Historisches Treffen im kurhessischen Treysa

Neustart nach der NS-Zeit: Vor 75 Jahren wurde der Rat der EKD gebildet

Veröffentlicht am 30.08.2020 um 11:04 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Hannover ‐ Die evangelische Kirche in Deutschland stand nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem Scherbenhaufen, auch moralisch. Sich neu zu sortieren und die verschiedenen Strömungen zusammenzubringen, war ein schwieriges Unterfangen.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Situation der beiden großen Kirchen in Deutschland durchaus unterschiedlich. Die katholische Kirche hatte als Institution die Repressionen des NS-Regimes einigermaßen überstanden, die Bischofskonferenz war trotz interner Differenzen intakt geblieben, zudem waren die deutschen Katholiken fest eingebunden in die katholische Weltkirche.

Dagegen standen die Protestanten vor einem Scherbenhaufen. Die mehrheitlich von regimenahen "Deutschen Christen" getragene, 1933 gegründete "Deutsche Evangelische Kirche" war moralisch bankrott, und nun war vor allem die Minderheit, die sich in der "Bekennenden Kirche" organisiert hatte, gefragt, eine neue Kirchenstruktur aufzubauen. Zugleich galt es, die deutschen Protestanten in der weltweiten Ökumene zu rehabilitieren.

Aus dem KZ, der Verbannung, von der Front

Der Neuanfang begann am 27. August 1945 im kurhessischen Treysa. Dort trafen sich rund 120 Kirchenmänner aus den damals 28 Landeskirchen und den in der Zeit des "Kirchenkampfs" gebildeten "Bruderräten", aber fast ausschließlich aus den drei westlichen Besatzungszonen, zu einer "Kirchenführerkonferenz". Sie kamen laut Bericht eines Augenzeugen "aus dem Konzentrationslager, dem Gefängnis, dem Ausland, der Verbannung an bestimmte Orte, von der Front". Hinzu kamen kirchenleitende Persönlichkeiten wie der 76-jährige Landesbischof von Württemberg, Theophil Wurm (1868-1953), der nach Treysa eingeladen hatte, oder der bayerische Landesbischof Hans Meiser (1881-1956).

Ihre Ziele lagen weit auseinander. Während Meiser eine Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) anstrebte, in der die reformierten und unierten Protestanten nur am Rande vorkommen sollten, wollten die Vertreter der Bekennenden Kirche, allen voran Martin Niemöller (1892-1984), die Kirche "von unten", von den Gemeinden her neu aufbauen und ihre Mitschuld am Nationalsozialismus bekennen. Die Debatten waren so heftig, dass die Konferenz zeitweilig zu platzen drohte. Noch nicht einmal das Abendmahl konnten die Vertreter der drei Bekenntnisse gemeinsam feiern - dies wurde erst 1973 mit der Leuenberger Konkordie möglich.

Evangelische Kirche in Deutschland
Bild: ©picture alliance/dpa/Daniel Karmann

Ein Banner mit dem Logo der EKD.

Schließlich einigten sich die Teilnehmer auf einen Kompromiss und beschlossen eine vorläufige Ordnung für die "Evangelische Kirche in Deutschland" (EKD). Darin wurde die Eigenständigkeit der Landeskirchen betont. Die EKD sollte die Interessen der Kirche nach außen - gegenüber den Besatzungsmächten und den Kirchen im Ausland - vertreten und politische und soziale Verantwortung wahrnehmen. Ein gemeinsames Bekenntnis hat sie bis heute nicht, obwohl sich die EKD mittlerweile längst als "Kirche" und nicht nur mehr als Kirchenbund versteht.

Einen großen Anteil an der Einigung hatte der Stuttgarter Bischof Wurm, der wegen seines Protests gegen das "Euthanasieprogramm" der Nazis als moralische Autorität galt und bereits seit 1941 die zerstrittenen Gruppen der kirchlichen Opposition zusammenführen wollte. Wurm wurde am 31. August zum Vorsitzenden des ersten, noch vorläufigen Rates der EKD gewählt, Niemöller zu seinem Stellvertreter. Zu den zwölf Ratsmitgliedern - sechs Lutheranern, vier Unierten und zwei Reformieren - gehörten auch der Berliner Bischof Otto Dibelius und der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann. Von den ostdeutschen Landeskirchen war keine im Rat vertreten.

Die katholischen Bischöfe hatten am 23. August ein gemeinsames Hirtenwort verfasst, in dem sie - wenn auch in allgemeiner, im Nachhinein als zu schwach beurteilter Form - eine Mitschuld der Deutschen "auch aus unseren Reihen" bekannt hatten. Vom Rat der neuen EKD wurde ebenfalls eine Stellungnahme erwartet. Sie erfolgte am 18. und 19. Oktober 1945 in Stuttgart.

"Stuttgarter Schuldbekenntnis"

Dort formulierte er vor allem auf Betreiben von Niemöller und Dibelius - und wie bei den Katholiken ohne Erwähnung des Holocaust: "Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Das "Stuttgarter Schuldbekenntnis" war entscheidend für die Rückkehr der EKD in die ökumenische Weltgemeinschaft, innerkirchlich war es - ohne offizielle Veröffentlichung - heftig umstritten.

Bis zur endgültigen Konstituierung der EKD am 10. Juli 1948 sollte es noch mehr als zwei Jahre dauern: Dann konnte die Synode mit 120 Mitgliedern zusammentreten und zusammen mit der Kirchenkonferenz, in der jede Landeskirche eine Stimme hatte, den ersten regulären Rat der EKD und Dibelius zu seinem Vorsitzenden wählen.

Von Norbert Zonker (KNA)