Laschet: Christliche Hoffnung leitet mich in dieser Krise
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Wie führt man Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland im Corona-Modus? Das verrät Ministerpräsident Armin Laschet im Interview und zeigt sich froh, dass er zumindest auf Abstand wieder Menschen begegnen kann. Auch über die Rückkehr zu öffentlichen Gottesdiensten freut sich der Landesvater von Nordrhein-Westfalen.
Frage: In welcher Lage erwische ich Sie, Herr Laschet?
Laschet: Das ist heute wieder ein Tag mit vielen Telefon- und Videokonferenzen. Das ist ja ein völlig neues Instrumentarium jedenfalls für uns in der Politik gewesen. Manche haben das auch vorher schon genutzt und so ist eine Konferenz nach der anderen. Die erste war heute Morgen um 8, noch von Zuhause aus auf dem Ipad und jetzt gerade in der Mittagszeit hatten wir eine Schalte des gesamten Bundesvorstands mit 70 Leuten und das war dann aus dem Büro.
Frage: Wie kommt man damit klar? Haben Sie sich inzwischen daran gewöhnt?
Laschet: Inzwischen ja. Wenn man selbst das Ipad aufbaut braucht man ein paar Bücher, wo man das Ipad drauf lagern kann, damit der richtige Bildausschnitt da ist. Es ist kurios natürlich vielen Leuten auch mal ins Wohnzimmer zu schauen und zu sehen wie es bei den Kollegen Zuhause aussieht. Und inzwischen hat man sich daran gewöhnt. Ich glaube, dass war eine der lehrreichen Dinge in der Corona-Zeit, dass wir in der digitalen Kommunikation weitergekommen sind.
Frage: Sie machen auf mich einen sehr entspannten Eindruck. Wir sitzen hier auf der Couchecke, wir sitzen nicht mit Maske hier. Eigentlich müssten wir doch viel mehr Abstand haben und mit Masken dasitzen. Wie gehen Sie damit um?
Laschet: Nein, 1,50 m Abstand muss man haben und in Büroräumen muss man keine Masken tragen. Masken soll man da tragen, wo man den Sicherheitsabstand nicht einhalten kann, insbesondere im öffentlichen Personennahverkehr und in Geschäften. Da gilt die Maskenregel, aber all die Menschen, die jetzt in Büros arbeiten, müssen nicht rund um die Uhr eine Maske tragen.
Frage: Aber Sie sind ja ein Mensch, der sich trotzdem relativ viel mit Leuten umgeben muss. Sie müssen Leute treffen und müssen mit denen reden. Hat man da diese Virenangst noch oder geht man da ganz entspannt ran?
Laschet: Ich habe die nicht. Ich habe die nicht, aber es hilft ja auch nichts. Öffentliche Veranstaltungen finden natürlich überhaupt nicht statt. Es gibt keine. Keine Einladung, keine Festakte, keine Termine im Land, das ist schon etwas, dass mir auch fehlt. Auf Dauer lässt sich das Leben nicht digital organisieren, sondern man muss auch Menschen treffen. Das Kabinett tagt in Präsenz, nachdem wir auch lange Zeit digital getagt haben, da haben wir jeweils 1,50 m Abstand und haben deshalb auch einen anderen Raum als üblicherweise. Und ansonsten bewegt man sich zwischen Staatskanzlei und Wohnort.
Frage: Ist es denn ungewohnt, jetzt wieder mehr mit Leuten zusammenzukommen? Muss man sich da wieder reinfinden?
Laschet: Nein, das geht glaube ich schnell, weil es auch viel angenehmer ist.
Frage: Nehmen Sie uns einmal in einen typischen Tag von Ihnen mit. Wie sieht der im Moment von der Tagesgestaltung her aus?
Laschet: Also es ist im Kern eine Bewegung von der eigenen Wohnung in Aachen hin zur Staatskanzlei in Düsseldorf. Ab und an gibt es Termine in Berlin, wobei auch da viele inzwischen digital stattfinden, aber man muss ab und an dann trotzdem noch zu Präsenzsitzungen. Das ist im Moment sehr kompliziert, weil kein einziger Flug ab Düsseldorf geht, ein einziger am Tag ab Köln. Manchmal bin ich dann direkt mit der Bahn gefahren, obwohl das natürlich mehr Zeit in Anspruch nimmt oder sogar ab Frankfurt. Also das zeigt wie schwierig im Moment auch das Bewegen ist. Dann haben wir Landtagssitzungen, auch im Landtag ist der Abstand gewahrt. Auf der Regierungsbank sind immer zwei Stühle frei bevor der nächste Minister kommt. Der Landtag selbst schickt gar nicht alle Abgeordneten. Da hat man sich verständigt wie auch da der Abstand eingehalten wird. Also so prägt der Abstand das Leben. Und thematisch überlagert Corona fast alles. Also 80 Prozent der Themen mit denen man sich im Moment beschäftigt, ist Corona, sind die Schutzverordnungen, ist die Frage: Wo können wir wieder lockern? Wenn wir auch zurückkommen ins Leben, wo müssen wir noch vorsichtig sein? Und das geht ja in jeden Lebensbereich hinein. Insofern ist das schon sehr anspannend und so viel Post wie im Moment habe ich in meinem Leben auch noch nie bekommen. Leute, die scharf kritisieren und andere, die überschwänglich danken, die Blumen schicken oder vieles Andere. Das passiert einem Politiker nicht so oft.
Frage: Wenn wir über den politischen Prozess sprechen. Ich stelle es mir wahnsinnig kompliziert vor, weil bei allen anderen Themen hat man ja jahrelang Zeit sich eine Meinung und einen Standpunkt zu bilden. Jetzt müssen Sie ja quasi auf Sicht fahren. Sie sehen die anderen Länder und die anderen Ministerpräsidenten sehen es teilweise komplett anders, was das Thema Öffnung oder Schließung angeht. Wie geht man an so etwas ran, wenn man nie weiß, das ist jetzt das von dem ich überzeugt bin, dass es richtig ist?
Laschet: Man hat als erstes einmal die wissenschaftlichen Fakten, die hört man sich an. Die verändern sich auch schonmal im Laufe der Zeiten. Mir war aber von Anfang an wichtig, nicht nur die virologische Sichtweise zu hören. Die ist eine wichtige, aber was sagen Kinderpsychologen? Was sagen Sozialverbände? Was sagen Ethiker, Pädagogen, Psychologen? Das ist mindestens genauso wichtig und aus diesem interdisziplinären Ansatz bildet man sich dann seine Meinung, versucht Mehrheiten zu finden und setzt es dann um.
Frage: Haben Sie denn manchmal im Hinterkopf diese Zweifel: Ist das denn richtig was wir jetzt machen?
Laschet: Ja, klar. Man trifft ja eine Entscheidung und man muss wissen, selbst wenn man alles verbietet, ganz am Anfang des Lockdown, hat das auch schon Schäden zufolge. Wenn Kinder über Wochen lang nicht mehr in die Schule kommen, wenn Kinder, die unter Kindeswohlgefährdungen standen, nicht mehr gesehen werden, weil sie nicht mehr zu den Untersuchungen und den Kinderärzten gehen, nicht mehr in der Kita oder der Schule gesehen werden, dann überlegt man: Ist das richtig? Man schaut sich mehrmals am Tag die Zahlen an. Wie entwickelt sich die Infektion in Nordrhein-Westfalen in unseren Städten und Kreisen. Mit dem Gedanken wacht man auf und mit dem Gedanken geht man abends schlafen.
Frage: Das heißt also, es gibt nicht den Königsweg von dem man überzeugt ist, sondern man trifft eine Entscheidung und muss mit den Konsequenzen leben?
Laschet: Ja, Udo di Fabio hat das mal genannt: "Risikoentscheidungen unter Unsicherheitsbedingungen." Man entscheidet ja immer und wägt Risiken ab, bei jeder ganz normalen Zeit ohne Corona. Aber hier entscheiden Sie in Risikoentscheidung und Sie haben nicht einmal eine Klarheit, welche Folge das hat. Wenn ich mal die Öffnungen nehme, da gab es ja die Diskussion: Sind wir zu forsch oder zu schnell? Die erste Öffnung in Nordrhein-Westfalen war am 20. April. Wir haben zum Stand heute die Infektionen halbiert. Die nächste Öffnungsrunde war am 6. Mai, also vor zwei Wochen, das ist die übliche Inkubationszeit. Wir sinken immer noch von Tag zu Tag. Deshalb bin ich heute etwas sicherer, dass das richtig war, aber das ist nicht für alle Zeiten so beantwortet. Wenn jetzt im Sommer viele Menschen in den Urlaub fahren und das Virus wieder mitbringen, ist das Risiko wieder da und wenn im Winter wieder die Menschen Schnupfen und Husten haben, werden auch wieder die Viren übertragen. Insofern muss man Stück für Stück immer auf Sicht fahren.
Frage: Sind Sie froh über die Freiheiten, die Ihnen der Föderalismus da bietet? Dass Sie anders entscheiden können als andere Länder, die andere Voraussetzungen haben? Oder macht es das eher komplizierter?
Laschet: Naja, das macht es insgesamt komplizierter. Ich glaube aber, das ist mit einer der Gründe, weshalb Deutschland sehr gut durch die Krise gegangen ist. Wenn in einem Zentralstaat einer an der Spitze falsch entscheidet, ist es für 80 Millionen Leute falsch. Hier können Sie differenzieren. Man kann auch mal sehen, wie es im Nachbarland gelaufen ist. Wie haben die das in Rheinland-Pfalz oder in Niedersachsen hinbekommen? Beispielsweise bei den ganzen Schulfragen gucken wir sehr darauf, wie wir das in den 16 Ländern mit vielen Ideen hinbekommen. Und dann muss man wissen: Ein Großteil der Entscheidungen fällt ja vor Ort in den Gesundheitsämtern. Und die kann man nicht zentral aus Berlin steuern, da braucht man schon eine föderale Struktur.
Frage: Lassen Sie uns einmal auf das kirchliche Leben, das gottesdienstliche Leben schauen. Wir können wieder in die Kirchen gehen. Es gibt Leute, die sind froh darüber, es gibt Leute, die sind vorsichtiger. Waren Sie selber schon im Gottesdienst?
Laschet: Ja. Wir haben in NRW, auch als alles verboten wurde, nie Gottesdienste verboten. Die Religionsgemeinschaften haben selbst erklärt, dass sie darauf verzichten, und wir als Staat nehmen das zur Kenntnis. Im Ergebnis ist das das Gleiche. Trotzdem wäre es noch mal von anderer Qualität, wenn der Staat Kirchen oder Synagogen schließt. Das haben wir nie gemacht und die Konzepte, die dann entwickelt worden sind, insbesondere vom Kölner Erzbischof, sind ja heute in ganz Deutschland, würde ich mal sagen, Standard. So kann man auch in Corona-Zeiten Begegnung möglich machen, auch im Gottesdienst.
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Laschet: Das war schon etwas Besonderes. Ich meine ein Osterfest ohne die Gemeinsamkeit ist schon... ich weiß nicht, ob es das in 2.000 Jahren allzu oft gegeben hat. Denn selbst in den Zeiten der größten Not des Krieges oder wann auch immer, hat es immer Gottesdienste gegeben. Und gerade in den Notzeiten haben die Leute auch Sehnsucht gehabt nach den Gottesdiensten. Und dass wir in diesem Jahr das nicht hatten, dass man einen einsamen Papst auf dem Petersplatz sieht, hat schon die weltweite Dimension dieser Pandemie sichtbar gemacht.
Frage: Aber es fühlt sich doch ein bisschen komisch an, oder? Ich fühle mich da nicht wirklich wohl in der Kirche im Moment.
Laschet: Ja klar, logisch. Im Moment?
Frage: Nein.
Laschet: Aber besser, als wenn sie zu ist.
Frage: Das ist auch ein Argument.
Laschet: Ich war bei dem Gottesdienst für Norbert Blüm in der Bonner Elisabethkirche. Bei der Beerdigung einer solchen Persönlichkeit wäre die Kirche normalerweise brechend voll gewesen. Und man saß jetzt in der Kirche, die glaube ich 1.200 Plätze hat, mit hundert Leuten. Das ist nicht schön, aber es ist besser als gar nichts.
Frage: Sie wollen ja eigentlich CDU-Chef werden. Das ist jetzt aber etwas, dass vollkommen in den Hintergrund gerückt ist. Der Sonderparteitag konnte nicht stattfinden. Ist das etwas, was Ihnen im Moment noch durch den Kopf geht oder ist das gerade ganz weit weggerückt?
Laschet: Es ist ganz weit weggerückt, vor allem in den letzten Wochen seit März. Das Verrückte war ja, als an dem Tag, an dem ich die Kandidatur erklärt habe, das war der Dienstag nach Karneval, also Veilchendienstag. Da trat am Abend der erste Fall auf, und zwar in Gangelt im Kreis Heinsberg. Da konnte man die Dimension, die es nachher genommen hat, noch nicht erkennen. Aber ab dem Zeitpunkt, wo das zunahm, war das andere Thema völlig verdrängt. Übrigens auch für die Bürger draußen war das gar kein Thema mehr. Und jetzt merke ich, beginnen die ersten wieder darüber zu reden. Für mich ist Dezember trotzdem noch sehr sehr weit weg.
Frage: Karneval ist auch noch weit weg, oder?
Laschet: Das ist noch weiter weg.
Frage: Köln hat ja jetzt gesagt, dass es auf alle Fälle in irgendeiner Form stattfinden soll. Euskirchen hat gesagt, dass sie es garantiert nicht öffentlich machen werden. Wie stehen Sie dazu?
Laschet: Das kann ich noch nicht beantworten. Das kann auch niemand beantworten. Also ich würde den 11.11. mal nicht stattfinden lassen, der war für mich ohnehin nie Karneval, sondern eher Sankt Martin. Karneval beginnt für mich immer erst mit der Prinzenproklamation und der Zeit danach und was im Januar und Februar ist, kann heute niemand sagen. Ich weiß, dass die Vereine planen müssen, aber auch da würde ich empfehlen auf Sicht zu fahren. Alles jetzt absagen ist vielleicht zu früh.
Frage: 11.11. stimme ich zu. Das kommt immer so aus dem Nichts und am nächsten Tag ist dann auch nichts mehr.
Laschet: Ja, ja.
Frage: Herr Ministerpräsident, die Abschlussfrage, die jeder in dem Gespräch beantworten muss, die auch der Kern der ganzen Idee so ein bisschen ist: Wenn Sie sich in Ihrem Alltag im Moment umgucken: Was bringt Ihnen Hoffnung?
Laschet: Hoffnung macht in so einer Zeit, wo alles so eigentlich traurig, trüb ist und sich alles um Intensivstationen und Betten, Masken und Distanz dreht, wie sehr sich die Menschen für Andere in dieser Zeit engagiert haben. Also man hat mal gesehen was kann eigentlich dieses Land. Das war besonders ganz am Anfang als die Leute, die die Lebensmittelversorgung gesichert haben, gesagt haben: "Wir machen das." Am Anfang haben die nicht einmal Masken gehabt, in den Krankenstationen und Altenheimen. Man hat sich nur um den Anderen gekümmert, viele Jüngere haben für Ältere Besorgungen gemacht, haben sehr fantasiereich auch versucht die Einsamkeit von Menschen zu durchbrechen. Und dass es so etwas in der Gesellschaft gibt, das macht mir Hoffnung. Und von den Christen ist immer die Hoffnung da, dass es am Ende zum Guten gewendet wird. Und das hat mich auch in dieser ganzen Krise geleitet.