Neues liturgisches Format wird in einigen Diözesen erprobt

Segensfeiern für Neugeborene: "Wir machen keine Taufe light"

Veröffentlicht am 15.02.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Geburt eines Kindes ist ein einschneidendes Lebensereignis. Viele junge Eltern sind auf der Suche nach einer spirituellen Deutung dafür. Einige Diözesen haben das aufgenommen und spezielle Segensfeiern für Neugeborene konzipiert. Diese wollen jedoch kein Konkurrenzangebot zur Taufe sein.

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Einige haben über die Taufe noch gar nicht nachgedacht, andere haben das schon getan, wollen das aber später machen. Doch gerade zwei Dinge haben viele Eltern gemeinsam, die mit ihren Babys zu den Segensfeiern für Neugeborene kommen: "Es sind oft Menschen, die in den klassischen Formen kirchlichen Handelns nicht so beheimatet, aber spirituell auf der Suche sind", sagt der Bochumer Pastoralreferent Alexander Jaklitsch, "oder auch solche, die für das Lebensereignis Geburt nochmal eine besondere Deutung brauchen."

Seit rund vier Jahren werden im Bistum Essen solche Segensfeiern für Neugeborene erprobt. Jaklitsch ist für sie zuständig. Zehn feste Standorte wurden etabliert, an denen in pandemiefreien Zeiten jeweils im Schnitt alle vier Monate eine dieser Andachten in stattfindet. Entstanden ist das Projekt im Rahmen des diözesanen "Zukunftsbild"-Prozesses 2017. Dabei wurden Ideen gesammelt, wie kirchliches Leben unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen aussehen könnte – und passende Formate entwickelt. In den Fokus rückten dadurch unter anderem die Segensfeiern für Babys, die es bereits an mehreren Orten des Bistums gab. Die Erfahrungen, die man mit ihnen gemacht hatte, flossen in das Konzept ein. Da es von vornherein als ökumenisches Projekt gedacht war, holte man sich auch die evangelische Kirche mit ins Boot und führt die Feiern gemeinsam durch.

Niedrigschwellig, aber ein Gottesdienst

Alle Elternpaare, von denen zumindest ein Teil katholisch oder evangelisch ist, erhalten bald nach der Geburt ihres Kindes ein persönliches Glückwunschschreiben samt Einladung. Das Angebot ist grundsätzlich auch offen für konfessionell nicht gebunde Familien, dementsprechend wird zusätzlich auf anderen Wegen geworben. Doch wer zu den Segensfeiern kommt, muss sich darüber im Klaren sein, dass es sich um ein dezidiert christliches Angebot handelt: "Es ist zwar niedrigschwellig, aber es ist ein Gottesdienst", betont Alexander Jaklitsch. Zentral bei den Segenseiern für Neugeborene ist, dass sie von der Erfahrungswelt der Eltern her konzipiert werden. "Wir nehmen die Geburt, das Elternwerden ernst, feiern dieses Ereignis und nehmen alles auf, was an Sorgen, Freuden oder Gedanken da ist und sprechen dann den Segen zu." So werden bei der biblischen Lesung Texte verwendet, die einen Bezug zu diesem Erfahrungsumfeld haben. Der "Klassiker" ist die Kindersegnung durch Jesus im Markusevangelium (Mk 10,13-16).

Ein Segen am Lebensbeginn – wird da etwas gemacht, was in Konkurrenz zur Taufe steht? Mit kritischen Anfragen wie diesen haben sich die Verantwortlichen von Anfang an auseinandergesetzt. Alexander Jaklitsch macht deutlich, dass die Feiern nie als Konkurrenzangebot zur Taufe gedacht waren. "Wir machen auch keine Taufe light", fügt der Theologe hinzu. Ohnehin ist eine Taufe viel mehr als ein Segen am Lebensbeginn: "Hinter einer Taufe steht die bewusste Entscheidung, sein Leben in Gemeinschaft mit Jesus Christus zu gestalten." Im Fall der Kindertaufe gäben die Eltern die Zusage, ihre Kinder auf diesem Weg zu begleiten. Dagegen sei ein Segen die Vergegenwärtigung der Zusage Gottes, die von Beginn der Schöpfung an gelte. "Jedes Kind ist von Anfang seines Lebens an Gottes geliebtes Kind. Das wollen wir den Kindern und ihren Eltern bei der Segensfeier vermitteln", erklärt Jaklitsch.

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Video: © Mediaplus X und Bernward Medien

Durch die Taufe werden jährlich 160.000 Kinder in die katholische Kirche aufgenommen. "Katholisch für Anfänger" erklärt das Sakrament der Taufe und ihre Bedeutung im Glauben.

Um sich auch rituell klar von der Taufe abzugrenzen, wird beim Segensritus kein Weihwasser verwendet. Die Eltern werden eingeladen, dem Kind die Hände auf den Kopf zu legen, der Liturg wiederum legt seine Hände auf die der Eltern und spricht ein Segensgebet. Der Segen geschieht also in der Gemeinschaft der Familie.

Solche Segensfeiern für Neugeborene haben ihre Berechtigung, findet der Freiburger Liturgiewissenschaftler Stephan Wahle. Aufgrund der kirchlichen Verantwortung zur "Ritendiakonie" für alle Menschen, die danach fragen, dürfe und müsse es neben dem "klassischen" Ritual der Taufe weitere religiös-rituelle Feiern am Lebensanfang geben, schreibt er in einem Beitrag des Bands "Segensfeiern in der offenen Kirche" in der Reihe "Quaestiones disputatae". "Der Glaube an den Schöpfergott und die Würde seiner Geschöpfe berechtigt und verpflichtet zu jenem Lobpreis und Dank für die Geburt eines Kindes, und zwar als Antwort auf die unbedingte Zusage Gottes zu seinen Geschöpfen." Der Segen bestätige nicht nur menschliche Erfahrungen und Bedürfnisse, sondern spreche das "verwandelnde und erneuernde" Wirken Gottes zu.

Eine Ergänzung "klassischer" Riten

Pastoralreferent Alexander Jaklitisch ist überzeugt, dass neue Angebote wie Segensfeiern für Neugeborene "klassische" Rituale wie die Taufe ergänzen können. Für viele, die daran teilnehmen, sei klar, dass sie ihr Kind taufen lassen – andere überlegten noch. Für die einen Familien sei es genau richtig, ihr Kind "nur" taufen zu lassen, weil das Ausdruck ihres Glaubens und ihrer Spiritualität sei. "Die anderen sagen, sie sind offen für eine bestimmte spirituelle Deutung, für eine Begegnung – für einen Segen."

Auch wenn die Segensfeiern ein von der Taufe unabhängiges Angebot sind, stelle dieses Format Anfragen an die Taufpastoral. Viele Eltern ließen ihre Kinder taufen, weil sie ein Ritual am Lebensanfang wahrnehmen wollen, aber eigentlich gar nicht das, was die Taufe bedeutet. Daher seien Klärungsprozesse nötig, wie Seelsorger ihnen verständlich nahebringen können, was den Kern einer Taufe ausmache. "Eine Gemeinde, in der solche Segensfeiern angeboten werden, hat sich damit auseinandergesetzt und im Anschluss die Taufpastoral ganz neu konzipiert", weiß Jaklitsch.

Bild: ©Fotolia.com/ Sinuswelle

Die Geburt eines Kindes ist eine existenzielle Ausnahmesituation, für die viele junge Eltern nach einer spirituellen Deutung suchen. Segensfeiern für Neugeborene setzen dort an.

In anderen Diözesen gibt es inzwischen ebenfalls solche Segensfeiern für Neugeborene, beispielsweise seit drei Jahren im Bistum Dresden-Meißen. Dort sind sind die Voraussetzungen andere als im Bistum Essen – allein wegen der sehr geringen Kirchenbindung der Bevölkerung. Dementsprechend sind die Segensfeiern dort noch ein Stück niedrigschwelliger konzipiert als in Essen, wie Claudia Leide, die Leiterin der Stelle für Familienpastoral erklärt: "Es ist die Möglichkeit, nichtchristlichen Menschen an einer Lebenswende etwas anzubieten."

Die Segensfeiern finden immer am selben Ort statt, und zwar in der Schwesternkapelle eines kirchlichen Krankenhauses in Dresden. Die verwendeten Texte sind offen gefasst und docken an den existenziellen Erfahrungen an, die Menschen im Kontext der Geburt eines Kindes machen. "Da sind Sorgen, Wünsche, Dankbarkeit und Bangen bei den Eltern da – je nachdem, was passiert. Und das versuchen wir in Texten und Liedern, die wir einspielen, aufzugreifen", sagt Claudia Leide. Für jedes Kind wird eine Kerze angezündet, die die Eltern mit nach Hause nehmen dürfen. Wer möchte, bekommt auch einen persönlichen Segen zugesprochen. "Wir sagen dann, dass wir Christen glauben, dass dieser Segen im Tiefsten von Gott kommt", sagt Claudia Leide.

"Wir streuen einfach Samen aus"

Für manche Teilnehmer sei diese Segensfeier ein dezidierter Schritt hin zur Taufe ihres Kindes – für die meisten allerdings eine Art Erstkontakt mit Glauben und Kirche. "Gerade hier in Ostdeutschland müssen wir uns überlegen, wie wir mit den Menschen ins Gespräch, in Verbindung kommen", betont Claudia Leide. Existenzielle "Ausnahmesituationen" wie die Geburt eines Kindes seinen dafür besonders geeignet. "Wir streuen mit unserem Angebot einfach Samen aus. Und hoffen, dass die irgendwann aufgehen." Auch bei niedrigschwelligen liturgischen Formen könne eine Atmosphäre entstehen, die ausstrahlt. "Dadurch können wir Raum schaffen, dass sich so etwas wie Gottesbeziehung ereignen kann." Bei manchen könne das vielleicht sogar der Beginn eines Weges hin zur Kirche sein, hofft die Seelsorgerin.

Es gebe vielfältige Möglichkeiten, dem Evangelium und Jesus Christus zu begegnen, ist auch der Bochumer Pastoralreferent Alexander Jaklitsch überzeugt. "Da hilft es, wenn man Möglichkeiten hat, an Lebenswenden oder existenziellen Bruchstellen etwas von dieser Hoffnungsbotschaft oder von dieser Segensbotschaft zu erfahren." Solche "Berührungspunkte" wie die Segensfeiern stießen auf beiden Seiten – sowohl bei den Seelsorgern als auch bei den Teilnehmern – immer einen Denkprozess an und können der Startschuss für einen gegenseitigen (Wieder-)Annäherungsprozess sein. "Das halte ich bei vielen kirchlichen Projekten für ganz zentral", betont Jaklitsch.

Von Matthias Altmann