Jubiläen bei "Wir sind Kirche" und Forum Deutscher Katholiken

Konservative – Reformer: Ein Blick auf die Flügel der deutschen Kirche

Veröffentlicht am 26.09.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

München ‐ Die einen fordern Veränderungen – die anderen auch. Doch über deren Inhalt sind Reformkräfte und Konservative in der katholischen Kirche gegensätzlicher Ansicht. Zwei Exponenten der Flügel feiern jetzt Jubiläen.

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Im Herbst vor 25 Jahren votierten 2,3 Millionen Katholiken in Österreich und Deutschland in einer Unterschriftenaktion für Reformen in ihrer Kirche. Damit schlug die Geburtsstunde von "Wir sind Kirche". Fünf Jahre später formierten sich konservative Kräfte im Forum Deutscher Katholiken. Die beiden Jubiläen geben Anlass zu einem Blick auf die Flügel der Kirche, die bei allen gegensätzlichen Positionen einiges eint.

Beide Gruppierungen haben ihren Sitz in Bayern und bewegen sich organisatorisch am Rand der verfassten Kirche in Deutschland. Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) als dem von den Bischöfen anerkannten repräsentativen Organ der Katholiken gehören sie nicht an, obwohl ZdK-Präsident Thomas Sternberg 2017 einen solchen Wunsch öffentlich aussprach. Man will doch lieber unabhängig bleiben – und agiert entsprechend als eine Art außerparlamentarische Opposition.

Lose Struktur vs. eingetragener Verein

Während "Wir sind Kirche" nur eine lose Struktur und keine bezifferbare Mitgliederstärke hat, firmiert das Forum als eingetragener Verein. Über die Zahl der aktiven Mitstreiter halten sich beide bedeckt. Für einen größeren Apparat reicht die finanzielle und personelle Unterstützung auf keiner Seite.

Über eine formelle kirchliche Anerkennung verfügen die Gruppen auch nicht. Das Forum aber wird bei seinen jährlichen "Freude am Glauben"-Kongressen von Bischöfen beehrt und erhält Grußworte des Papst-Botschafters in Deutschland; sogar vom Kirchenoberhaupt selbst gab es die früher. Über einen ähnlich offenkundigen Rückhalt bei hohen Würdenträgern verfügt "Wir sind Kirche" nicht. Dafür sind die inhaltlichen und persönlichen Bindungen zum ZdK inzwischen enger.

Beide Gruppierungen erheben trotz eines fehlenden Mandats einen gewissen Vertretungsanspruch. Das Forum versteht sich als Sprachrohr der traditionsbewussten Katholiken. Äußerungen von Bischöfen oder dem ZdK, die im Konflikt mit der geltenden katholische Lehre in Glaubens- oder Sittenfragen stehen, werden öffentlich gerügt. Bei allem Beharren in Fragen der Doktrin tritt das Forum gleichwohl auch für Veränderungen ein, teils im spirituellen, aber auch im politischen Bereich – dort explizit in eine rechtskonservative Richtung.

Bild: ©KNA/Bert Bostelmann

Das Forum Deutscher Katholiken sieht sich als Sprachrohr der traditionsbewussten Katholiken.

"Wir sind Kirche" sieht sich als Speerspitze derer, die vollen Zugang für Frauen zu allen Ämtern, eine Abschaffung der verpflichtenden Ehelosigkeit für Priester, eine liberalere Sexualmoral sowie mehr Mitsprache von Gläubigen fordern. Das seien bestimmt zwei Drittel aller deutschen Katholiken, schätzt man bei "Wir sind Kirche" und fühlt sich durch Meinungsumfragen darin bestätigt. Auch im Reformprojekt Synodaler Weg sind viele der Themen angekommen und werden offenbar von zahlreichen Teilnehmern unterstützt.

Jüngere Generationen zu mobilisieren, fällt beiden Kräften schwer. Konservative junge Christen gehen lieber zu den "Mehr"-Konferenzen des Augsburger Theologen Johannes Hartl. "Wir sind Kirche" wird vor allem von aufgeschlossenen Gläubigen geschätzt, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) groß geworden und entsprechend in die Jahre gekommen sind.

Keinen Kontakt untereinander

"Wir sind Kirche"-Aktivisten haben ihre regelmäßigen Auftritte in säkularen Medien. Das Forum dagegen bevorzugt Kanäle, denen es sich von der Ausrichtung her verbunden fühlt, das österreichische Portal kath.net etwa oder die Wochenzeitung "Die Tagespost" in Würzburg. Untereinander scheint es keinen Kontakt zu geben, doch in medialen Debatten über Kirchenpolitik dauert es meist nicht lang, bis von beiden Flügelkämpfern gegensätzliche Statements vorliegen.

Papst Franziskus während der Gründonnerstagsmesse 2020 im Vatikan.
Bild: ©KNA/Cristian Gennari/Romano Siciliani

Papst Franziskus: für die Reformer Hoffnungsträger, die Konservativen halten sich zurück.

Im Verhältnis zum Papst hat sich mit der Wahl von Franziskus ein bemerkenswerter Wandel ereignet. Attackierte "Wir sind Kirche" dessen Vorgänger Benedikt XVI. und Johannes Paul II. scharf und häufig, so erscheint den Reformern das amtierende Kirchenoberhaupt nun als Hoffnungsträger. Für das Forum, das zum Zeichen seiner Papsttreue die Kuppel des Petersdoms im Logo führt, sind manche Äußerungen des lateinamerikanischen Papstes hingegen nur schwer zu akzeptieren, weswegen dort viele den vorigen Päpsten nachtrauern und ihrer Enttäuschung im Internet Luft machen. Wobei die Leitung des Forums offene Kritik am Nachfolger Petri vermeidet.

Eine Annäherung zu der AfD und Verschwörungstheorien?

Ansonsten ist das Forum nicht zimperlich. So wurde beim "Freude am Glauben"-Kongress 2019 eine Resolution verabschiedet, die eine "Keule der 'political correctness'" im öffentlichen Umgang, den "zwangsfinanzierten Staatsfunk" und angebliche Sanktionen für Regierungskritiker geißelte. Kritiker sahen darin eine Nähe zur AfD und zu Verschwörungsmythen.

Grenzüberschreitungen sind aber auch "Wir sind Kirche" nicht fremd. Beim ersten Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin organisierte man eine katholische Messe in einer evangelischen Kirche, bei der Nicht-Katholiken ausdrücklich zur Kommunion geladen wurden, was offiziell verboten ist. Die beteiligten Priester wurden danach suspendiert.

Von Christoph Renzikowski und Christopher Beschnitt (KNA)