Sozialethiker Eggensperger für Verzicht auf Weihnachtsgottesdienste
Der Sozialethiker Thomas Eggensperger hat sich für einen Verzicht der Kirchen auf öffentliche Weihnachtsgottesdienste ausgesprochen. Deren Absage "wäre ein Zeichen der gesellschaftlichen Verantwortung der Kirchen", sagte der Dominikanerpater katholisch.de am Mittwoch. Der Verzicht auf Gottesdienste sei "die einzige Möglichkeit, guten Gewissens Weihnachten zu feiern", so Eggensperger. Die Deutsche Bischofskonferenz und die Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland müssten nun handeln.
Die Politik habe Gottesdienste unter strengen Auflagen zwar gestattet, hoffe nach Ansicht von Eggensperger jedoch auf Einsicht bei den Kirchenleitungen. Die Politiker seien besorgt, dass eine direkte Forderung nach einem Gottesdienstverzicht als Angriff auf die Religionsfreiheit verstanden werden könnten. Diese Befürchtung würde nicht bestehen, wenn "die Kirchen von sich aus eine entsprechende Entscheidung fällen", so der Theologe. Damit könnten sie auch den zunehmenden kritischen Rückfragen aus der Gesellschaft nach einer "scheinbaren Privilegierung der Kirchen" begegnen.
Eggensperger macht unter den Bischöfen eine gewisse Unsicherheit bei diesem Thema aus: "Die Weihnachtsgottesdienste sind wie der sprichwörtliche 'weiße Elefant' im Raum: Jeder sieht ihn, aber niemand sagt etwas." Lediglich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck habe einen Vorstoß gewagt und sich am Montag für eine Reduzierung der Gottesdienste auf das Nötigste ausgesprochen. "Das ist ein sehr empfindliches Thema, weshalb die Bischöfe Angst vor den Reaktionen der Gläubigen bei einer Absage der Gottesdienste haben."
Der Verzicht auf öffentliche Weihnachtsgottesdienste bedeute zwar "großes Leid für viele Gläubige", so Eggensperger. Doch man dürfe eine eventuelle Absage auch nicht überbewerten: Es gebe die Möglichkeit, Messfeiern im Fernsehen oder im Internet mitzufeiern. Das habe schon während der Kar- und Ostertage funktioniert. Letztlich sei die Frage nach dem Gottesdienstverzicht jedoch ein Graubereich, in dem ethisch abgewogen werden müsse. Mangelhafte Schutzkonzepte zur Verhinderung einer Ansteckung mit dem Coronavirus in der Kirche seien hingegen nicht das Problem, sagte Eggensperger. Die Hygieneregeln hätten sich bewährt und würden eingehalten. Dennoch hätten nicht wenige Seelsorger die Befürchtung, dass die Gottesdienste zu erhöhten Infektionszahlen führen würden. Diese Sorge teilten auch zahlreiche Gläubige.
Persönlich habe er ein "ungutes Gefühl", an den Weihnachtstagen als Priester Gottesdienste mit vielen Gläubigen zu feiern, sagte der Ordensmann. "Ich bin mir unsicher, ob bei der latent immer vorhandenen Sorge um die Gesundheit der Gläubigen überhaupt ein echtes Weihnachtsgefühl aufkommen kann." Zudem stelle sich die Frage, wie man etwa mit Gläubigen umgehe solle, die man an Heiligabend aufgrund belegter Plätze an der Kirchentür abweisen müsse. Eggensperger ist geschäftsführender Direktor des Institut Marie-Dominique Chenu in Berlin, einer Einrichtung des Dominikanerordens. Zudem ist er Professor für Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster.
Die Bund-Länder-Konferenz hatte am Wochenende trotz der Verordnung eines "harten Lockdowns" die Feier von Gottesdiensten unter strengen Hygieneauflagen weiterhin erlaubt. Die bayerischen Bischöfe baten die Landesregierung des Freistaats gestern daher darum, die in Bayern geltende Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens für Heiligabend auszusetzen, um den Besuch eines Gottesdienstes zu ermöglichen. Der Augsburger Bischof Bertram Meier kritisierte zudem die Forderung der Regierung um Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die Christmetten am Heiligen Abend aufgrund der Ausgangsbeschränkungen vorzuverlegen. "Wir wurden von der neuen Entwicklung förmlich überrumpelt", sagte Meier am Dienstag. "Eine stabile Brücke zwischen Staat und Kirche, die durch Krisen trägt, stelle ich mir anders vor." Am gleichen Tag teilte Söder mit, keine Ausnahmen von der Ausgangssperre am Heiligabend zu erlauben. (rom)