"Gott": Debatte über Leben und Tod zur besten Sendezeit
"Wem gehört unser Leben? Wer entscheidet über unseren Tod?" Mit diesen existenziellen Fragen wird das Theaterstück "Gott" des Erfolgsautors Ferdinand von Schirach beworben. Und in der Tat geht es in dem im September in Berlin uraufgeführten Werk um nicht weniger als die Möglichkeit eines selbstbestimmten Todes. Es ist der zweite Teil einer als Trilogie von Theaterstücken angelegten Reihe von Schirachs, der als Verfasser von Kurzgeschichten und Romanen zu den erfolgreichsten deutschen Schriftstellern der Gegenwart gehört. Genauso wie sein Vorgänger "Terror" 2016 wurde nun auch "Gott" für die ARD verfilmt und wird am Montag im Ersten zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr ausgestrahlt.
Das Drehbuch für die mit hochkarätigen Schauspielern, wie Anna Maria Mühe, Götz Schubert und Christiane Paul, besetzten Fernsehfilm hat von Schirach selbst verfasst und orientiert sich daher stark an der Theatervorlage. Der Rahmen der Handlung ist so einfach wie tragisch und offensichtlich fiktiv: Die Zuschauer wohnen einer Sitzung des Deutschen Ethikrates bei, die sich mit dem Wunsch des 78-jährigen Richard Gärtner nach assistiertem Suizid befasst.
Der Architekt im Ruhestand ist zwar geistig fit sowie körperlich gesund und könnte ein von Reisen, Literatur und der Sorge um die Enkelkinder erfülltes Leben genießen. Doch seit dem Tod seiner Ehefrau vor drei Jahren kann Gärtner keine Freude mehr am Leben finden. Seinen Todeswunsch hat er mit seinen Söhnen, Ärzten und Therapeuten intensiv diskutiert. Kaum jemand kann ihn verstehen und auch seine Hausärztin, die ebenfalls bei der als Verhandlung angelegten Ethikrat-Sitzung Auskunft gibt, will ihn aus Gewissensgründen nicht bei seinem geplanten Suizid helfen.
Unterstützt wird Gärtner hingegen vom Anwalt Biegler, der seinem Mandanten und Freund beisteht. An der Figur Bieglers wird deutlich, dass es bei "Gott" keineswegs um eine neutrale Debatte um den Fall des lebensmüden Rentners handelt, sondern um ein Plädoyer für selbstbestimmtes Sterben seitens des Autors. Von Schirach nutzt seine künstlerische Freiheit als Schriftsteller und seine Kenntnisse als Jurist, um den Zuschauern vor Augen zu führen, dass aus seiner Sicht jeder Mensch – egal ob alt oder jung, körperlich krank oder gesund – das Recht aus Selbstbestimmung bis in den Tod hinein hat.
Daher verwundert es nicht, dass in "Gott" einige Male Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar genommen wird, das Deutschland mit einem Male eine der liberalsten Handhabungen der Suizidbeihilfe brachte. Die Karlsruher Richter beschlossen, dass das seit 2015 geltende Verbot organisierter Hilfe bei der Selbsttötung verfassungswidrig sei, da es die Rechte von schwerstkranken Menschen und Ärzten verletze. Von Schirachs Stück und sein Film setzen die richterliche Grundsatzentscheidung voraus, versuchen jedoch, die gesellschaftliche Debatte zu Selbstmord und Sterbehilfe abzubilden.
Drei Sachverständige im "Zeugenstand"
Deshalb treten drei Sachverständige in den "Zeugenstand" von Schirachs und werden von seinem Alter Ego Biegler sowie einer als Gegnerin der ärztlichen Beihilfe zum Suizid charakterisierten Figur ins Kreuzverhör genommen. Am besten kommt die juristische Sachverständige Litten dabei weg, der es größtenteils zukommt, neutral über die rechtliche Lage zum Themenbereich Suizidbeihilfe zu informieren. Gerade hier können die Leser und Zuschauer einiges an hilfreichen Fakten erfahren. Der darauffolgende medizinische Sachverständige Sperling lehnt die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung entschieden ab – vor allem aus Bedenken hinsichtlich der Moral seines Berufsstands. Von Schirach zeichnet ihn als einen sich hinter dem Hippokratischen Eid verschanzenden Ärzte-Funktionär, der schließlich in der Befragung durch Biegler zugeben muss, dass die moderne Version dieses antiken Schwurs die Suizidbeihilfe für Mediziner nicht mehr generell ausschließt.
Am meisten Zeit nimmt jedoch das Verhör des theologischen Sachverständigen ein. Der katholische Bischof Thiel wird gleichsam als Karikatur eines heutigen Oberhirten beschrieben: Er verschanzt sich hinter frommen Phrasen, argumentiert mit Augustinus und Thomas von Aquin anstatt mit zeitgenössischer Theologie und hält zum Schluss seiner Ausführungen eine Ansprache, die emotional bewegt, aber inhaltlich nicht überzeugt. Biegler nimmt ihn als gewiefter Exeget auseinander und kann dabei selbstredend nicht auf kirchenkritische Verweise zur kirchlichen Beteiligung an Kreuzzügen, Inquisition und Hexenverfolgung verzichten. Immer wieder dreht sich die Diskussion auch um das kirchliche Argument gegen Suizidbeihilfe, dass das Leben ein Geschenk Gottes sei und daher geschützt werden müsse. Nur Gott dürfe es geben oder nehmen, lässt von Schirach seinen Bischof Thiel sagen. Wohl daher hat das Stück seinen plakativen Namen: "Gott".
Wie auch schon bei "Terror" kommt der Clou des Stückes am Ende: Die Zuschauer können nach den Schlussplädoyers abstimmen, ob der sterbewillige Gärtner das von ihm gewünschte Sterbemedikament erhalten soll oder nicht. Bei der Ausstrahlung im Ersten wird das Ergebnis des Zuschauer-Votings in der anschließenden Ausgabe der Talkshow „Hart aber Fair“ verkündet. Bei der geplanten Diskussion zu dem Thema wird auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, anwesend sein.
Doch die prominente Platzierung von "Gott" hat neben großem Lob für die Beschäftigung mit dem wichtigen Thema Sterbehilfe auch massive Kritik hervorgerufen. 17 namhafte Palliativmediziner und Suizidforscher warnten am Samstag vor einer fehlgeleiteten Debatte über Selbsttötungen in Deutschland. Von Schirachs Stück enthalte Verkürzungen und Verzerrungen; es würde die Positionen der modernen Suizidprävention nicht ausreichend berücksichtigen. Die Reaktionen zeigen, dass die Diskussion über die Sterbehilfe auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts in Deutschland noch längst nicht beendet sind.
Gezeigt wird "Gott" auch in der Schweiz, wo gemeinnützige Organisationen Suizidbegleitung anbieten dürfen – ein Umstand, der auch vom Autor thematisiert wird. In Österreich würde jedoch kurzfristig auf die Ausstrahlung des Films verzichtet. "Wir haben als Gesellschaft gerade erst beim Terrorüberfall in Wien um menschliches Leben gebangt und gekämpft", erklärte der Präsident des Katholischen Familienverbands Österreichs, Alfred Trendl, am Freitag die Situation. "Auch durch den Lockdown versuchen wir menschliches Leben, insbesondere das unserer älteren Mitbürger, zu schützen. Da ist ein Film, der menschliches Leben zur Disposition stellt, nicht passend."