Bundesvorsitzender und Präses im Interview

Neuer BDKJ-Vorstand: "Wir wollen die Kirche strukturell verändern"

Veröffentlicht am 26.07.2020 um 12:30 Uhr – Lesedauer: 

Düsseldorf ‐ Kindern und Jugendlichen eine Stimme geben – das ist das Anliegen der neuen Vorsitzenden des Dachverbands der Jugendverbände. Im Interview mit katholisch.de erzählen der neue Bundesvorsitzende und der neue Präses des BDKJ, wie sie das erreichen wollen.

  • Teilen:

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) hat einen neuen Vorstand: Am Samstag wählte die Hauptversammlung den Essener Priester Stefan Ottersbach und den Berliner Sozialarbeiter Gregor Podschun an die Spitze des Dachverbandes der katholischen Jugendverbände. Im Interview mit katholisch.de erzählen die neuen Vorsitzenden, was sie in ihrem Amt erreichen wollen – und wo sich die Kirche verändern muss.

Frage: Herr Ottersbach, Sie sind Priester und boxen. Was kann ein Priester beim Boxen lernen?

Bundespräses Stefan Ottersbach: Beim Boxen geht es um Kraft. Aber Kraft allein ist kontraproduktiv. Es geht auch um Geschmeidigkeit und die Wahrnehmung der Situation und situationsgemäßes Handeln. Es geht nicht mit dem Kopf durch die Wand. Für pastorale Zusammenhänge ist es enorm wichtig, dass man nicht einfach sagt "so geht es und so mache ich es", sondern dass man sich auf die jeweiligen Kontexte einstellt.  Man muss sich auf die Menschen, die einem begegnen einstellen, auf ihre Bedürfnisse und so versucht, über das ins Gespräch zu kommen, was vom Evangelium her geboten ist.

BDKJ-Bundespräses Stefan Ottersbach und BDKJ-Bundesvorsitzender Gregor Podschun im Gespräch
Bild: ©Christian Schnaubelt/BDKJ

Gregor Podschun (rechts) war bisher ehrenamtlicher Diözesanvorsitzender des BDKJ Berlin. Der 30-jährige Sozialarbeiter ist Mitglied der Katholischen Jungen Gemeinde (KjG) und der Katholischen Landjugendbewegung (KLJB). Beim Synodalen Weg vertritt er bisher den Diözesanrat Berlin in der Synodalversammlung.

Frage: Als Bundespräses sind Sie Teil eines Kollegialorgans – oder wie man in Rom derzeit nicht so gern hört: Teil eines Teams. Was kann die Kirche lernen von der Art, wie Jugendverbände Leitung wahrnehmen?

Ottersbach: Ich habe es schon als Diözesankurat bei den Pfadfinderinnen und Pfadfindern und bei anderen Stellen immer als hochgradig bereichernd erlebt, dass ich nicht als Einzelkämpfer dastehe, sondern dass sich Menschen mit unterschiedlichen Begabungen gegenseitig bereichern. Dazu gehört auch eine faire Form von Kritik. Das entspricht meinem Menschenbild: dass ich auch als Priester nicht perfekt sein muss und von anderen lernen darf.

Herr Podschun, ihr Sport ist nicht Boxen, sondern Tanzen – was bringt man mit Charleston und Lindy-Hop-Kenntnissen in die Leitung eines großen Jugendverbands ein?

Bundesvorsitzender Gregor Podschun: Charleston und Lindy Hop sind Tänze, bei denen man in der Regel keine festen Tanzpartnerinnen und -partner hat und durchwechselt, wo man sich gegenseitig auffordert zum Tanzen, wo es keine festen Rollenzuschreibungen gibt. Es ist okay, dass Männer mit Männern tanzen und Frauen mit Frauen tanzen. So will ich auch in einem Team zusammenarbeiten: flexibel. Alle sollen ihr Charisma, die eigene Rolle und Person einbringen.

Sie waren BDKJ-Diözesanvorsitzender in Berlin. Funktioniert Jugendarbeit in Ostdeutschland anders als in Westdeutschland?

Podschun: Aufgrund der Historie ja, weil die Kirche in der DDR anders funktioniert hat. Es war eine Kirche, die sich gegen einen Staat wehren musste, der der Kirche feindlich gegenüber stand. Daher war es eine Kirche, die sich nach außen abgeschottet hat. Das wirkt natürlich bis heute nach, solange ist es ja noch nicht her. Ich habe Jugendverbandsarbeit daher als etwas besonderes wahrgenommen, weil es eine Form der Jugendarbeit ist, die bewusst nach außen geht, bewusst über die eigenen Grenzen hinausschaut und Katholischsein auf eine andere Weise versteht als der Gemeindekatholizismus, der ja in der DDR vorherrschend war. Dort waren katholische Verbände nicht erlaubt. Ich habe Jugendverbandsarbeit bei uns als etwas besonderes mit einer ganz eigenen Strahlkraft wahrgenommen.

„Wir müssen aufpassen, dass die Kirche nicht junge Menschen vertreibt, weil sie ihre Lebensrealität nicht anerkennt.“

—  Zitat: Gregor Podschun

Wir reden viel über eine Kirche in der Krise. Wie muss sich Jugendarbeit verändern, damit diese Strahlkraft bleibt?

Podschun: Die Strahlkraft ist da, wo sich junge Menschen weiter in der Kirche engagieren wollen. Junge Menschen tun das, wenn sie gerne in der Kirche sind und eine geistliche Heimat haben. Wir müssen eher aufpassen, dass die Kirche nicht junge Menschen vertreibt, weil sie ihre Lebensrealität nicht anerkennt.

Frage: Herr Ottersbach, Sie haben in Ihrer Wahlrede die Idee aufgebracht, ein Fest der "Kinderbischöfe" wieder einzuführen: Kinder, die einen Tag lang die Aufgaben eines Bischofs übernehmen. Würde die Kirche mit so einer mittelalterlichen Idee die Lebensrealität von Kindern treffen?

Ottersbach: Auch die Sternsingeraktion hat mit großem Erfolg einen alten Brauch wieder aufgegriffen. Auch wenn Kinderbischöfe eine bischöfliche Idee ist, finde ich bei diesem Brauch spannend, dass  einmal im Jahr Kinder an die Macht kommen und ihre Perspektive auf gesellschaftliche Prozesse ausdrücken könnten. Mir ist es wichtig, dass wir bei allem, was wir in der Kirche und in der Gesellschaft an Themen diskutieren, immer die Perspektive von Kindern und Jugendlichen mitdenken. Es ist gut, dass der BDKJ das tut, aber es ist immer eine Stellvertretung. Und wir sollten sehr dafür eintreten, dass an so vielen Stellen wir möglich Kinder selbst zu Wort kommen. Und ich denke, dass so ein symbolischer Akt, so ein Fest, das sehr öffentlichkeitswirksam darstellen könnte.

BDKJ-Bundespräses Stefan Ottersbach und BDKJ-Bundesvorsitzender Gregor Podschun im Gespräch
Bild: ©Christian Schnaubelt/BDKJ

Stefan Ottersbach (l) ist seit seiner Jugend Pfadfinder. Der 1975 geborene Duisburger hat in Bochum, Münster und Luzern Theologie studiert und wurde 2002 im Bistum Essen zum Priester geweiht. Danach war er unter anderem Subregens am Priesterseminar und Diözesanjugendseelsorger. Seit 2011 ist er zudem Domvikar in Essen.

Frage: Neben Symbolen gibt es auch Strukturen: Auf Ebene der Bischofskonferenz ist geplant, die "Jugendpastoralen Leitlinien" zu reformieren. Wo sehen Sie Reformbedarf?

Ottersbach: Der Reformbedarf ergibt sich daraus, dass sich die Situation der Glaubenden in den letzten Jahren verändert hat. Das große Stichwort ist die Säkularität. Wir müssen mehr als bisher lernen, dass der Glaube in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich ist und dass wir da neue Sprachfähigkeit erlangen müssen. Wir Jugendverbände sollten einbringen, dass wir das an vielen Stellen schon sehr kind- und jugendgemäß tun.

Podschun: In der Jugendsynode wurde deutlich gesagt, dass es Formen der Partizipation braucht. Dass wir keine Jugendpastoral für Kinder und Jugendliche, sondern mit Kindern und Jugendlichen machen: Junge Menschen bringen sich ein und gestalten so ihre eigene Jugendpastoral. Dabei werden sie von Erwachsenen begleitet. Wir müssen eine Jugendpastoral schaffen, die das auch wirklich realisiert, was die MHG-Studie als mögliche Schutzfaktoren gegen sexualisierte Gewalt benennt: Partizipation, demokratische Prozesse, dass Kinder und Jugendliche Rechte haben, dass sie Nein sagen dürfen, und dass sie geschützt werden. Darauf zielt auch der Synodale Weg ab: Dass die Kirche ein sicherer Ort für Kinder und Jugendliche ist. Daher müssen sich in neuen “Jugendpastoralen Leitlinien” die Ergebnisse des Synodalen Wegs, der Jugendsynode und auch der pastoralen Prozesse in den Diözesen widerspiegeln.

Frage: Sie sind bereits als Vertreter des Diözesanrats Berlin Mitglied der Synodalversammlung, Herr Podschun. Hat der Synodale Weg nach der Pfarrei-Instruktion überhaupt noch eine Zukunft? Die Foren zu Macht und Priestern sind ja jetzt eigentlich erledigt.

Podschun: Es war vorher schon so, dass viele Themen in Rom nicht gerne gesehen wurden. Es ist allen bewusst, dass die Ergebnisse nicht sofort eins zu eins in den Diözesen umgesetzt werden können, sondern dass vieles nach Rom gehen und dort besprochen werden muss. Ich hoffe, dass der Synodale Weg ein Zeichen in der Weltkirche setzen kann, um eine Kirche zu gestalten, die zukunftsfähig ist. Ich glaube daher schon, dass der Synodale Weg auf jeden Fall zukunftsfähig ist. Wenn die Deutsche Bischofskonferenz zusammen mit den Laiinnen und Laien sagt, was sie ändern will, dann ist das ein großes Zeichen. Gleichzeitig hoffe ich, dass es konkrete Änderungen gibt, die unkompliziert vor Ort umgesetzt werden können. Da gibt es einiges, etwa die Segnung von homosexuellen Paaren, was relativ leicht umgesetzt werden könnte, ohne dass es in Rom diskutiert werden muss.

Frage: Welches Thema werden Sie als BDKJ-Vorsitzender am stärksten in die Synodalversammlung einbringen?

Podschun: Für uns ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, warum es den Synodalen Weg gibt: Die Fälle sexualisierter Gewalt sind der Grund, und das Ziel ist, Kinder und Jugendliche davor zu schützen, und dass wir deshalb die Kirche strukturell verändern müssen. Das hat die MHG-Studie gezeigt. Das ist unsere Rolle. Unsere Rolle ist aber auch, zu zeigen, dass Kinder und Jugendliche eine Vision von Kirche haben, und dass wir diese Vision zum Leben erwecken wollen.

„Wir müssen mehr als bisher lernen, dass der Glaube in unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich ist und dass wir da neue Sprachfähigkeit erlangen müssen.“

—  Zitat: Stefan Ottersbach

Herr Ottersbach, In Ihrem Lebenslauf haben Sie die interessante Station eines "Liquidators". Was lernt man für die Zukunft der Kirche, wenn man eine kirchliche Einrichtung auflöst?

Ottersbach: Ich habe gelernt, dass man in verantwortlicher Position Prozesse so gestalten muss und kann, dass eine Veränderung, die von vielen als negativ und als Abbruch wahrgenommen wird, trotzdem nicht zu Verletzungen und Entmutigung führen muss. Im besten Fall jedenfalls.

Frage: Sie haben sich in ihrer Dissertation wissenschaftlich mit "Freude als Lebensstil" beschäftigt. Was bedeutet das?

Ottersbach: Freude zielt auf die ganzheitliche Entwicklung jedes einzelnen Menschen, weil jeder Mensch von Gott eine unverwechselbare Würde geschenkt bekommen hat, die es zu achten gilt. Menschen kommen nur zu ihrer eigenen Berufung und zu ihrem eigenen Charisma, wenn sie diese von Gott gewollte Freude auch empfinden können. Das ist mehr als ein individualisierter Lebensstil, sondern verbunden mit der Wahrnehmung, dass Freude nur dort wachsen kann, wo auch andere sich freuen können. Es gibt eine Verpflichtung, zu einem gerechten und solidarischen Lebensstil auf dieser Welt beizutragen: Es gibt keine Freude nur für einen alleine.

Frage: Ist die Kirche in ihrem aktuellen Zustand der Ort, der Freude als Lebensstil befördert?

Ottersbach: Wir sind insofern richtig aufgestellt, weil wir davon ausgehen dürfen, dass der Geist Gottes in dieser Welt wirkt und dass wir uns auf ihn verlassen können. Das heißt: Ich muss nichts leisten, damit Freude wächst.

Podschun: Die Geistkraft Gottes wirkt und leitet uns zur Freude an. Ich sehe aber auch an vielen Orten in der Kirche, dass diese Freude durch Strukturen unterdrückt wird, die fast schon menschenfeindlich sind. Es ist unsere Aufgabe, dass unsere Strukturen auch der Freude und der Geistkraft Gottes dienen.

Von Felix Neumann