60 Jahre nach erstem Auftritt als "Beatles"

Populärer als Jesus? Die Beatles und ihre spirituelle Sinnsuche

Veröffentlicht am 30.08.2020 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Nein, durch eine besondere Nähe zu Kirche und Christentum haben sich die Beatles nicht ausgezeichnet. Eher reisten die berühmten Musiker zu einem Guru nach Indien. Aber ein genauerer Blick lohnt sich: Wer zum Beispiel war eigentlich die "Mother Mary" im berühmten Song "Let it be"?

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Dass die Beatles populärer als Jesus Christus seien, hatte John Lennon im März 1966 in einem Interview behauptet und sich damit massiven Ärger eingehandelt. Der Vatikan jedenfalls war "not amused" und die US-Tour der Beatles im August des gleichen Jahres verlief alles andere als reibungslos: Nicht nur aus religiösen Kreisen der US-Bundesstaaten gab es mächtigen Gegenwind, auch in Mexico-City, Südafrika und Spanien kam es bald zu Protesten gegen die Pilzköpfe aus Liverpool. Mancher Radiosender nahm die Beatles-Songs gar aus seinem Programm, um negative Reaktionen der Zuhörer zu vermeiden. Und der "fünfte Beatle", der Manager der Band, Brian Epstein, spielte mit dem Gedanken, die US-Tournee abzusagen, um ein Desaster zu verhindern. Letztendlich verlief die Tour einigermaßen glimpflich, wenngleich die Proteste gegen die Band unüberhörbar waren. In Memphis versammelten sich Menschen zu einer Kundgebung, um sehr offensichtlich zu zeigen, dass Jesus Christus populärer ist, als die Beatles.

Distanz gegenüber Glaube, Religion und Spiritualität

Vierundfünfzig Jahre später haben sich die Wogen längst geglättet und mittlerweile muss man sich wohl eher wundern, welch heftige Reaktionen das Zitat von John Lennon einst ausgelöst hat. Selbst die Kontroverse mit dem Vatikan ist übrigens längst Geschichte; schon im Jahr 2008 äußerte sich der "Osservatore Romano" in einer Besprechung des "White Album" den Beatles gegenüber in sehr positiver Weise und merkte an, dass die Äußerung von John Lennon wohl eher "der Übermut eines Jugendlichen der englischen Arbeiterklasse" gewesen sei. Es ist jedenfalls ein schönes Zeichen, dass sich Kirche und Beatles wieder versöhnt haben und dass die Unstimmigkeiten, die es aufgrund des Zitats gegeben hat, aus der Welt geschafft sind.

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Religion in der Popmusik? Radiomoderator Renardo Schlegelmilch kennt sich damit aus. Mit katholisch.de spricht er über "unchristliche" Beatles-Hits und ein österliches "Hallelujah" von Leonard Cohen.

Die Beatles sind populärer als Jesus Christus: Eine durch und durch christentumskritische Schlagseite der Band aus Liverpool lässt sich aus dieser Aussage Lennons jedenfalls keineswegs ableiten. Freilich standen die Beatles den Themen Glaube, Religion und Spiritualität auf den ersten Blick eher distanziert gegenüber. Jedoch zeigt ein genauerer Blick auf die einzelnen Bandmitglieder, dass es durchaus ein persönliches Ringen um eine spirituelle Grundhaltung gab. Beispielhaft hierfür steht wahrscheinlich die Reise der Beatles nach Indien im Februar 1968. Das Ziel der Band war ein Kurs für Transzendentale Meditation unter der Anleitung des indischen Guru Maharishi Mahesh Yogi, von dessen Meditationstechnik vor allem John Lennon und George Harrison überzeugt waren. Die Beatles waren damals nicht die einzigen berühmten Musiker, die sich der Bewegung des Guru angeschlossen hatten. Auch Donovan und Mike Love, Gründungsmitglied der Beach Boys, suchten spirituelle Erfüllung in den Kursen des Maharishi. Für die Beatles jedenfalls war die indische Zeit vor allem für die Produktion neuer Songs inspirierend: Eine Vielzahl der Titel, die es auf das "White Album" schafften, entstanden während des Aufenthalts in Indien; darunter waren Songs wie "Back in the USSR" oder "The Continuing Story of Bungalow Bill". Der Meditationskurs unter Anleitung des Guru wurde übrigens von den Bandmitgliedern mit unterschiedlicher Begeisterung aufgenommen: Als erster reiste Ringo Starr wieder aus Indien ab, ihm folgte wenig später Paul McCartney, schließlich kehrten auch Lennon und Harrison dem Maharishi den Rücken zu.

George Harrison blieb wohl auch der Beatle, der sich ziemlich ausgiebig mit der Suche nach einer überzeugenden Spiritualität befasste. Schon Mitte der 60er Jahre war er zum Hinduismus konvertiert, wodurch Teile der traditionellen fernöstlichen Musik Eingang in die Songs der Beatles fanden. Die Verbindung des LSD-Konsums mit einer bestimmten Meditationstechnik waren für Harrison spirituelle Höhepunkte. Schließlich kam er in Berührung mit der Hare-Krishna-Bewegung, die er nicht nur finanziell, sondern auch durch die Aufnahme gemeinsamer Lieder, unterstützte. Während sich die anderen Beatles nach und nach von den fernöstlichen Religionspraktiken distanzierten, blieb George Harrison Zeit seines Lebens seinem hinduistischen Glauben treu. Es heißt, dass seine Asche nach seinem Ableben in einem Fluss in Indien verstreut worden ist.

Wenngleich die Beatles in ihren Songtexten nie explizit den (christlichen) Glauben zum Thema haben, so finden sich doch vor allem zwei Lieder, die Anklänge an eine christliche Spiritualität besitzen: In "Let it be", dem wohl berühmtesten Beatles-Song aus dem Jahr 1969, der aus der Feder von Paul McCartney stammt, wird wiederholt von einer "Mother Mary" gesprochen. Im Kontext der Lyrics, die auf die Suche nach einem beständigen Halt in Zeiten der Verwirrung, Auseinandersetzung und Hoffnungslosigkeit hinweisen, liegt eine Interpretation mithilfe christlicher Glaubensinhalte nahe. Dann jedenfalls ist die "Mother Mary", von der das Lied spricht, keine Geringere, als Maria, die Mutter Jesu. Religiös gewendet findet der suchende Mensch, den "Let it be" beschreibt, durch die Erscheinung der Gottesmutter Maria Halt und Orientierung, um das Leben in einer gelingenden Art und Weise zu meistern. Freilich eröffnet sich diese Dimension des Liedes nur, wenn man es auch mit christlichen Ohren hört. Lange Zeit wurde kontrovers diskutiert, ob "Let it be" wirklich eine so ausgeprägte mariologische Schlagseite besitzt. Viele Jahre nach der Veröffentlichung des Songs äußerte sich Paul McCartney selbst zur Entstehung des Textes und erläuterte, dass es sich bei "Mother Mary" um seine eigene Mutter Mary gehandelt habe, die ihm eines Tages im Traum erschienen sei. Die Entstehungszeit von "Let it be" war besonders durch die anhaltenden Querelen innerhalb der Band geprägt; McCartneys Mutter Mary hatte ihm im Traum aber zugesagt, dass alles gut werden würde. Diese eindrückliche Erfahrung habe McCartney schließlich in "Let it be" verarbeitet.

Bild: ©Sergey Nivens - stock.adobe.com

Die Songs der Beatles sind bis heute berühmt.

"Lady Madonna" lässt an Mariendarstellungen denken

Nicht viel anders liegen die Dinge bei "Lady Madonna", ebenfalls einer Lennon/McCartney Komposition, die 1968 als Single veröffentlicht wurde. Auf den ersten Blick werden auch hier Inhalte christlicher Spiritualität transportiert: Die Madonna, Maria also, die Kinder zu ihren Füßen, das Jesuskind an der Brust angelegt, um es zu stillen. Wer mag angesichts solcher Phrasen nicht an die unterschiedlichen Mariendarstellungen denken, welche die christliche Ikonographie im Lauf der Jahrhunderte hervorgebracht hat? Wieder ist es Paul McCartney selbst, der in einem Interview erzählt, welches Bild ihn tatsächlich für die Lyrics des Songs inspiriert hat. Nicht die christliche Madonna war es nämlich, sondern eine afrikanische Frau, die ihr Baby auf dem Arm stillt und sich gleichzeitig um ihre anderen Kinder kümmern muss. Als Hommage an alle Mütter dieser Welt sei das Lied gedacht gewesen, so berichtet McCartney. Freilich klingt auch hier eine gewisse Spiritualität an: Bei allen Müttern ist sicher auch die Mutter Jesu mitgemeint, vielleicht sogar als Urbild der Mutterschaft, worauf die Anrede "Lady Madonna" hinweist.

Die Beatles waren spirituelle Sinnsucher. Dass sie sich dabei vor allem für die fernöstlichen Religionen interessierten, liegt wohl vor allem daran, dass sie eben Kinder ihrer Zeit waren. Gerade im Zuge der Umbrüche der 60er Jahre war eine Orientierung hin zu den dort geübten Meditationspraktiken durchaus en vogue. Die Beatles hatten sich diesem Trend nicht verschlossen, wenngleich ihre Begeisterung dafür höchst unterschiedlich ausgeprägt war. Gerade mit der bewussten Nichtbeachtung von christlichen Themen in ihren Songs wollten sie sich vielleicht sehr explizit von einer musikalischen Tradition absetzen, die solche Inhalte sehr selbstverständlich in ihren Liedern rezipierte. Anklänge an diese spirituelle Sinnsuche der Beatles gibt es jedenfalls in ihren Songs zuhauf. Vielleicht sind ihre Lieder deshalb auch geeignet, um suchenden Menschen einen Weg zum Glauben zu eröffnen.

Von Fabian Brand