Eucharistie-Debatte: Leppin verteidigt gegenseitige Mahleinladung
Da die theologischen Unterschiede im Mahlverständnis nicht mehr trennend seien, plädierte der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) im Herbst 2019 dafür, den Empfang des Abendmahls beziehungsweise der Eucharistie für Gläubige der jeweils anderen Konfession zu öffnen. Die römische Glaubenskongregation erteilte diesem Vorstoß jedoch eine Absage, woraufhin das Ökumene-Gremium seine Argumentation zuletzt in einer umfangreichen Stellungnahme nochmals erläuterte. Der evangelische Theologe und Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin ist wissenschaftlicher Leiter des ÖAK von evangelischer Seite. Im Interview mit katholisch.de verteidigt er die theologischen Grundlagen und die Praxisnähe der Ökumene-Texte. Dabei spart er nicht mit Kritik am Vorgehen der zuständigen Stellen in Rom.
Frage: Herr Leppin, wenn Sie auf die Entwicklung um das ÖAK-Votum "Gemeinsam am Tisch des Herrn" schauen, auf die jahrelange theologische Arbeit und die dann folgende harsche Kritik durch die römische Glaubenskongregation: Sind Sie froh, als evangelischer Christ nicht an päpstliche Instanzen gebunden zu sein?
Leppin: (lacht) Jedenfalls bin ich für meine eigene Theologie nicht daran gebunden, das empfinde ich als Freiheit. Aber natürlich belastet es jemanden, für den Ökumene ein wichtiger Teil der eigenen Tätigkeit und der eigenen Identität als Christ ist, zu sehen, dass hier an einer sehr sensiblen Stelle der Ökumene von Rom aus im Grunde eine Gesprächsverweigerung stattfindet. Und die Gesprächsverweigerung setzt sich in der aktuellen Stellungnahme des für die Ökumene zuständigen Kardinals auch fort. Das ist etwas, das irritiert und schmerzt.
Frage: Sie beziehen sich auf Kardinal Kurt Koch, den Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen. Anfang letzter Woche hatte er sich zum Antwortschreiben auf die "Lehrmäßigen Anmerkungen" geäußert und dabei seinerseits die Gesprächsbereitschaft des ÖAK infrage gestellt. Er kritisierte außerdem, dass sich der Text im "rein akademischen Bereich" bewege und der selbst erhobene "Primat der Praxis" nicht eingelöst würde. Was sagen Sie dazu?
Leppin: Also der erste Punkt, dass er dem ÖAK mangelnde Gesprächsbereitschaft vorwirft, ist ja eine Reaktion darauf, dass wir uns auf über zwanzig Seiten mit dem Papier, das aus Rom gekommen ist, auseinandergesetzt haben. Wir haben das kritisch getan, aber auch Kritik ist eine Form des Gesprächs, mit der man leben können muss. Wenn nun Kritik – und es ist eine detaillierte Kritik, eine Aufnahme der Argumente aus Rom – wenn das als etwas wahrgenommen wird, das kein Gespräch sein soll, dann liegt der Ball nach wie vor in Rom. Ich würde mich freuen, wenn seitens des Kardinals vielleicht doch noch eine inhaltliche Reaktion käme und nicht nur eine schroffe Abweisung.
Frage: Und bezüglich des angeblich fehlenden Praxisbezugs?
Leppin: Was den Vorwurf der mangelnden Erdung angeht, sollte man vielleicht einfach mal in eine beliebige katholische oder evangelische Gemeinde gehen – ich begrenze das mal auf den deutschen Sprachraum, für den das Votum ja verfasst ist – und sollte das, was man dort erlebt, mit dem Anspruch aus dem Büro des Einheitsrates in Rom vergleichen. Dann kann man sich fragen, welche Äußerungen eigentlich mehr an der Realität geerdet sind. Wir reagieren hier nicht zuletzt auf eine Not. Auf eine Not, die in unseren evangelischen und katholischen Gemeinden dauerhaft gegenwärtig ist. Und wer der Meinung ist, dass die Reaktion auf eine Not nichts mit Erdung in der Realität zu tun hat, den muss ich fragen, von welcher Realität er eigentlich spricht.
Frage: Nun misst die evangelische Kirche der Bibel gegenüber der Tradition ja tendenziell eine größere Bedeutung zu als die katholische. Trotzdem sind sich die Konfessionen in der Verhältnisbestimmung von Schrift und Tradition zwischenzeitlich einig, dass sich die Bibel nicht selbst auslegt, sondern anhand theologischer Kriterien interpretiert werden muss. In der aktuellen Stellungnahme des ÖAK zu den römischen Anmerkungen heißt es, dass diese notwendige Schriftinterpretation aber "nur in ökumenischer Gemeinschaft" geschehen kann. Was meinen Sie damit?
Leppin: Das ist die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Perspektivenvielfalt uns weiterbringt. Dass der Austausch von unterschiedlichen Perspektiven erst tatsächlich den Blick eröffnet für einen möglichen, wissenschaftlich getragenen Konsens. Ich bringe als evangelischer Wissenschaftler immer eine bestimmte Perspektive mit. Ebenso wird ein katholischer Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin eine eigene Perspektive mitbringen. Und erst wenn wir die zusammenbringen, sind wir bei einer auf breiter Basis tragfähigen Aussage. Deswegen ist es auch ein Missverständnis, wenn in den Lehrmäßigen Anmerkungen zu unserem Text formuliert wurde, unsere exegetischen Erkenntnisse zeigten in sich schon konfessionelle Vorannahmen. Das tun sie eben gerade deshalb nicht, weil sie aus den großen Leistungen der evangelischen Exegese und den großen Leistungen der katholischen Exegese zusammengetragen worden sind.
Frage: Von evangelischer Seite besteht die Einladung von nicht-evangelischen Christen zum Abendmahl ja schon seit langer Zeit. Wenn Sie jetzt den konfessionellen Austausch so stark betonen, wo kann dabei auch für die evangelische Kirche noch Lernpotential liegen?
Leppin: Dieser Diskurs erinnert natürlich auch an eigene Grundlagen, etwa daran, dass nicht alles beliebig ist. Relativ früh in diesem Prozess hat Kardinal Koch sehr zu Recht darauf hingewiesen, dass wir von evangelischer Seite darauf achten müssen, dass etwa die Leitung der Abendmahlsfeier durch ordinierte Personen gesichert sein muss. Das entspricht dem evangelischen Selbstverständnis und das fordert die katholische Seite völlig zu Recht. Das gehört zu den Punkten, an denen berechtigte Kritik unser Gespräch weitergeführt hat und auch noch weiterführen kann.
Frage: Die Grundaussage von "Gemeinsam am Tisch des Herrn" lautete ja, die theologischen Unterschiede im Eucharistie- bzw. Abendmahlsverständnis würden nicht mehr ausreichen, um eine fortdauernde Trennung in der Mahlfeier zu begründen. Dem widersprachen die Lehrmäßigen Anmerkungen und stellten praktisch diametral fest, dass die Unterschiede nach wie vor kirchentrennend seien. Wie gehen Sie innerhalb der evangelischen Kirche damit um, wenn in einer theologischen Frage gewissermaßen Aussage gegen Aussage steht?
Leppin: Mit der Formulierung "Aussage gegen Aussage" nutzen Sie ein juristisches Bild. Als Wissenschaftler würde ich immer sagen: Argumente sind gegen Argumente abzuwägen. Das ist an keine bestimmte Konfession gebunden, sondern das ist das, was ich in jedem, auch in dem gegenwärtigen Prozess erwarte. Ich gehe davon aus, dass die Deutsche Bischofskonferenz Argumente abwägen wird. Ich gehe davon aus, dass auch unter den Kardinälen Argumente wahrgenommen und abgewogen werden. Und dann wird man sehen, was bleibt.
Frage: Nun könnte man anmerken, dass sich ein gewisser belehrender Ton in der Stellungnahme des ÖAK mitunter schon finden lässt, wenn man ihn finden will. Sehen Sie das als Zeichen für ein gewachsenes Selbstbewusstsein der deutschen Theologie, aber auch der deutschen Bischöfe gegenüber Rom?
Leppin: Ich denke, es gehört zum Selbstverständnis der Wissenschaft zu sagen: Wir vertrauen auf die Stärke des Argumentes. Das haben wir hier getan. Und das hat nichts damit zu tun, einem Schüler eine schlechte Note zurückzugeben. Es gehört zur Würde nicht nur von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern von Christinnen und Christen generell, wenn sie den Eindruck haben, dass ihre Anliegen auf bestimmten Ebenen nicht einmal wahrgenommen worden sind, an diese Anliegen zu erinnern. Ich will nur einen Punkt aus der Debatte herausgreifen. Die Lehrmäßigen Anmerkungen haben unserem Papier unterstellt, es sei darin nicht von Realpräsenz die Rede. Jetzt kann man mit unserer Behandlung dieser Frage sehr unterschiedlich umgehen. Man kann sagen: Die brauchen nicht mehr vertieft über Realpräsenz zu reden, weil sie das voraussetzen – und das ist in unserem Text nachweisbar, dass wir das voraussetzen. Oder man kann daraus ein Argument suggerieren, wir würden die Realpräsenz nicht bejahen – und so geschieht es in den Anmerkungen. Das ist eine Weise von Deutung, die mit positiv wahrnehmender Lektüre nichts zu tun hat. Das habe ich nicht in der Weise eines Lehrers gegenüber einem Schüler zu beurteilen, aber ich kann in aller Geduld darauf hinweisen: In dem Text steht, was in dem Text steht, und das bitte ich auch zu lesen und zu respektieren.
Frage: Glauben Sie denn, man will nicht sehen, was dort steht, oder ist die lehramtliche Perspektive so verengt, dass man es nicht sehen kann?
Leppin: Da ich keinen bösen Willen unterstellen will, muss ich vermuten, dass man es nicht sehen konnte. Vielleicht konnte man es auch deshalb nicht sehen, weil die Lektüre in einem Kontext stattfand, in dem auch sonst kritische Blicke auf die Kirche in Deutschland gerichtet waren. Zeitlich sehr nah daran ist die Kritik der Bischofskongregation zum Synodalen Weg erfolgt. Das lässt fragen, ob da sozusagen Kollateralschäden in anderen Bereichen erfolgt sind. Aber in der Tat gehe ich davon aus, man konnte es nicht sehen. Deshalb auch von unserer Seite das beharrliche und mehr als zwanzig Seiten lange Bemühen, nochmal darauf zu verweisen, was hier zu lesen ist.
Frage: Ein Aspekt, von dem sie besonders bedauern, dass er von der römischen Kritik so wenig wahrgenommen wurde, ist die pneumatologische Perspektive, die "Gemeinsam am Tisch des Herrn" stark hervorhebt. Diese Perspektive zielt darauf ab, dass man auch jenseits der konfessionellen Grenzen Früchte des Heiligen Geistes wahrnehmen und deshalb die Ämter und Sakramente anderer Kirchen möglicherweise anerkennen könnte. Traut die evangelische Kirche dem Heiligen Geist hier tendenziell mehr zu?
Leppin: Ich bin mir gar nicht sicher, ob die evangelische Kirche dem Heiligen Geist generell mehr zutraut. Auch die genannte Aussage war ja eine gemeinsame ökumenische Erkenntnis. Sicherlich gibt es unterschiedliche Vorstellungen, wie der Geist wirkt. Die evangelische Sprache ist bei der Frage stark an die Vermittlung in "Wort und Sakrament" gebunden, die katholische Sprache eher an die Vermittlung durch das Amt. Meiner Meinung nach sind das aber keine Unterschiede, die Kirchentrennung mit sich bringen müssen. Wir sind doch gesamttheologisch in den letzten zwanzig, dreißig Jahren mit neuen Formen von Frömmigkeit und neuen Formen von Kirchlichkeit konfrontiert, die sehr stark das freie Wirken des Geistes betonen – die pfingstlichen und charismatischen Kirchen. Und das muss auch in unseren Kirchen ein Nachdenken auslösen, wie wir es eigentlich mit dem Heiligen Geist halten. Das ist eine ökumenische Aufgabe, die wir gemeinsam angehen müssen.
Frage: Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung von den katholischen Bischöfen in Deutschland und welche Erwartungen richten Sie an die zuständigen Stellen in Rom?
Leppin: Von den katholischen Bischöfen in Deutschland wünsche ich mir, dass sie sich ernsthaft mit den Argumenten auseinandersetzen und auf dieser Basis verantwortbare Entscheidungen treffen. Ich weiß, dass sich die Bischöfe in einem schwierigen Spagat befinden zwischen wissenschaftlichen Überlegungen, die sie wahrzunehmen haben, und den deutlichen Signalen aus Rom. Was den gesamten Vorgang angeht, wünsche ich mir, dass Gespräche der Glaubenskongregation und des Einheitsrates mit uns zustande kommen. Ich möchte zu einer sachorientierten Diskussion zurückkommen, damit man diesen unschönen Ton, den das Ganze auch durch die mediale Vermittlung bekommen hat, in eine konstruktivere Richtung wenden kann. Und um hier nochmal auf die kirchliche Realität anzuspielen: Wir haben doch in Deutschland in vielen Gemeinden schon eine großartige ökumenische Gemeinschaft. Und wie viele Paare haben sich gefunden, bei denen römisch-katholische und evangelische Partner sich zusammen bemühen, ihre Spiritualität zu leben. Diese Menschen sind die Vorreiter der Ökumene, und mit ihnen gemeinsam möchte ich die nächsten Schritte gehen können.