutschem Friedhof ein
Der Vatikan hat die Ermittlungen zu einem möglichen Verbleib der verschwundenen Jugendlichen Emanuela Orlandi auf dem deutschen Friedhof am Vatikan offiziell eingestellt. Der Fall werde zu den Akten gelegt, teilte das Presseamt (Donnerstag) mit. Untersuchungen der fraglichen Gebeine hätten ergeben, dass sie sämtlich älter als 100 Jahre seien und damit weit vor dem Zeitpunkt des Verschwindens von Orlandi 1983 lägen.
Die Altersbestimmung wurde laut der Mitteilung durch den vom Vatikan bestellten Forensiker Giovanni Arcudi im Beisein von Sachverständigen der Familie Orlandi vorgenommen. Die Angehörigen hatten im Sommer 2019 zwei Gräber und eine Gebeinkammer auf dem Gelände des deutschen Priesterkollegs Campo Santo Teutonico öffnen lassen. Dabei wurden Tausende Knochenteile aus unterschiedlichen Epochen geborgen. Der Suche vorausgegangen waren nach Angaben der Familie konkrete Hinweise aus dem Vatikan.
Bruder: "Ein kleiner Schritt vorwärts"
Der Pressesaal betonte am Donnerstag, der Familie Orlandi stehe es frei, privat weitere Untersuchungen an den Gebeinfragmenten vorzunehmen, die in versiegelten Behältern bei der vatikanischen Gendarmerie aufbewahrt würden. Pietro Orlandi, Bruder der Vermissten, sprach von einem "kleinen Schritt vorwärts". Seit Juli 2019 habe die Familie ergebnislos beim Vatikan darum nachgesucht, an bestimmten Knochen eine präzisere Datierung durch eigene Experten vornehmen zu dürfen, sagte er laut italienischen Medien. Die Familie warte immer noch auf "Antworten auf alle Fragen".
Die mehr als zwei Wochen dauernden Nachforschungen im Juli sollten Licht in das Schicksal der jungen Vatikanbürgerin bringen, die im Juni 1983 vom Musikunterricht nicht nach Hause zurückgekehrt war. Es ist einer der mysteriösesten Kriminalfälle Italiens. Zu Orlandis Verschwinden gibt es mehrere Theorien, unter anderem Bezüge zur Mafia und dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 durch den Türken Ali Agca. Ein Hinweis schien auf Gräber zweier deutscher Adliger zu deuten, Sophie von Hohenlohe (1758-1836) und Charlotte Friederike zu Mecklenburg (1784-1840). Die Grabstätten erwiesen sich bei ihrer Öffnung als leer.
Agca hatte sich im August im Fall Orlandi mit einem Brief an Papst Franziskus gewandt. Die Vermisste sei am Leben und befinde sich in einem streng abgeschlossenen Kloster, schrieb Agca. Nähere Angaben zum Ort des Klosters oder zur Ordensgemeinschaft machte er nicht. Sämtliche Vorwürfe einer Verwicklung des Vatikan in eine Vergewaltigung und Ermordung der damals 15 Jahre alten Schülerin seien "Lügen, die das weltweite Ansehen der katholischen Kirche furchtbar beschmutzen", hieß es weiter. "Der Vatikan hat die moralische Pflicht, alles für die Rückkehr Emanuelas zu ihrer Familie im Vatikan zu tun." Auch wenn Franziskus anfangs über die "Verschwörung" um Orlandi in Unkenntnis gewesen sei, besitze er jetzt "alle Macht, um die Freilassung von Emanuela Orlandi kategorisch anzuordnen", so Agca, der sich bereits in seinen Aussagen zum Attentat auf Johannes Paul II. in Widersprüche verwickelt und teils in Fantastereien ergeben hatte. (tmg/KNA)