Sterbehilfe: Kirchen sehen Akzentverschiebung mit erheblichen Folgen
Bei der Frage nach der Neuregelung der Sterbehilfe halten beide Kirchen weiter an ihrem Widerstand gegen eine geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid fest. Nach der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat nun auch die katholische Deutsche Bischofskonferenz eine Stellungnahme zur möglichen Neufassung des Paragrafen 217 StGB vorgelegt. Beide antworten damit auf eine Anfrage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Kirchen hatten gemeinsam maßgeblich zum Verbot "geschäftsmäßiger" Sterbehilfe durch den Bundestag beigetragen, das das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom Februar wieder aufgehoben hat. Jetzt unterscheiden sie sich aber in einem entscheidenden Punkt: dem Verständnis der Selbstbestimmung - und damit in ihrer Haltung zur anstehenden Gesetzgebung.
Das Kommissariat der Deutschen Bischöfe geht in seiner Stellungnahme ausführlich auf das Selbstbestimmungsrecht ein. Denn dies betrifft auch den Kern der Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die katholischen Bischöfe beklagen eine "Akzentverschiebung" zu einem rein individualistischen Verständnis "autonomer Selbstbestimmung". Der Mensch lebe demgegenüber immer in und aus Beziehungen, und zum Leben gehöre wesentlich das "Angewiesen- und Ausgesetztsein", betonen die Bischöfe.
Selbsttötung wegen Lebensängsten, Einsamkeit, Hilflosigkeit
So warnen sie zugleich vor "gravierenden Folgen" eines solchen Menschenbilds "für das gesellschaftliche Selbstverständnis und Zusammenleben" - weit über die Frage des Suizids hinaus. Anders gesagt, was hier auf dem Spiel steht, ist die Grundlage gesellschaftlicher Solidarität. Gerade beim Suizid zeigt sich für die katholische Kirche, wie sehr der Mensch auf Hilfe und Zuneigung Anderer angewiesen ist, wenn etwa die Suizidforschung belegt, dass der Entschluss zur Selbsttötung bei alten Menschen zumeist aus Lebensängsten, Einsamkeit oder Hilflosigkeit erfolgt. Umgekehrt wirkt das soziale Klima gerade auf die Schwächsten der Gesellschaft besonders ein.
Für die katholischen Bischöfe ergibt sich daraus: "Nicht die Hilfestellung zum Suizid, sondern die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven ist dringend geboten". Der Schwerpunkt liegt auf der Stärkung von Seelsorge, Suizidprävention, psychiatrisch-psychotherapeutischer Arbeit sowie von Angeboten der Palliativ- und Hospizversorgung vor allem in der Regelversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern.
Dass an den "Grenzen des Lebens" Extremsituationen entstehen können, "deren Aussichtslosigkeit und Belastungen einen Menschen zu einer suizidalen Handlung drängen", räumen sie durchaus ein. Diese Menschen verdienten "keine Verurteilung, sondern in ihrer Gefährdung und Verletzlichkeit einfühlende Aufmerksamkeit". So bekräftigen die Bischöfe, dass sie die Beihilfe zum Suizid für ethisch problematisch erachten und Angebote der Suizidassistenz - sei es durch Ärzte, Vereine oder Einzelpersonen - nach wie vor ablehnen. Eine Ausweitung der Angebote für Suizidbeihilfe, wie sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nahelegt, ist für sie daher mit den Grundüberzeugung der Kirche "nicht in Einklang zu bringen".
Kein Zwang zur Suizidbeihilfe
Die EKD verlangt ebenfalls eine stärkere Unterstützung und warnt vor Normalisierung des Suizids. Sie hebt allerdings - wie schon bei anderen Themen der Bioethik und des Lebensschutzes - die "Selbstbestimmung in verantworteter Freiheit" besonders hervor und tritt für ein "Einzelfall-bezogenes Verfahren" ein. Damit bestimmt der Einzelfall die Regel. Das Prozedere soll vor allem die freie Entscheidungsfindung sicherstellen und dafür "auf multiprofessionelle Kompetenzen zurückgreifen, auch wenn den Ärztinnen und Ärzten hier besondere Verantwortung zukommt". Dem Text ist der Kompromisscharakter zwischen einer individualethischen und einer sozialethischen Ausrichtung durchaus anzumerken. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete von entsprechenden Auseinandersetzungen innerhalb der EKD bei der Erarbeitung.
Die katholische Kirche sieht hingegen keinen Raum für eine Institutionalisierung der Suizidbeihilfe. Deshalb beharrt sie darauf, dass Dienste und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege nicht zu einer Teilnahme daran gezwungen werden dürfen: "Ansonsten würde das Profil kirchlicher und caritativer Einrichtungen in ihrem Kern in Frage gestellt, da diese sich der Förderung des Lebens verschrieben haben." Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM) und Bündnis katholischer Träger sozialer Einrichtungen haben bereits deutlich gemacht, dass für sie eine Beihilfe zum Suizid nicht in Frage kommt.