Früherer Anglikaner-Primas wird 70 Jahre alt

Rowan Williams: Das anglikanische Pendant zu Joseph Ratzinger

Veröffentlicht am 14.06.2020 um 13:13 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/London ‐ Wie Benedikt XVI. bei den Katholiken, gab auch Rowan Williams sein Amt als Primas der Anglikaner vorzeitig zurück. Der Intellektuelle war zunehmend von seinem Amt erschöpft – ihn drängte es zurück zu Literatur und Forschung.

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Seit Rowan Williams 2012 die Mitra des Erzbischofs von Canterbury ablegte, wirkte er erleichtert. Erleichtert um die Last des Amtes als Primas der schwierigen anglikanischen Weltgemeinschaft; erleichtert um die Verantwortung für den Zusammenhalt der Streithähne um Bischöfinnen und homosexuelle Bischöfe; erleichtert um einen Bischofsstab und schwere goldene Gewänder. Ein einfacheres Leben? "Na, was denken Sie denn?", fragte er einmal übermütig den Reporter einer Homestory in Cambridge. Am diesem Sonntag nun wird Rowan Williams 70 Jahre alt.

Nach zehn turbulenten Jahren im Amt (2002-2012) war seine Erschöpfung fast greifbar gewesen. Für diesen unmöglichen Posten brauche man "die Konstitution eines Ochsen und die Haut eines Rhinozeros", sagte er damals. Wie sein katholisches Pendant Joseph Ratzinger, bevor der zum Papst gewählt wurde (Benedikt XVI., 2005-2013), drängte es Williams zurück zu Forschung und Literatur. Er folgte einem Ruf ans Magdalene College in Cambridge.

Williams' These: Skakespeare war katholisch

Ende 2016 schloss er, der walisische Barde und Poet, ein Theaterstück über William Shakespeare (1564-1616) ab – zu dessen 400. Todestag. Tief ist Rowan Williams dafür in die Shakespeare-Forschung eingestiegen. Die These des einst obersten Anglikaners: Der Dichter war höchstwahrscheinlich katholisch. Das Stück basiert auf fiktiven Gesprächen zwischen dem jungen Shakespeare und dem katholischen Ordensmann Edmund Campion (1540-1581). Williams: "Ich fand es wundervoll, mit dem Gedanken zu spielen: Was haben ein jesuitischer Märtyrer und ein Mann wie Shakespeare einander wohl zu sagen gehabt?"

Selbst als Primas hat sich der Professor-Poet Williams Zeit zum Schreiben genommen. Einige Gedichte von damals erschienen später in Buchform. "Naja, ich hatte damals schon einen Ganztagsjob", sagt er trocken. Den er aber doch auch gerne übernommen hat? – "Nicht allzu sehr. Warum auch? Nun ja, da war wohl dieser törichte, eitle und unreife Teil von mir, der sagte: 'Oh, ein wichtiger Posten – wie überaus nett.' Aber der Rest von mir, der warnte: 'Ach, jetzt hör aber auf!'"

Kathedrale von Canterbury: Zentrum der der anglikanischen Kirche.
Bild: ©Creative Commons/Tony Hisgett

Die Kathedrale von Canterbury ist das Zentrum der der anglikanischen Kirche.

Vor seiner Bischofskarriere lehrte Williams in Oxford. Von Haus aus ein waschechter Liberaler, musste er als Primas immer wieder die Brücke zwischen Traditionalisten und allzu linkslastigen Reformern schlagen. "Seine Liberalen" fühlten sich dabei von ihrem einstigen Mitstreiter vergessen. Schon wieder so ein Shakespeare-Motiv: der Falstaff aus "Heinrich V.".

Als der gebürtige Waliser im Dezember 2002 Erzbischof von Canterbury wurde, war er ein mit 52 Jahren noch vergleichsweise junger Hoffnungsträger: Barde, Dichter, Druide. Doch sein Amt als Diener der Kircheneinheit hat ihn manches Mal wider Willen nach rechts gedrückt. Vor allem seine lesbischen und schwulen Freunde hätten sich von ihm im Stich gelassen gefühlt.

Tatsächlich brachte seine reflektierte Intellektualität zu vielen Fragen von Kirche und Gesellschaft selbst viele seiner Landsleute an den Rand ihrer Englischkenntnisse. Volkstümlichkeit und Populismus waren nie seine Sache. Mit rhetorischer Brillanz legte Williams zwar häufig seine Hand in soziale Wunden, sprach unbequeme Wahrheiten an. Leider gelang es ihm dabei häufig nicht, sich selbst zu übersetzen.

Zu nett für den Job?

Vieles von dem Spott, der während seiner Amtszeit über ihn ausgegossen wurde, ärgerte Williams noch Jahre später. "Einige Leute sagten, er war ein zu netter Mensch für den Job, zu intelligent und sogar zu heilig, um eine Kirche zu leiten, deren Mitglieder sich wie ein Sack Katzen prügeln konnten", schrieb der "Daily Telegraph". Andere hätten gemeint, er sei "viel zu sehr aus der Welt, um von irgendeinem Nutzen zu sein".

Ein Höhepunkt von Williams' Amtszeit war die "Royal Wedding" von Kronprinz William und Kate Middleton im April 2011. Der Erzbischof von Canterbury, der sich selbstironisch auch als "skurriler Pfarrer der Nation" bezeichnete, hatte einen besseren Platz als Hunderte TV-Kameras und Millionen Briten am Fernseher, als er dem Paar stellvertretend für Volk und Kirche den Segen gab. Ein Bonbon und Trostpflaster für das wohl anstrengendste Jahrzehnt seines Lebens. Was bleibt, sind eine Unmenge zusätzlicher Lebenserfahrung und ein Sitz im britischen Oberhaus.

Von Alexander Brüggemann (KNA)