Kritik an ursprünglicher Missbrauchsstudie untermauert

Juristen: Neues Gutachten wird für das Erzbistum Köln "ungemütlich"

Veröffentlicht am 02.11.2020 um 17:10 Uhr – Lesedauer: 

Köln/München ‐ "Schuldzuweisungen ohne Belege" und "nicht gerichtsfest": Strafrechtler attestieren der für das Erzbistum Köln erstellten Missbrauchsstudie gravierende Mängel. Von einer Veröffentlichung hat das Erzbistum daher Abstand genommen. Der Vorsitzende des Betroffenenbeirats wünscht sie sich nun aber doch.

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Strafrechtsexperten haben ihre Kritik an der von der Münchner Kanzlei Westphal Spilker Wastl erarbeiteten Missbrauchsstudie für das Erzbistum Köln untermauert. Diese untersucht mögliches Fehlverhalten von Verantwortungsträgern des Erzbistums bei Fällen sexualisierter Gewalt. "Das Gutachten ist nicht gerichtsfest", sagte der Frankfurter Strafrechtler Matthias Jahn am Montag vor Journalisten in Köln. Nach Worten des Kölner Strafrechtsexperten Björn Gercke finden sich in der Untersuchung "vermeintliche Schuldzuweisungen mit starken Worten, ohne Belege zu bringen". Gercke soll für das Erzbistum bis zum 18. März 2021 ein neues Gutachten verfassen.

Die Kanzlei Westphal Spilker Wastl wies die Vorwürfe zurück. Die vom Erzbistum Köln beauftragte Stellungnahme Jahns und des Erlanger Kriminologen Franz Streng zu ihrer Untersuchung leide selbst unter einem grundlegenden methodischen Fehler: "Der uns im Dezember 2018 erteilte Auftrag bestand in einer umfassenden Bewertung des Handelns der Bistumsverantwortlichen." Eine Beschränkung auf die bloße Rechtmäßigkeitskontrolle sei gerade nicht vorgesehen gewesen: "Einen derartig beschränkten Gutachterauftrag hätte die Sozietät auch abgelehnt."

Sachfremde Motive wie die Prominenz der Verantwortungsträger?

Jahn warf der Kanzlei vor, aus den 189 ausgewerteten Personalakten 15 angeblich gravierende Fälle herausgegriffen zu haben, ohne dies näher zu begründen. Dies werde vielen Opfern nicht gerecht, die in der Untersuchung keine Berücksichtigung gefunden hätten. Laut Jahn könnten bei der Auswahl sachfremde Motive wie die Prominenz der Verantwortungsträger eine Rolle gespielt haben. Die namentliche Erwähnung von Verantwortungsträgern könne zudem bei Mängeln zivilrechtliche Klagen nach sich ziehen.

Auch Gercke sprach von einer willkürlichen Auswahl von Beispielen. So werde etwa der Fall eines jüngst von der Staatsanwaltschaft Köln erneut angeklagten Geistlichen nur mit einer halben Seite thematisiert. Laut dem Strafrechtler umfasst der an ihn ergangene Auftrag, Rechtsverstöße von Bistumsverantwortlichen zu identifizieren - auf Basis eines juristischen Gutachtens und nicht nach moralisch-ethischen Maßstäben.

Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki im Portrait
Bild: ©picture alliance/Geisler-Fotopress

Einwände, der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wolle Erkenntnisse zurückhalten, wiesen die nun mit der Studie betrauten Strafrechtler zurück.

"Das Gutachten wird für das Erzbistum ungemütlich werden", sagte Gercke zu Einwänden, der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki wolle Erkenntnisse zurückhalten. Sein Team aus fünf Anwälten und wissenschaftlichen Mitarbeitern werde jeden einzelnen der insgesamt 312 Verdachtsfälle würdigen. Seine Kanzlei sei im Oktober vom Erzbistum beauftragt worden und ihr seien dazu die 189 auszuwertenden Personalakten und 236 Interventionsakten zugestellt worden. Es gebe 243 Beschuldigte und 386 von sexueller Gewalt Betroffene.

Laut Gercke gibt es ein großes Problem mit "defizitären Akten". Er warf Westphal Spilker Wastl unter anderem vor, sich nicht darum bemüht zu haben, die Urheberschaft unleserlicher Signaturen auf Vermerken etwa mit Hilfe des Kölner Diözesanarchivs aufzuklären. Auf einer solchen Notiz beruhen zum Beispiel Vertuschungsvorwürfe, die sich laut Medien gegen den früheren Personalchef und späteren Generalvikar der Erzdiözese, Stefan Heße, in der unveröffentlichten Studie richten. Der heutige Hamburger Erzbischof weist diese Anschuldigungen zurück.

Sprecher des Betroffenenbeirats nun doch für Veröffentlichung

Unterdessen hat sich der Sprecher des Betroffenenbeirats des Erzbistums Köln, Patrick Bauer, nun doch für eine sofortige Veröffentlichung der kritisierten Studie ausgesprochen. Gegenüber katholisch.de erklärte er, dass er entgegen der am Freitag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von Erzbistum und Betroffenenbeirat nun dafür plädiert, Transparenz herzustellen und die Untersuchung zu veröffentlichen. Auf der Sitzung des Betroffenenbeirats sei er "überrascht" worden. Auf der Tagesordnung sei nur ein Tagesordnungspunkt angekündigt gewesen, der sich mit dem "Weitergang der unabhängigen Untersuchung" befasse, ohne nähere Informationen.

Die Zitate Bauers in der gemeinsamen Erklärung seien zwar so in der Sitzung gefallen, im Nachgang des Treffens sei ihm aber klar geworden, dass es dabei "Dinge gab, die nicht gut gelaufen sind". Daher habe er seine Meinung geändert und würde sich heute so nicht mehr äußern. Während der Sitzung habe es aufgrund des in dieser Form nicht angekündigten Tagesordnungspunkt nicht genügend Zeit gegeben, um die Informationen angemessen zu bewerten. Bauer betont, dass diese Einschätzung seine persönliche ist, die noch nicht mit dem Betroffenenbeirat abgestimmt ist. Das Münchener Gutachten selbst liegt dem Betroffenenbeirat nicht vor.

Das Erzbistum Köln teilte auf Anfrage von katholisch.de mit, dass der Betroffenenbeirat am vergangenen Donnerstag "mit dem Erzbistum gemeinsam und in einem einstimmigen Votum" die Entscheidungen für die gemeinsame Erklärung getroffen hat. Jedes Mitglied sei dabei einzeln um Feedback gebeten und nach einer Entscheidung gefragt worden. Die Erklärung habe man dann "auf ausdrücklichen Wunsch des Beirats so schnell wie möglich kommuniziert". Das Erzbistum bestätigte außerdem, dass "ein Mitglied des Betroffenenbeirats aktuell von seiner Aufgabe zunächst befreit werden möchte, um Zeit zu haben, über den gesamten Sachverhalt nachzudenken". Dieses Mitglied habe an der Sitzung am Donnerstag bereits nicht mehr teilgenommen. (fxn/KNA)