Diese Konsequenzen hat ein Kirchenaustritt
Ob jemand auf den Papst losstürmt und ihn verprügeln will oder schlicht keine Lust hat, die Kirchensteuer zu bezahlen, macht für die meisten Menschen wohl einen großen Unterschied. Kirchenrechtlich gesehen werden beide Fälle aber sehr ähnlich behandelt. Wer dem Papst "physische Gewalt" antut, zieht sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu, so will es Canon 1370 des kirchlichen Gesetzbuchs "Codex Iuris Canonici" (CIC). Bei einem Kirchenaustritt fällt das Wort "Exkommunikation" seit 2012 zwar nicht mehr, die Konsequenzen sind aber fast die gleichen geblieben.
Mit dem Verzicht auf die Mitgliedschaft in der Kirche verliert eine Person laut dem Dekret der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) von 2012 das Recht, Sakramente zu empfangen, kirchliche Ämter zu bekleiden, Tauf- oder Firmpate zu sein, Mitglied von pfarrlichen oder diözesanen Räten zu werden oder diese zu wählen sowie Mitglied in öffentlichen kirchlichen Vereinen zu sein. Die Taufe ist zwar ein unauslöschliches Prägemal und kann nicht verloren werden, die rechtliche Stellung eines Ausgetretenen ist durch die kirchlichen Restriktionen aber auf ein absolutes Minimum heruntergefahren.
Die Bischöfe begründen diese strengen Maßnahmen damit, dass der Austritt "eine willentliche und wissentliche Distanzierung von der Kirche" darstelle und eine "schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft" sei. Zudem verstoße die betreffende Person damit gegen die Pflicht, die Einheit mit der Kirche zu wahren (Can. 209 CIC) und sie finanziell zu unterstützen (Can. 222 CIC).
Harte Maßnahmen
Aber sind diese Maßnahmen nicht ein wenig zu hart gegenüber Menschen, die vielleicht einfach nur ein Problem mit der Kirchensteuer haben? Kritik gibt es gegen das Vorgehen der Kirche gegenüber Ausgetretenen schon lange. Im Zentrum steht dabei der Vorwurf, die Kirche unterscheide nicht nach dem Grund des Austritts, sondern unterstelle allen Ausgetretenen pauschal, sich durch einen "öffentlichen Akt" von der Kirche zu distanzieren. Dabei bedeutet der Austritt im Prinzip nichts anderes, als keine Kirchensteuer mehr zu bezahlen. Das ist durchaus ein Akt des Ungehorsams – der im Can. 222 des kirchlichen Gesetzbuches allerdings nicht mit Konsequenzen belegt ist.
Bis zum Jahr 2012 verhängte die Kirche beinahe die gleichen Konsequenzen wie heute, bezeichnete das Ganze aber noch als Exkommunikation. Der Austritt wurde als schismatische und/oder häretische Positionierung gewertet. Dagegen hatte aber sogar der Vatikan Bedenken. Im Jahr 2006 verschickte der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte ein Rundschreiben an alle Bischofskonferenzen, in dem er sich – in einem völlig anderen Zusammenhang – mit dem Abfall von der Kirche beschäftigte. Darin hielt er fest: "Der rechtlich-administrative Akt des Abfalls von der Kirche kann aus sich nicht einen formalen Akt des Glaubensabfalls in dem vom CIC verstandenen Sinn konstituieren, weil der Wille zum Verbleiben in der Glaubensgemeinschaft bestehen bleiben könnte." Der unterschiedslose Automatismus war also nicht in Ordnung.
Die Kirche in Deutschland handelte, indem sie 2012 das neue Dekret erließ – änderte an den bisher verhängten Konsequenzen inhaltlich aber kaum etwas: "Die deutschen Bischöfe interpretierten die römische Zurechtweisung öffentlich kontrafaktisch als Bestätigung ihrer eigenen Theorie und Praxis und hielten daran fest", schreibt der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke in einem Aufsatz. Für den Austritt verfügt die Kirche nun "eine Kaskade von Rechtseinschränkungen, die sich nur minimal von der Totalentrechtung durch Exkommunikation unterscheidet". Lüdecke wirft den Bischöfen vor, "quer durch das ganze kirchliche Gesetzbuch alle möglichen Rechtsbeschränkungen" gesammelt zu haben, "um sie dann gebündelt aufzuerlegen, so dass, was formal keine Exkommunikation ist, sich doch so anfühlt".
Kein Unterschied zwischen Glauben und Körperschaftszugehörigkeit
Die Kirche hingegen legt großen Wert darauf, dass Gläubige nicht nur glauben, sondern auch Mitglied der Organisation Kirche sind. Christsein ohne Kirchenmitgliedschaft gibt es in den Augen der Kirche nicht. "Katholisch sein ist keine Frage der freien Gefolgschaft", beschreibt es der Kirchenrechtler Georg Bier gegenüber katholisch.de. "Das kann man nicht nur für sich sein. Es ist auch eine Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, mit Rechten und Pflichten, die daraus entstehen." Zu dieser Gemeinschaft gehört unter anderem die Beteiligung aller an den Aufgaben der Kirche dazu. In Deutschland hat die Bischofskonferenz definiert, dass die Mitglieder diese Beteiligung in Form der Zahlung der Kirchensteuer leisten. Wer dazu nicht bereit ist, muss auf zahlreiche Rechte verzichten.
Durch diese Grundsätze gerät die Kirche nicht selten unter Verdacht, es ginge ihr in erster Linie um Geld. Deshalb haben sich die deutschen Bischöfe mit ihrem Dekret entschlossen, die frisch ausgetretenen "zu einem Gespräch im Blick auf ihre volle Wiedereingliederung in die kirchliche Gemeinschaft" einzuladen. Das geschieht durch ein "Pastorales Schreiben", das genau wie die gesamte kirchliche Austrittspolitik in der Kritik steht. Denn der Brief führt in erster Linie die zahlreichen nun geltenden Rechtsverluste auf, der Ton ist eher bürokratisch und trocken – "es ist nicht werbend und gewinnend geschrieben", hält Bier fest. Zum Gespräch wird zwar eingeladen, das frisch gebackene Nicht-mehr-Kirchenmitglied muss sich aber selbst an den Ortspfarrer wenden – Terminvorschläge seitens der Kirche gibt es nicht.
Warum ist das so? Georg Bier spekuliert, dass die Bischöfe anscheinend der Meinung sind, das Schreiben müsste auch abschrecken – fällt der Austritt "zu leicht", treten zu viele aus. Falls die Bischöfe tatsächlich in diese Richtung denken, muss ihre Taktik wohl als gescheitert gelten – trat in der letzten Zeit doch von der Menge her pro Jahr die Bevölkerung einer mittelgroßen Großstadt aus der Kirche aus. "Wer austritt, hat sich innerlich oft schon lange von der Kirche entfernt", sagt Bier. "Diese Menschen sind nicht gegen die Kirche, sie ist ihnen nur gleichgültig." Durch eine Verbotsliste käme kaum jemand zurück. Wenn überhaupt, wird der Austritt nur bei der Auswahl von Taufpaten ein Problem, glaubt der Kirchenrechtler.
Die Diskussion um die Handhabe des Kirchenaustritts ist leiser geworden, die Argumente sind jedoch geblieben: Die einen finden das Handeln der Kirche übertrieben, andere halten diese strikten Maßnahmen für die richtige Reaktion. "Die Kirche muss einen Austritt nicht einfach hinnehmen", findet Bier. Ob sie mit strikten Verboten im 21. Jahrhundert aber entlaufene Schäfchen noch zurückgewinnt, ist fraglich. Eines kann allerdings auch Ausgetretenen niemand wegnehmen: Durch die Taufe sind sie für immer Teil der katholischen Kirche – daran können weder sie noch die Kirche jemals etwas ändern.