Kardinal Woelki warnt vor einer deutschen Nationalkirche
"Fünf Orte – ein Weg": Das war das Leitwort der Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs. Im Interview zieht der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki seine Bilanz zu den Treffen. Außerdem spricht er darüber, wo für ihn beim Synodalen Weg "Rote Linien" sind und welche Reformen er sich erhofft.
Frage: Herr Kardinal, wie sieht Ihre Bilanz der Regionenkonferenzen des Synodalen Wegs aus?
Woelki: Ich glaube, dass es wertvoll war, in einer kleineren Runde zu sprechen. Das hat das Gesprächsklima positiv beeinflusst, und es war möglich, besser aufeinander zu hören und das Argument des anderen besser zu würdigen. Das war ein erfreulicher Unterschied zur ersten Synodalversammlung.
Frage: Und von der Sache her?
Woelki: Von der Sache her war es wichtig, auch im Synodalen Weg das Thema Corona aufzugreifen. Es war interessant, die unterschiedlichen Wahrnehmungen zu registrieren. Ich habe betont, dass Corona die menschliche Verletzlichkeit, die Geschöpflichkeit, die Sterblichkeit bewusst macht. Es gibt ja heute eine ganze Generation, die fast gar nicht mehr mit dem Tod konfrontiert wurde. Daher finde ich, dass Corona eine Herausforderung für uns darstellt, über existenzielle Gegebenheiten neu nachzudenken und sie von unserem Glauben her zu beantworten.
Irritiert hat mich dagegen eher, dass das von drei Theologen vorgelegte Impulspapier zu der Corona-Pandemie als Herausforderung für den Synodalen Weg dazu herhalten sollte, den Kampf gegen den sogenannten Klerikalismus und – unter Rückgriff auf einen Begriff des französischen Philosophen und Soziologen Michel Foucault (1926-1984) – der "klerikalen Pastoralmacht" den Kampf anzusagen. Ich finde, ein solcher Sprach- und Gedankenduktus wird weder dem Evangelium noch den existenziellen Fragen der Menschen angesichts von Krankheit und Tod gerecht.
Frage: Was denken Sie über den Ausstieg von Weihbischof Schwaderlapp aus dem Forum zur Sexualität?
Woelki: Ich glaube, das war konsequent. Er hat gesagt, dass durch die Preisgabe der Bindung der Weitergabe des Lebens an die liebende Vereinigung zweier Menschen, nämlich von Mann und Frau, wie sie in Humanae vitae, in Familiaris consortio und in weiteren lehramtlichen Dokumenten etwa auch dem Katechismus der Katholischen Kirche dargelegt ist, im Letzten alle Äußerungen menschlicher Sexualität einen gleichwertigen Stand erhalten. Auch in Amoris laetitia findet sich dazu kein Hinweis. Das bedeutet im letzten einen Bruch mit der Lehre der Kirche.
Frage: Wo wäre für Sie persönlich der Punkt, an dem Sie sagen: Da kann ich nicht mehr mitgehen. Haben Sie eine "Rote Linie"?
Woelki: Das kann ich so zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen. Die Frage nach der Frauenordination zum Beispiel, das ist eine Diskussion, die so nicht zu einem Ziel führen wird. Denn diese Frage ist definitiv mit höchster Lehrautorität entschieden worden durch Papst Johannes Paul II. Benedikt XVI. und auch Papst Franziskus haben dies wiederholt hervorgehoben und auch gesagt, dass die Frage lehramtlich entschieden ist.
Ich verstehe das Ziel dieser Diskussion nicht. Ist es eine Diskussion um der Diskussion willen, oder soll sie geführt werden, um einen Weg zu eröffnen, der uns hilft, den Glauben der Kirche in diesem Punkt tiefer zu verstehen? Das kann ich gutheißen, aber ich kann sie nicht so behandeln als sei die Frage offen. Dann findet die Diskussion außerhalb der Lehre der Kirche statt.
Frage: Wie würden Sie den Frauen antworten, die sagen: Dieses Nicht-teilhaben-dürfen am geweihten Amt verbaut mir den Weg zum Glauben?
Woelki: Wir müssen uns klar machen, dass Gott immer größer ist als unsere Wünsche und Vorstellungen. Manchmal ist der Wille und die Offenbarung Gottes nicht auf Anhieb völlig einsichtig. Manchmal mögen sie sogar ungerecht erscheinen. So ist es ja auch im Gleichnis mit den Arbeitern, die alle denselben Lohn erhalten, obwohl die einen nur eine Stunde, die anderen den ganzen Tag arbeiten. Das erscheint menschlichem Ermessen auf den ersten Blick auch ungerecht.
Glaube bedeutet für mich, trotzdem darauf zu vertrauen, dass Gott gerecht ist – auch wenn es sich in Einzelfragen meinem Verständnis nicht direkt erschließt. So denke ich, müssen wir auch akzeptieren, dass die Kirche in dieser Frage an den Willen Jesu gebunden ist, der sich in Schrift und Überlieferung offenbart. Er hat in seinen Zwölfer-Kreis ausschließlich die berufen, die er berufen wollte, frei und unabhängig. Und das waren nun eben diese 12 Apostel und unter ihnen waren keine Frauen. Auch in der Folgezeit hat sich nichts daran geändert, dass nur Männer zu Bischöfen und Priestern geweiht wurden.
Und da es in der Kirche nur das eine Sakrament der Weihe gibt, das sich in drei Weihestufen entfaltet, gilt dies in meinen Augen auch für die Weihe von Diakonen. Alle anderen Dienste und Ämter sind selbstverständlich sowohl für Männer als auch Frauen geöffnet. Ich habe das in Berlin und auch hier in Köln umzusetzen versucht und habe immer wieder wichtige und entscheidende Positionen mit Frauen besetzt.
Frage: Was folgt denn daraus, wenn es immer mehr Frauen gibt, die sagen: Dann kann ich da nicht mehr mitmachen, dann ist das nicht mehr meine Kirche. Muss man die ziehen lassen?
Woelki: Ich kann nur sagen, dass wir uns innerhalb der Kirche bemühen müssen, den Glauben auch in dieser Frage verständlich darzulegen. Alles andere Reden, das unerfüllbare Hoffnungen weckt, führt zu Frustration; und diejenigen, die so reden, müssen sich auch bewusst sein, dass sie für dieses Reden Verantwortung zu übernehmen haben. Ich rede ja nicht in meinem Namen. Es ist Christus, der fragt: "Wollt auch ihr weggehen?" Da hat es mich schon getroffen, zu lesen, was jetzt eine Gruppe von Frauen an den Papst und auch an Kardinal Stella geschrieben hat. Mich hat der Ton erschüttert, es ist nicht ein Ton, der zusammenführt, sondern der entzweit.
Frage: Maria 2.0 startet jetzt eine neue Aktionswoche, am Sonntag wird es sogar erstmals eine "Mahlfeier" vor dem Kölner Dom geben. Wie denken Sie darüber?
Woelki: Das grundsätzliche Anliegen teile ich: sich für die Würde der Frauen und gegen klerikalen Machtmissbrauch wie sexuellen Missbrauch durch Priester einzusetzen. Die Lösung für beides liegt aber nicht im Frauenpriestertum. Das ist eine eigene Form von Klerikalismus, vor der Papst Franziskus im nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia warnt. Es ist auch immer gut, wenn Menschen sich gemeinsam an einen Tisch setzen, um sich auszutauschen und sich besser kennenzulernen, wenn Menschen sich versammeln, um in freundlicher Tischgemeinschaft zusammen zu essen und zu trinken.
Es darf aber bei einer solchen Mahlfeier nicht der Eindruck entstehen, hier würde Eucharistie stattfinden. Die Feier der Eucharistie durch den Priester, der in einer solchen Feier aufgrund des Weihesakramentes in persona Christi capitis handelt, macht deutlich, dass die Eucharistie ein Geschenk Gottes an uns ist, das wir uns nicht selber geben können. Insofern machen mir solche Inszenierungen, die dazu neigen, Verwirrung stiften zu können, schon Sorgen.
Frage: Wie erklären Sie sich, dass derzeit keine klaren Vorgaben vom Papst zum Synodalen Weg kommen?
Woelki: Es gibt klare Vorgaben seitens des Papstes. Es gibt auch eine klare Äußerung, die der Papst ausdrücklich bestätigt hat, mit Blick auf die jüngste Vatikanische Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarrgemeinde. Ansonsten habe ich den Papst immer schon so verstanden, dass er denkt, es ist wichtig zusammenzukommen. Das Volk Gottes gehört zusammen in allen Gliedern. Es ist wichtig, aufeinander zu hören. Zur Synodalität gehört für den Papst die Stille, das Schweigen, das Gebet, das Ausgerichtetsein auf Christus, das Hören auf das Wort, das Hören auf den Glauben der Kirche.
All das praktiziert er in den Synodalversammlungen, denen er vorsteht. Dann sagt er, dass zur Synodalität von unten auch die Synodalität von oben dazu kommen muss. Das ist dann klar die Aufgabe der Bischöfe, bei den Menschen zu sein, zu hören, aber dann auch ihre Verantwortung wahrzunehmen und zu entscheiden. Das geht immer nur in Einheit mit dem Papst, in Einheit mit der Universalkirche. Insofern finde ich, dass der Papst versucht, uns einen sehr geistlichen Weg zu eröffnen, mit dem wir uns manchmal schwertun, weil es für uns bis dato ungewohnt war, einen solchen Weg zu gehen.
Frage: Wie erklären Sie sich, dass das theologische Niveau in manchen Papieren des Wegs so bescheiden ist?
Woelki: Ich denke, wir stehen hier noch am Anfang des Weges, und ich glaube, dass es mit der Zeit gut sein wird, die theologische Expertise stärker einzubringen von den Theologinnen und Theologen, die selber als Mitglieder des Synodalen Weges berufen sind. Aber vielleicht finden sich dann auch noch von außerhalb Theologen, die bereit sind, hier mitzuarbeiten. Ich glaube, dass Bischof Vorderholzer mit seinem Einwurf recht gehabt hat und dann auch den Finger in eine Wunde gelegt hat, die wahrzunehmen wichtig ist.
Es kann nicht sein, dass eine einseitige Bibeltheologie, über die nicht abgestimmt wurde, zur Basis der weiteren Diskussion wird. Ich meine, die gesamte Welt schaut momentan auf die Kirche in Deutschland und auf diesen Synodalen Weg, da können wir es uns einfach nicht erlauben, uns theologisch durch Unbedarftheit zu blamieren.
Frage: Was wäre einerseits das schlimmste und das beste Ergebnis des Synodalen Weges?
Woelki: Das schlimmste Ergebnis wäre es, wenn der Synodale Weg in die Spaltung hineinführt und damit aus der Kirche, aus der Communio mit der Gesamtkirche heraus. Das wäre am schlimmsten, wenn hier so etwas wie eine deutsche Nationalkirche entstehen würde. Das beste Ergebnis wäre, wenn es uns gelänge, eine wirkliche Reform anzustoßen, die auf jeden Fall in der Kirche notwendig ist.
In meinen Augen müsste das eine Reform sein, die alle Erscheinungsbilder und Wirklichkeiten, die vom Wesen der Kirche weggeführt haben, korrigiert und dazu verhilft, wieder vertieft das Wesen der Kirche zu erkennen – vor allen Dingen wahrzunehmen, dass die Kirche nicht ein rein soziologisches Gebilde ist, sondern dass sie Werk Gottes, dass sie der Leib Christi ist, und dass man die Kirche nie ohne Christus zu sehen vermag. Wer Christus liebt, liebt die Kirche, wer die Kirche liebt, liebt Christus. Christus und Kirche gehören untrennbar zusammen. Und wenn es um Reformen der Kirche geht, kann es immer nur um eine Neuentdeckung, um eine stärkere, Annäherung an Christus und sein Evangelium gehen, als Einzelner und als Gemeinschaft, als Kirche.
Frage: Was hindert uns derzeit daran, dieses eigentliche Wesen der Kirche zu entdecken?
Woelki: Es muss darum gehen, Menschen überhaupt wieder in eine Christusfreundschaft, eine Gottesfreundschaft hineinzuführen. Viele Katholiken wissen nicht mehr, wer Christus ist, was die Kirche ist, sie wissen nicht mehr, was ein Sakrament ist, was die sakramentale Struktur der Kirche ist. Damit zusammen hängt die Bedeutung des Priestertums. Ich finde, dass die Rede von "unserer Kirche" so verräterisch ist. Ich versuche das immer zu vermeiden. In einem richtigen Sinne ist es natürlich unsere Kirche, auch meine Kirche, aber es ist vor allen Dingen Seine Kirche. Und damit gibt es natürlich Vorgaben, die unserer Verfügungsgewalt entzogen sind.