Statuen und Straßen: Wo problematische Kirchenmänner gewürdigt werden
Auch diese Bilder gehen um die Welt: Aktivisten stürzen in San Francisco und in Los Angeles im US-Bundesstaat Kalifornien Junípero Serra vom Sockel. Andernorts wurden Statuen beschmiert oder aus Angst vor Vandalismus in Sicherheit gebracht. Der gebürtig aus Mallorca stammende Franziskaner (1713-1784) hat zahlreiche Missionen im damals zu Neuspanien gehörenden Kalifornien gegründet und gilt unter anderem als Gründer der Stadt San Francisco. Nach der Seligsprechung 1988 sprach ihn Papst Franziskus 2015 heilig. Standbilder von ihm stehen in vielen Kirchen und auf öffentlichen Plätzen in Kalifornien, sogar das Kapitol in Washington beherbergt eine Büste von ihm.
Doch schon vor seiner Heiligsprechung hagelt es Kritik an dem Kirchenmann: Gut 10.000 Menschen unterzeichnen eine Petition gegen die Kanonisation. Im Mittelpunkt steht dabei sein Umgang mit Indigenen. Er soll zehntausende Ureinwohner zwangsmissioniert und gefangen gehalten haben. Dabei habe er dafür sorgen wollen, ihre Sprache und Kultur auszulöschen. Deshalb ist sein Wirken im Zusammenhang mit den "Black Lives Matter"-Protesten in den Fokus von Aktivisten gerückt. So forderte die Indigenenvertreterin Julie Tumamait-Stenslie gegenüber dem "Ventura County Star", sein Bildnis vor dem Rathaus der Stadt Ventura abzubauen. "Diese Statue steht für eine sehr dunkle Zeit in unserer Geschichte. Sie abzubauen gibt uns Raum zum Atmen, ohne dass wir uns immer daran erinnern müssen, was uns und unseren Familien angetan wurde." Die katholischen Bischöfe Kaliforniens haben Serra dagegen erst am Dienstag verteidigt: "Die historische Wahrheit ist, dass Serra immer wieder bei den spanischen Behörden auf eine bessere Behandlung der Ureinwohner gedrängt habe", schreiben sie in einer Stellungnahme.
Die weltweiten Proteste gegen Rassismus werfen auch die Frage nach der Erinnerungskultur einer Gesellschaft auf. Besonders das spektakulär im Bristoler Hafenbecken versenkte Standbild des Sklavenhändlers Edward Colston hat gezeigt, dass auch auf europäischen Plätzen zum Teil noch Persönlichkeiten mit problematischer Vita die Ehre von Denkmälern zu Teil wird. Dazu gehören auch Kirchenmänner: So ist etwa Antonio Vieiras Denkmal in Lissabon mit Farbe beschmiert worden. Der Jesuit und Missionar in Brasilien hate sich zwar für die Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens eingesetzt, Zwangsarbeit und Sklaverei soll er allerdings gutgeheißen haben.
Historisch fragwürdige Kapelle
Doch auch in Deutschland finden sich Würdigungen mit fadem Beigeschmack. Eines der historisch eindrücklichsten Beispiele ist sicherlich die Wernerkapelle in Bacharach am Mittelrhein. 1287 wird die Leiche des 16-jährigen Tagelöhners Werner von Oberwesel hier angeschwemmt. Sein ungeklärter Tod wird instrumentalisiert und Juden als Ritualmord angelastet, es folgen Pogrome und eine Verehrung Werners unter anderem in Bacharach, wo ihm zu Ehren die Wernerkapelle entsteht. Den antijüdischen Kult um Werner verarbeitet nicht zuletzt Heinrich Heine in seiner Erzählung "Der Rabbi von Bacherach". Heute bekennt in Bacharach eine Plakette mit einem Gebet von Papst Johannes XXIII. das "Kainsmal" der christlichen Judenfeindlichkeit. Immer wieder wurden Juden angebliche Ritualmorde an Kindern unterstellt: Um Anderl von Rinn, Simon von Trient und William von Norwich existierten ähnliche Kulte.
Auch Vertreter gar nicht allzu lange vergangener Zeit finden sich mancherorts: So stellte die kroatische katholische Gemeinde in Koblenz im Januar eine Büste von Kardinal Alojzije Viktor Stepinac auf, der zwischen 1937 bis 1960 Erzbischof von Zagreb war. Der 1998 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochene Kleriker spielt eine zwiespältige Rolle zur Zeit des faschistischen Ustascha-Regimes: Einerseits bemängeln Kritiker, er habe Konzentrationslager nie kritisiert und sich nie für Roma eingesetzt. Nach dem Sturm auf orthodoxe Klöster und der Zwangskonversion von 250.000 Serben kritisiert er zwar die Art des Geschehens, nicht aber die Ziele selbst. Andererseits setzt er sich für Juden und Serben ein. Für manche ist er ein Kollaborateur, für andere ein Heiliger.
Probleme auf Straßenschildern
Auch in der immer wieder geführten Auseinandersetzung um die Benennung von Straßen in Deutschland fallen die Namen von Kirchenmännern. Eine von der Stadt Freiburg beauftragte Kommission schreibt etwa vom Priester Alban Stolz (1808-1883). Er gilt in seiner Zeit als der "größte katholische Volksschriftsteller deutscher Zunge", der vor allem mit seinen Kalendern eine breite Leserschaft erreicht. In vielen seiner Schriften zeigt sich laut der Kommission ein "aggressiver Antisemitismus": "Für ihn sind die Juden Urheber aller Missstände der Gegenwart, in der Emanzipation der Juden sieht er die 'drohende Beschneidung Deutschlands', eine 'jüdische Übermacht' durch die 'Verjudung des Zeitungswesens' und durch die 'Börsen- und der Bankjuden' als gegeben. Und überall ortet er Anzeichen für eine jüdisch-freimaurerische Verschwörung." Dazu benutzt er im Hinblick auf Juden Tier-, Pflanzen- und Seuchenmetaphern. Für die Kommission ist er "mit Sicherheit einer der wichtigsten antisemitischen Publizisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, dessen Wirkungsgeschichte gerade auch im katholischen Milieu bis weit in das 20. Jahrhundert hineinreichte". Sie schlägt eine Umbenennung vor. Noch heute steht seine Statue vor dem Priesterseminar der Erzdiözese. Die möchte die Statue zwar entfernen, die Denkmalschutzbehörde der Stadt hat das bisher aber abgelehnt. Das ehemals nach Stolz benannte katholische Studentenwohnheim wurde jedoch mittlerweile umgewidmet: Seit 2017 heißt es nach dem Heiligen Alban von Mainz “St. Alban”.
Als weniger schwerwiegend stuft die Kommission beispielsweise die Benennungen nach Stolz' Schüler Heinrich Hansjakob (1837-1916) und des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber (1872-1948) ein. Hansjakob übernimmt den Antisemitismus seines Lehrers, ist aber auch für die Revolution von 1848 sowie gegen Modernisteneid, Militarismus und Kolonialismus. Gröber sieht den Nationalsozialismus anfangs positiv und nutzt in Texten "judenfeindliche Äußerungen", die "nationalsozialistische Sprachmuster benutzen". Bald wendet er sich allerdings von den Nationalsozialisten ab, die Gestapo bezeichnet ihn 1935 als "der übelste Hetzer gegen das Dritte Reich". In seiner Silvesterpredigt 1939 greift er Hitler direkt an. "Lediglich sein Amt als Erzbischof bewahrte ihn vor einer Anklage als Hochverräter", schreibt die Kommission. Zudem unterstützt er eine Rettungsaktion verfolgter Christen jüdischer Herkunft finanziell. In den Fällen von Hansjakob und Gröber empfiehlt die Kommission lediglich Ergänzungsschilder, die auf ihre je zwiespältige Vita hinweisen.
Debatte auch außerhalb Deutschlands
Das Thema der Würdigung in Straßennamen beschäftigt aber auch Kommunen außerhalb Deutschlands. So ist eine Straße in der österreichischen Hauptstadt Wien nach Sebastian Brunner (1814-1893) benannt. Schon 1970 bezeichnete die Historikerin Erika Weinzierl Brunner als "Schlüsselfigur im katholischen Antisemitismus Österreichs". Eine Wiener Kommission befindet, dass er "weit über den üblichen katholischen Antisemitismus hinaus" gehe. Ähnliches gilt für seinen Nachfolger als Chefredakteur der Wiener Kirchenzeitung, Albert Wiesinger (1830-1896). Er habe einen Antisemitismus vertreten, "der dem Brunners kaum nachstand", heißt es.
In Deutschland sind noch keine Denkmäler gefallen, die Diskussionen etwa zur Stepinac-Büste oder den Straßenbenennungen laufen jeweils schon länger. Oft ist es keine Sache der Kirche, über Benennungen zu entscheiden – Straßennamen etwa sind eine Angelegenheit der jeweiligen Kommune. Dennoch zeigt sich, dass sich problematische Akteure aus der "zweiten Reihe" auch unter Kirchenleuten finden, deren Aktivitäten heutzutage zum Teil unter der Aufmerksamkeitsschwelle liegen. Die Aufarbeitung ihres Handelns bleibt eine Aufgabe – die durch die gewachsene Aufmerksamkeit für die Erinnerungskultur einen Schub bekommen könnte.