Bundesverfassungsgericht hatte Verbot gekippt

Theologe: Suizidhilfe widerspricht aufrichtender Barmherzigkeit

Veröffentlicht am 28.02.2021 um 16:52 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Der Bochumer Fundamentaltheologe Günter Thomas warnt vor der Suizidbeihilfe: Die Entscheidung zum Suizid sei angesichts der aufrichtenden Barmherzigkeit Gottes ein trauriges Fehlurteil. Solche Fehlurteile könnten befördert werden.

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Sowohl die Suizidassistenz wie auch die Entscheidung zum Suizid widersprechen aus Sicht des Theologen Günter Thomas "der aufrichtenden Barmherzigkeit Gottes". Die Entscheidung zum Suizid sei ein Urteil, dass das eigene Leben nicht lebenswert sei. "Angesichts der aufrichtenden Barmherzigkeit Gottes ist der Entschluss zum Suizid ein trauriges Fehlurteil", schrieb der Experte für Ethik und Fundamentaltheologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum in einem Gastbeitrag für faz.net (Sonntag).

Die Selbstbestimmung des Menschen finde ihre Grenze in der Barmherzigkeit Gottes, "wenn sie selbst unbarmherzig vernichtend wird". Die Barmherzigkeit Gottes "bindet aber auch die Menschen in der Umgebung, das Fehlurteil nicht zu verurteilen, sondern beziehungsintensive und darin lebensbewahrende Umgebungen zu schaffen". Wer wegen "des himmlischen Traums einer unbedingten Selbstbestimmung den Gedanken des Fehlurteils nicht festzuhalten vermag", der werde "letztlich das Tor zur Tötung auf Verlangen nicht geschlossen halten können".

Suizidassistenz würde Fehlurteile befördern

Dass es Situationen gebe, "in denen ein Arzt und eine den Tod wünschende Person zu dem Schluss kommen – mit dem Wissen, schuldig zu werden, – am Fehlurteil festzuhalten, markiert eine anzuerkennende Grenzlage menschlichen Verstehens", argumentiert Thomas. "Eine evangelisch-kirchlich flankierte Suizidassistenz würde aber die Möglichkeit und Wirklichkeit trauriger Fehlurteile bestätigen und befördern."

Der Theologe äußerte sich in der von seinen drei evangelischen Fachkollegen Reiner Anselm, Isolde Karle und Ulrich Lilie zu Jahresbeginn angestoßenen Debatte darüber, einen assistierten professionellen Suizid auch in kirchlichen Einrichtungen zu ermöglichen. Die Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz hatten sich ablehnend dazu geäußert. Auch der frühere EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber und der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, hatten sich gegen den Suizid als "Normalform des Sterbens" gewandt.

Hintergrund ist, dass das Bundesverfassungsgericht am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung gekippt hatte. Die Selbsttötung gehöre zum Recht auf Selbstbestimmung, so die Karlsruher Richter. Das schließe auch die Hilfe Dritter ein. In einer gemeinsamen Stellungnahme erklärten der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, in großer Einigkeit: "Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar. Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen." (cph/KNA)