"Eckiger Tisch" befürwortet geplante Einebnung von Täter-Grab
Die Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch" befürwortet die geplante Einebnung des Grabs eines katholischen Missbrauchspriesters im sächsischen Heidenau. "Es hat nichts mit Rache zu tun, wenn die Ehrung des Täters beendet und das Opfer gehört wird", erklärte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch, am Mittwoch auf Anfrage von katholisch.de. Wichtig und bemerkenswert sei, dass die Pfarrgemeinde in Heidenau ihr offizielles Andenken verändere und an das Wissen um das verursachte Leid anpasse. "Nicht mehr der Täter soll im Mittelpunkt stehen, sondern die Stimme der Opfer soll gehört werden", so Katsch, der zudem davor warnte, sich aus Pietät nicht mehr mit der Schuld verstorbener Täter auseinanderzusetzen.
Durch einen Bericht der "Sächsischen Zeitung" war am Wochenende bekannt geworden, dass die Heidenauer Pfarrei St. Georg im Rahmen der Aufarbeitung der Missbrauchstaten ihres ehemaligen Pfarrers Herbert Jungnitsch (1898-1971) dessen Grab auf dem Heidenauer Südfriedhof einebnen möchte. Laut der Zeitung wäre es das erste Mal, dass das Grab eines Missbrauchspriesters in Deutschland als Teil eines Aufarbeitungsprozesses aufgelöst werden würde. Die Deutsche Bischofskonferenz wollte dies am Dienstag zwar nicht bestätigen, da ihr keine entsprechenden Daten vorlägen. Weitere Einebnungen entsprechender Gräber sind in Deutschland bislang aber nicht bekanntgeworden.
"Fälle sexualisierter und körperlicher Gewalt glaubhaft bekannt"
Jungnitsch war bis zu seinem Tod viele Jahre lang als Pfarrer in Heidenau tätig. Aus dieser Zeit sind nach Angaben des Seelsorgerats der Pfarrgemeinde "Fälle sexualisierter und körperlicher Gewalt an mindestens vier Kindern bis hin zu schwerem sexuellen Missbrauch glaubhaft bekannt". Laut der "Sächsischen Zeitung" soll der Pfarrer unter anderem zwei Jugendliche zum Sex gezwungen haben, an anderen Taten sollen weitere Männer aus der Gemeinde und dem Kirchendienst beteiligt gewesen sein. "Heute würde man das wahrscheinlich als Kinderschänder-Ring bezeichnen", zitierte die Zeitung eine Betroffene. Das Bistum Dresden-Meißen hatte den Missbrauchsfall im Juli 2010 anonymisiert und gemeinsam mit anderen Fällen öffentlich eingeräumt, eine umfassende Aufarbeitung der Taten hat in den vergangenen Jahren allerdings nicht stattgefunden.
Katsch würdigte die nun geplante Aufarbeitung durch die Pfarrgemeinde deshalb als "die eigentliche Nachricht". Es sei gut, dass die Gemeinde sich nach 50 Jahren mit den Verbrechern des Priester auseinandersetzen wolle. "Das geschieht in vielen Pfarrgemeinden bis heute nicht. Dort wird den Priester-Tätern bis heute ehrend gedacht, die Opfer werden ignoriert und ausgegrenzt", so Katsch wörtlich gegenüber katholisch.de. Er hoffe sehr, dass die geplanten Aktivitäten vor allem den Betroffenen in der Gemeinde helfen könnten, sich durch die Gemeinde gesehen zu fühlen. "Auch die Gemeinschaft, die Gemeinde wurde durch die Verbrechen verletzt. Es gab Mittäter und sicherlich auch Mitwisser. Dieser Reinigungsprozess wird das zur Sprache bringen, das finde ich eine vorbildhafte Nachricht aus Heidenau", betonte Katsch.
Bistum reagiert auf Berichterstattung mit eigener Stellungnahme
Die geplante Einebnung des Grabs soll nach Angaben der Pfarrgemeinde "nicht im Geheimen und ohne weitere Bemühungen zur Aufarbeitung der entsprechenden Jahre geschehen". Voraussichtlich im Juni wolle man gemeinsam "mit Betroffenen, dem Bistum sowie weiteren fachlich kompetenten Akteuren" eine Abendveranstaltung durchführen. Dabei sollten die Fakten des Missbrauchsfalls klar benannt werden, um daraus für die künftige Prävention sexualisierter Gewalt zu lernen. Wann das Grab des Priesters, das mit dem Bibelspruch "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14,19) verziert ist, eingeebnet wird, ist dagegen noch unklar. Bislang sei die Einebnung an der Corona-Pandemie gescheitert, hieß es.
Das Bistum Dresden-Meißen reagierte am Mittwoch auf die Berichterstattung über den Missbrauchsfall mit einer Stellungnahme. Darin heißt es unter anderem: "In Heidenau ist Schreckliches geschehen. Nachweislich hat Pfarrer Jungnitsch Kinder sexuell missbraucht. Das verstört uns und macht uns betroffen. Das Bistum und die Pfarrei sind dankbar für alle Unterstützung in den Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozessen – hier ist noch viel zu tun. Tiefer Dank ist Betroffenen für ihren Mut auszusprechen, die sich melden und von dem berichten, was ihnen widerfahren ist." Durch die Berichterstattung der "Sächsischen Zeitung" hätten sich zudem neue Erkenntnisse wie die Namen möglicher weiterer Täter und Komplizen ergeben, die durch den Justitiar des Bistums „unverzüglich zur Anzeige gebracht und der Staatsanwaltschaft weitergeleitet“ worden seien.
Bistum: Gemeinsame Aufarbeitung mit Pfarreien ist "ein Lernfeld"
Weiter erklärte die Diözese, dass der Aufarbeitungsprozess in der Heidenauer Pfarrei im vergangenen Jahr begonnen habe und den Blick zusätzlich zur juristischen Aufarbeitung durch das Bistum in die Gemeinde und Pfarrei richte. "Dies ist kein einfaches Unterfangen – was nicht nur daran liegt, dass die Ereignisse schon lange zurückliegen. Pfarrer Jungnitsch ist vielen älteren Christen noch persönlich bekannt und hat mit seinem charismatischen und schillernden Auftreten viele geprägt. Anzuerkennen, dass zu seinem Handeln auch massive Gewalt und mehrere Sexualverbrechen an Kindern und Jugendlichen gehören, wird nicht allen Gemeindemitgliedern ohne weiteres gelingen", so das Bistum.
Für die Diözese sei die Aufarbeitung in Zusammenarbeit mit den Pfarreien auch "ein Lernfeld", für das es lokal angepasste Lösungen geben müsse. Zielführende Handlungsweisen müssten erst gefunden und entwickelt werden. Es gelte, die Sprachlosigkeit und Lähmung zu überwinden, die ein solches Maß an Gewalt und Menschenverachtung wie im Falle Jungnitschs hervorrufe. "Angesichts dessen, was sich in Heidenau ereignet hat, können wir nicht schnell mal etwas abarbeiten. Wann ein solcher herausfordernder und komplexer Aufarbeitungsprozess abgeschlossen ist, können wir nur gemeinsam mit den Betroffenen und der Gemeinde herausfinden. Wir können nur versuchen, gemeinsam einen Weg zu finden, der die Täter benennt und es den Betroffenen möglich macht, dass man ihren bitteren Erfahrungen Gehör schenkt und das Leid anerkennt", sagte Generalvikar Andreas Kutschke. (stz)
17.02.2021, 12:10 Uhr: ergänzt um die Stellungnahme des Bistums Dresden-Meißen