Philippa Rath: Klerikale Männerkirche ist "amputierte" Kirche
Schwester Philippa Rath (65), Benediktinerin und Delegierte des Reformdialogs Synodaler Weg, setzt sich für eine Öffnung aller Ämter in der katholischen Kirche für Frauen ein. Nun hat die Ordensfrau der Abtei Sankt Hildegard in Rüdesheim-Eibingen Lebens- und Berufungszeugnisse von 150 Frauen, die sich zur Diakonin oder Priesterin berufen wissen, gesammelt und als Buch herausgegeben. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach mit Schwester Philippa über die Anliegen dieser Frauen, die "Männerkirche" und die Gültigkeit päpstlicher Entscheidungen. Das Buch "Weil Gott es so will" erscheint am Montag (1. Februar) im Herder Verlag.
Frage: Schwester Philippa, warum haben Sie die 150 Berufungszeugnisse von Frauen in dieser geballten Form herausgegeben?
Rath: Ich wollte den Frauen endlich eine Stimme geben und die Möglichkeit, sich öffentlich zu ihrer Berufung zur Priesterin oder Diakonin zu bekennen. Viele der Frauen haben mir geschrieben: "Ich bin in der Kirche noch nie nach meiner Berufung gefragt worden."
Frage: Sie sind Delegierte beim Reformdialog Synodaler Weg und dort aktiv im Forum "Frauen in allen Ämtern und Diensten der Kirche". Wurde da bislang das Thema Berufung von Frauen nicht thematisiert?
Rath: Bei der Arbeit in der Synodalversammlung und in dem Forum habe ich bemerkt, dass uns dieses so wichtige Element fehlt: Es gibt viele sehr gute theologische Ausarbeitungen zum Thema Weiheämter für Frauen in der Kirche, aber diese persönliche Ebene, der Blick auf individuelle Berufungsgeschichten, war bisher aus meiner Sicht zu wenig im Blick.
Frage: Sie schreiben, dass Sie zum Nachdenken anregen und auch "Erschütterung auslösen" wollen, weil es eine "ungeheure Verschwendung von Begabungen und Charismen von Frauen" gebe...
Rath: Ja, das möchte ich, denn ich bin überzeugt, dass unsere katholische Kirche, so wie sie jetzt als "klerikale Männerkirche" erscheint, eine "amputierte" Kirche ist, weil sie mehr als die Hälfte aller Gläubigen, nämlich die Frauen, von den Weiheämtern ausschließt. Im gesellschaftlichen Zusammenhang nennt man eine solche Ungleichbehandlung Diskriminierung.
Frage: Manch einer würde jetzt fragen: Wären Frauen denn die besseren Priester?
Rath: Frauen wären sicher nicht per se die besseren Priester. Priester und auch Priesterinnen bleiben immer Menschen mit Fehlern und Schwächen. Aber entscheidend ist doch, dass Ämterfragen nicht am Geschlecht festgemacht werden dürfen, sondern eine Frage der Berufung durch Gott und der theologischen und geistlichen Kompetenz der Einzelnen sein sollten.
Frage: Papst Johannes Paul II. hat 1994 in einem lehramtlichen Schreiben betont, dass die katholische Kirche "keinerlei Vollmacht" habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Gilt das ewig?
Rath: Ich sehe nicht, dass diese Aussagen ein in Stein gemeißeltes Gesetz Gottes sind, sondern, dass es Spielräume zum Weiterdenken und Weiterargumentieren geben muss. Ewig ist für mich nur der Herrgott selbst. In der Kirchengeschichte gab und gibt es immer wieder Wandlungen in den Lehrentscheidungen und auch im Kirchenrecht.
Frage: Auch die nachfolgenden Päpste Benedikt XVI. und Franziskus haben aber daran festgehalten ...
Rath: Ja, das stimmt, aber dennoch darf es keine Denkverbote in der Kirche geben. Basta-Entscheidungen sind nie hilfreich, auch nicht, wenn sie immer wiederholt werden. Vielleicht wäre es ja auch möglich und sinnvoll, in dieser Frage einmal auf die "vox populi", die Stimme des Gottesvolkes, und den "sensus fidelium", das Glaubensempfinden der Gläubigen, zu hören. Ich denke, dann hätten die Frauen schon lange Zugang zu allen Diensten und Ämtern in der Kirche.
Frage: Für wie realistisch halten Sie eine Änderung in dieser Frage in den nächsten Jahren?
Rath: Ich glaube nicht, dass sich unter dem Pontifikat von Papst Franziskus noch Entscheidendes in dieser Frage tut. Aber manchmal führt der Heilige Geist ja auch zu Sinneswandlungen. Wir sollten ihm keine Schranken auferlegen. Irgendwann wird sich ein Papst, eine Synode oder neues Konzil dieser Frage neu zuwenden und neue Wege gehen.
Frage: Am 4. und 5. Februar wird der Synodale Weg coronabedingt als Videokonferenz fortgesetzt. Was erwarten Sie von dem Treffen?
Rath: Ich bin schon dankbar, wenn alle Seiten einander respektvoll zuhören, und zwar vorurteilsfrei ohne Schablonendenken. Und, wenn keine Seite der anderen die Rechtgläubigkeit abspricht. Durch den Synodalen Weg werden wir sicher nicht sofort vieles an konkreten Änderungen herbeiführen können. Da mache ich mir keine Illusionen. Aber ich bin überzeugt, dass sich das Bewusstsein ändern kann, dass wir den Boden für Erneuerung und Veränderung bereiten und in den vier Foren auch gute und wegweisende Beschlussvorlagen formulieren können, hinter denen dann hoffentlich auch eine große Mehrheit der Synodalversammlung stehen wird. Ich erhoffe mir ein starkes Votum und Signal der deutschen Kirche in Richtung Rom.
Frage: Was könnte denn schon heute konkret geschehen?
Rath: Viele Synodale möchten die deutschen Bischöfe ermutigen, die Spielräume zu nutzen, die das derzeitige Kirchenrecht schon hergibt. Die Praxis in der Schweiz könnte uns da ein Vorbild sein. Ich denke dabei zum Beispiel an die Leitung von Gemeinden durch Frauen; an eine Beauftragung zum Predigtdienst oder zur Spendung einzelner Sakramente für Laien – Frauen und Männer. Wir Ordensfrauen – um nur ein Beispiel aus meinem Alltag zu nennen – sitzen oft lange im Sprechzimmer und hören "Beichten" von Männern und Frauen. Wir können ihnen aber keine Lossprechung geben, weil nur ein geweihter Priester die Absolution erteilen kann. Hier wären mutige Schritte gefragt, auch mutige Bischöfe, die bereit sind, einmal unkonventionelle Wege zu gehen.
Frage: Hat die katholische "Männerkirche" Angst vor Frauen?
Rath: Ich vermute, dass in dieser Frage verschiedene Ängste zusammenkommen: Angst vor Machtverlust und Konkurrenz, Angst vor Frauen im Allgemeinen, Angst vor theologisch und spirituell hoch qualifizierten Frauen, vielleicht auch die Angst, aus den eigenen männerbündischen Netzwerken herauszufallen und sich sozusagen auf dem "freien Markt" bewähren zu müssen und vieles mehr.
Frage: Einige werden den Titel Ihres Buches "Weil Gott es so will" in Frage stellen.
Rath: Das kann sein und darf auch sein. Aber die Frauen, die hier schreiben, wissen sich eben von Gott berufen. Das wusste ich auch, als ich vor 30 Jahren ins Kloster gegangen bin. Ich war mir sicher, dass Gott das so will. Auch würde ich potenziellen Kritikern entgegnen, ob denn unsere Kirche nicht selbst derzeit der Hybris verfällt, zu wissen vorzugeben, was Gott will – dass er nämlich keine Frauen in die Ämter berufen will. Wer sind wir, dass wir Gott vorschreiben wollen, wen er in seiner Kirche zu welchem Amt berufen will und welches Geschlecht die von Gott Berufenen haben müssen?