Bundesweiter Tarifvertrag in der Altenpflege vorerst gescheitert
Die Pläne für einen bundesweiten Tarifvertrag in der Altenpflege sind vorerst gescheitert. Die zuständige Kommission aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Caritas stimmte einem Antrag auf flächendeckende Einführung des von dem relativ kleinen Pflege-Arbeitgeberverband BVAP und der Gewerkschaft Verdi ausgehandelten Tarifvertrags am Donnerstag nicht zu, wie beide Seiten der Kommission mitteilten. Während die Arbeitgeberseite die Entscheidung rechtfertigte, bedauerte die Mitarbeiterseite sie. Damit kann Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Vertrag nicht wie geplant auf die gesamte Branche ausdehnen. Nötig wäre dafür die Zustimmung der beiden Kommissionen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie. Bei der Diakonie steht die Entscheidung erst am Freitag an. Nach der Ablehnung durch die Caritas kommt es darauf aber nicht mehr an.
Die Arbeitgeberseite des katholischen Wohlfahrtsverbandes erklärte, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, da man um deren Bedeutung wisse. Allerdings würde der vorliegende Tarifvertrag in die Strukturen des Tarifgefüges der Caritas eingreifen, wie Dienstgeber-Sprecher Norbert Altmann sagte. Grundsätzliche Bedenken bestünden darüber hinaus, da womöglich die Kostenträger nach und nach nur noch die Bedingungen des allgemein verbindlichen Tarifvertrags anerkennen und zusätzlich abweichende Regelungen nicht mehr gegenfinanzieren würden. "Das würde massiv der Caritas mit ihren höheren Tarifen schaden."
Der Sprecher der Mitarbeiterseite, Thomas Rühl, bedauerte dagegen "die mangelnde Solidarität" der Dienstgeber. "Ein allgemein verbindlicher Tarif Altenpflege hätte für Tausende zumeist bei privaten Anbietern beschäftigte Menschen ein Ende von Dumpinglöhnen bedeutet", sagte er. Dieses gesellschaftlich wichtige Projekt sei nun ausgerechnet an den Dienstgebern gescheitert. Dabei werbe die Caritas derzeit mit einer Kampagne für mehr Solidarität in der Gesellschaft und auch für eine Aufwertung sozialer Berufe und Gesundheitsberufe. "Mit ihrer Verweigerungshaltung hat die Dienstgeberseite den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Caritas massiv beschädigt", meinte Rühl.
Heil sprach von einem "bitteren Rückschlag" und einem "schlechten Tag für die Pflege in Deutschland". Pflegekräfte hätten mehr verdient als Mindestlöhne. "Wir werden weiterkämpfen, das sind wir den Beschäftigten schuldig." Der Minister kündigte an, die sogenannte Pflege-Mindestlohnkommission erneut einzuberufen, damit diese über höhere Mindestlöhne und bessere Arbeitsbedingungen entscheiden könne. Zugleich appellierte er an die Diakonie, ein positives Signal für einen möglichen neuen Anlauf für einen Flächentarifvertrag zu setzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) forderte Heil auf, zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen, "der die Refinanzierung der Leistungen aus der Pflegeversicherung konsequent an das Vorhandensein von Tarifverträgen bindet".
Skepsis im Vorfeld
Bereits im Vorfeld der Entscheidung hatte sich die Arbeitgeberseite der Caritas sehr skeptisch zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag geäußert. Altmann plädierte am Montag dafür, Mindestbedingungen weiterhin über die bestehende Pflege-Mindestlohnkommission zu regeln. Er vertrete "nicht die Ansicht, dass man - jenseits der Festlegung angemessener Mindestbedingungen - ein flächendeckendes, einheitliches Regelwerk für alle Arbeitsbedingungen in allen Pflegediensten und -heimen einführen sollte", sagte Altmann. Die Mitarbeiterseite hatte das Vorhaben hingegen begrüßt.
Für die kirchlichen Verbände, die zusammen rund 30 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege stellen, gilt ein eigenes Tarifrecht. Sie vergüten überwiegend besser. Der von BVAP und Verdi ausgehandelte Tarifvertrag würde unter anderem eine Erhöhung des Mindestlohns um 25 Prozent bis Mitte 2023 für die rund 1,2 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege vorsehen.
Gegen den Plan, den Vertrag flächendeckend anzuwenden, hatten sich auch die Arbeitgeberverbände und die privaten Anbieter in der Pflege gewandt. Sie werfen BVAP und Verdi vor, nur einen Bruchteil der Branche zu vertreten. Die privaten Pflegeheimträger und Betreiber von Pflegediensten hatten bereits Klagen angekündigt. Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP), in dem die umsatzstärksten Anbieter zusammengeschlossen sind, begrüßte die Entscheidung der Caritas-Kommission. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte hingegen, es werde nun weiterhin für zahlreiche Beschäftigte in der Altenpflege keine würdigen Arbeitsplätze geben. "Doch die sind Voraussetzung für eine Würde wahrende Pflege am Menschen."
Ebenfalls am Donnerstag wurde bekannt, dass die Löhne für die rund 600.000 Beschäftigten der Caritas steigen werden. Arbeitgeber- und Mitarbeiterseite schlossen ihre entsprechenden Verhandlungen ab, wie beide Seiten mitteilten. Demnach steigen die Entgelte zum 1. April 2021 um 1,4 Prozent oder mindestens 50 Euro. Zum 1. April 2022 ist ein weiterer Zuwachs um 1,8 Prozent vorgesehen. In der Altenhilfe des Wohlfahrtsverbands gibt es den Angaben zufolge bis zu diesem Datum ein durchschnittliches Lohnplus von 8,5 Prozent. Für den gesamten Pflegebereich - also Alten- und Krankenhilfe - seien neue Zulagen beschlossen worden. Eine Pflegefachkraft bei der Caritas werde daher ab dem 1. April 2021 im Einstieg fast 40.000 Euro im Jahr oder 3.300 Euro im Monat bekommen. In der letzten Erfahrungsstufe liege die Vergütung bei rund 50.000 Euro pro Jahr oder 4.100 Euro pro Monat. (tmg/KNA)
25.2., 12:50 Uhr: Ergänzt um weitere Details. 16:05 Uhr: Weitere Ergänzungen.