Pilgern an der Mosel: Wenn der Himmel sein schönstes Blau zeigt
Wenn ich meine Gedanken sortieren und auf das Wesentliche fokussieren möchte, packe ich meinen Pilgerrucksack und mache mich alleine auf den Weg. Zu Beginn ist alleine unterwegs zu sein eine Herausforderung. Am Ende ist es eine Erlösung.
Speziell den historischen Pilgerwegen in Deutschland gilt mein Interesse, den altehrwürdigen Hauptwegen der Jakobspilger auf ihrem Weg nach Santiago di Compostela. Einer davon ist der Mosel-Camino, der mit seinen Weinlagen zu jeder Jahreszeit reizvoll ist, auch im Winter. Mit über 4.000 zu bewältigenden Höhenmetern ist der Mosel-Camino kein Spaziergang. Doch bei den traumhaften Ausblicken über die Steillagen der Weinberge hinweg auf das liebliche Moseltal ist manche Anstrengung schnell wieder vergessen.
Schönstes Wetter begrüßt mich am Morgen meiner ersten Etappe auf dem Mosel-Camino. Am Schloss Stolzenfels startet meine achttägige Pilgertour. Ein letzter Blick hinunter auf den Rhein, dann wende ich mich dem Koblenzer Stadtwald zu und laufe los. Einmal tief durchatmen, den frischen Waldduft inhalieren und mich gemächlichen Schrittes der Zivilisation davonstehlen. Die Orientierung fällt mir leicht, denn in zuverlässigen Abständen sind Wegmarkierungen angebracht. Besonders hübsch sind die Nistkästen, die entweder mit der gelben Jakobsmuschel oder dem gelben Pfeil als Markierung des Jakobswegs versehen sind. Die Nistkästen entstanden im Rahmen des NABU-Projekts "Artenschutz am Pilgerweg". Karl-Heinz Jung, Autor etlicher Pilgerführer, ist offizieller Beauftragter dieses Projekts, das "den religiösen Aspekt des Pilgerns mit der Bewahrung der Schöpfung" verbinden möchte. Entlang des Mosel-Caminos und einiger anderer Jakobswege sind die Wegmarkierungen an Nist- und Überwinterungskästen angebracht.
Willkommen an der Mosel
Auf meinem Weg Richtung Mosel überquere ich die Hunsrückhöhenstraße, die größtenteils der alten römischen Handelsroute von Koblenz nach Trier folgt. An der hübschen Dreifaltigkeitskirche Bleidenberg lege ich eine Pause in der Abendsonne ein und genieße einen traumhaften Blick auf Burg Thurant oberhalb von Alken. Ganz schön steil und anstrengend ist der Abstieg über den Kreuzweg nach Alken. Mit leicht zitternden Knien komme ich den Berg herunter und stehe vor dem Gittertor eines über 400 Jahre alten Hauses, mit echten Kanonenkugeln auf den Mauerpfosten. Es ist die Pilgerherberge am Bleidenberg. Hier will ich übernachten. Herzlich werde ich empfangen und zum Abendessen eingeladen. Flugs wird mir ein Pilgerzimmer hergerichtet und ein Glas Wein gereicht. Willkommen an der Mosel.
Die erste Etappe ist geschafft, und ich bin begeistert von der Mosellandschaft und den vielen Burgen, die ich auf meinem Weg zu sehen bekomme: Burg Thurant, Burg Eltz, Burgruine Metternich und die Reichsburg in Cochem, die gar nicht geplant war. Zielort der zweiten Etappe ist Treis-Karden. Auf dem Weg dorthin muss ich ein paar Höhenmeter zurücklegen, um über das "Küppchen" nach Lasserg zu gelangen. Von dort führt mich die Wegmarkierung weiter zur Burg Eltz. Mit dem Abstieg lasse ich mir Zeit, denn ich mag das Kribbeln der Vorfreude. Dann endlich stehe ich vor dem imposanten Bauwerk und lasse den Anblick auf mich wirken. Im Weitergehen gelange ich ans romantische Ufer des Elzbachs. Jetzt muss ich nur noch einmal bergauf, über den Kompeskopf rüber und hinab nach Karden, wo die zweite Etappe mit einem gemütlichen Abendessen ausklingt.
Da mir die dritte Etappe mit fast 30 Kilometern am Stück zu lang ist, halbiere ich sie und versuche in Beilstein, einem wunderschönen Ort mit viel Fachwerk und romantischem Flair, eine Übernachtung zu finden. Bis zum Tagesziel muss ich zwei Bergaufstiege bewältigen. Dazwischen liegt im idyllischen Flaumbachtal das Kloster Maria Engelport. In der Klosterkapelle habe ich einen Moment der Stille für mich ganz alleine. Auch solche schlichten Augenblicke bleiben mir von meinen Pilgerwanderungen in Erinnerung. Hinter dem Klostergebäude führt mich die Wegmarkierung an einer Mariengrotte vorbei auf einen Waldpfad. Kilometerlang wandere ich bergauf und bergab durch den Wald. Es ist ein erholsames, meditatives Wandern, und ich empfinde eine angenehme innere Ruhe, die sich nun nach ein paar Tagen Pilgerschaft eingestellt hat.
Die Etappe von Beilstein nach Bullay führt über die "Alte Schanze", die einzige Erhebung auf dieser Strecke. Heftige Regenschauer weichen die Wege auf und erschweren das Vorwärtskommen. Mehrmals rutsche ich im Matsch aus. Ich bin froh, als ich Bullay erreiche und eine nette Herberge für die Nacht finde.
Draußen wird es zunehmend ungemütlich. Zum Dauerregen kommt noch starker Wind hinzu. Und so beschließe ich, einen Pausentag in Bullay einzulegen. Immerhin steht bei der kommenden Etappe nach Traben-Trarbach der schlimmste Anstieg noch bevor: der Bummkopf, die höchste Erhebung des Mosel-Caminos. Im Matsch und bei Sturm wäre das ein wagemutiges Vorhaben.
Aus einem Pausentag werden zwei, und ich beschließe schweren Herzens, diese Etappe nicht zu wandern. Teilweise sind die Wege überschwemmt und nicht begehbar. Ich fahre mit der Moselweinbahn nach Traben-Trarbach.
Mit Start der fünften Etappe von Traben-Trarbach nach Monzel habe ich die Hälfte des Mosel-Caminos geschafft. Zuverlässig leitet mich die Jakobsmuschel zunächst in den Weinberg und in steilem Anstieg auf die Hunsrückhöhen, wo früher eine alte Römerstraße verlief. Traumhafte Ausblicke habe ich von unterwegs, auf die Grevenburg und die Alte Lateinschule, Trarbachs Pilgerherberge. Ähnlich steil führt der Weg wieder hinunter und aus dem Wald heraus durch die Weinberge nach Bernkastel. Ich schlendere durch das Graacher Tor, das einzig erhaltene Stadttor von Bernkastel, und überquere die Mosel. Rückwärts schauend sehe ich die Ruine der Burg Landshut auf dem Berg oberhalb von Bernkastel thronen. Entlang der Mosel wandere ich nach Lieser, am gleichnamigen Schloss vorbei und anschließend durch die Weinberge nach Monzel, meinem Etappenziel.
Früh am nächsten Morgen breche ich zur sechsten Etappe auf. Beschwerlich ist der Aufstieg zur Schutzhütte Minheim, in der sich ein Gnadenbild der Muttergottes befindet. Rechts und links von der Marienfigur hängen Dankesbekundungen an den Wänden. Es berührt mich, dass Menschen aus ihrem Glauben Kraft schöpfen können, und ich lese jede Tafel aufmerksam. Auf meinem Weitermarsch durch die Ruhe der Natur kann ich von Weitem das Klostergebäude in Klausen erkennen. Andächtig betrete ich nach meiner Ankunft in dem kleinen Ort die Wallfahrtskirche Maria Heimsuchung. "Der Hochaltar mit Szenen aus der Passion Christi ist kunsthistorisch besonders wertvoll", lese ich in meinem Pilgerführer. Überhaupt finde ich die Kirche beeindruckend, sie strahlt eine friedvolle Atmosphäre aus. Vor der Kirche treffen der Mosel-Camino und der Eifel-Camino aufeinander und führen von hier gemeinsam nach Trier, wo beide enden.
Linktipp: Pilgern: Auf dem Weg zu Gott
Ob nach Lourdes, Fatima, Santiago oder Kevelaer: Jährlich pilgern etwa 40 Millionen Christen. Katholisch.de stellt die Tradition der Wallfahrt, wichtige Bräuche und bekannte Pilgerziele vor.
Den ersten Aufstieg am nächsten Morgen nehme ich gut gelaunt in Angriff. Auf schönen Naturwegen durchquere ich den Mehringer Wald. Mittlerweile hat sich die Sonne ihren Platz am Himmel erkämpft, und ich finde am Zitronenkrämerkreuz eine geeignete Rastmöglichkeit. Ich lege mich auf eine Holzbank, strecke mein Gesicht in die Sonne und lausche dem Wald. In mir breitet sich Ruhe und Gelassenheit aus. Alles scheint sich zu sortieren. Mein Herz und meine Seele fühlen sich leicht, füllen sich mit Liebe und Mitgefühl. Erstaunt über diese Empfindung, setze ich mit leichten Schritten meine Wanderung fort und erreiche Schweich, meine letzte Übernachtungsstätte.
Es fühlt sich richtig an
Nun beginnt meine letzte Etappe von Schweich nach Trier. Erst gegen Nachmittag verschwindet der Nebel und der Himmel zeigt sein schönstes Blau. Immer näher komme ich der ältesten Stadt Deutschlands und dem Ziel meiner Wanderung. Noch ein paar anstrengende Steigungen hoch und runter, und ich erreiche die Hochterrasse oberhalb von Biewer. Auf diesen überwältigenden Ausblick auf Trier war ich nicht gefasst. In der Ferne kann ich die Porta Nigra und den Dom erkennen. Was mich am meisten berührt, ist die Sonne, die in diesem Augenblick einen leuchtenden Strahlenkranz über die Stadt fächert. Meine Gefühlslage ist kaum zu beschreiben. Ein abenteuerlicher Abstieg nach Biewer erwartet mich noch, bevor ich über die Kaiser-Wilhelm-Brücke zur Porta Nigra marschieren kann.
Am Hohen Dom zu Trier lasse ich mir bei der St. Jakobusbruderschaft einen Stempel in meinen Pilgerpass drücken. In der Liebfrauenkirche durchschreite ich die Heilige Pforte. Das Durchschreiten ist eine Geste des Vertrauens auf Gott. Es fühlt sich richtig an. Nach einem Marsch durch die Stadt komme ich in der Basilika Abtei St. Matthias an, dem Ziel aller Pilger auf dem Mosel-Camino. Ein besonderer Moment für mich, vor dem Reliquienschrein des heiligen Matthias zu stehen und zu wissen, dass mein Weg hier vorerst zu Ende ist.
Info: Mosel-Camino
Der 180 Kilometer lange Mosel-Camino führt in acht Etappen von Koblenz-Stolzenfels nach Trier, zum Grab des Apostels Matthias. Er steht unter der Patenschaft der Trierer St.-Jakobusbruderschaft und ist durchgängig markiert. Der Mosel-Camino hat etliche Steigungen, eine Grundkondition ist erforderlich. Im Winter ist es empfehlenswert, die Übernachtung im Voraus zu buchen, da viele Herbergen und Pensionen geschlossen haben. Bei Hochwasser kann es vorkommen, dass die Wegabschnitte an der Mosel nicht begehbar sind und umgeleitet werden.
Hinweis: Magazin: "Der Pilger"
Der Text stammt aus der Zeitschrift "Der Pilger – Magazin für die Reise durchs Leben". Ein weiteres Thema der aktuellen Ausgabe lautet Was unser Leben wertvoll macht. Mit konkreten Anregungen, um das eigene Wertesystem auf den Prüfstand zu stellen. Weitere Beiträge in der Winterausgabe: Nachhaltig leben – viele Ideen und Tipps zum Nachmachen, Zu Gast bei den Chorherren auf dem Großen Sankt Bernhard, Meine Zeit gehört mir – wie ich sie gut nutzen kann. Schwester Birgit aus dem Franziskanerinnen-Kloster Reutte erklärt, welche besonderen Heilkräfte in den exotischen Gewürzen Piment und Kardamon stecken.