Volksseele und Verfassungsbedenken im Widerstreit

Wegen Burka und Nikab: Schweizer stimmen über Verhüllungsverbot ab

Veröffentlicht am 06.03.2021 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Per Referendum wollen rechtskonservative Schweizer Burka und Nikab in der Öffentlichkeit verbieten. Fast alle Parteien im Parlament sind dagegen; auch der Bundesrat. Und doch ist ein Ja der Bürger eher wahrscheinlich.

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Es hat eine gleich doppelte Ironie: Quasi zum 50. Jahrestag des Frauenwahlrechts und während das ganze Land pandemiebedingt mit verhülltem Gesicht umherläuft, stimmen die Schweizer am Sonntag über ein Verbot der islamischen Burka respektive des Nikab im öffentlichen Raum ab.

Nominell geht es beim Volksentscheid zwar um Gesichtsverhüllungen und Vermummung insgesamt, also auch um Polit-Randalierer und Stadion-Hooligans. Doch die politischen Debatten richten sich – wie von den Initianten auch beabsichtigt – ausschließlich auf das muslimische Bekleidungs-Statement. So wird tatsächlich meist von der "Burka-Initiative" statt von der "Verhüllungsverbots-Initiative" gesprochen.

Initiatoren wollen "Machtansprüche des politischen Islam" bekämpfen

Das rechtskonservative "Egerkinger Komitee" will sich nach eigener Darstellung der "Machtansprüche des politischen Islam" erwehren. So wie 2009, als die SVP-nahe Organisation überraschend ihr Referendum für ein landesweites Minarettverbot durchbrachte. Nun also eine Neuauflage, die auf dem Volkszorn sowie auf entsprechenden kantonalen Verhüllungsverboten im Tessin (2013) und in Sankt Gallen (2018) aufsetzt. Es gelte, islamischen Extremismus zu stoppen und Freiheit und Gleichberechtigung zu verteidigen.

Die Aussichten auf eine erneute Mehrheit stehen den Umfragen zufolge ziemlich gut – auch wenn der größte Teil der Medien und der Parteien in einer Art Aufklärungskampagne seit Monaten soziologische und politische Argumente gegen ein generelles Verbot liefern. Nicht zuletzt dieses: Landesweit tragen Erhebungen des Luzerner Zentrums für Religionsforschung zufolge überhaupt nur weniger als drei Dutzend Frauen einen Nikab. Zumeist seien es Konvertitinnen, die sich bewusst dafür entschieden. Und für die wachsende Zahl muslimischer Touristinnen werde man per Bußgeld eh keine "Befreiung vom männlichen Joch" erreichen.

Bild: ©stock.adobe.com/Andre Bonn (Symbolbild)

Minarette sind in der Schweiz bereits seit 2009 verboten.

Das Schweizer Parlament hat sich ebenso klar gegen die Abstimmungsvorlage positioniert wie die Regierung, der Bundesrat. Ein Randphänomen werde zum Staatsnotstand stilisiert und für Stimmungsmache missbraucht, so der Grundtenor. Und ohnehin fielen Bestimmungen über den öffentlichen Raum in die Zuständigkeit der Kantone.

Regierung und Parlament haben einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der – so will es Schweizer Brauch – bei einem Nein beim Referendum quasi automatisch geltendes Recht wird. Dieser Vorschlag beinhaltet, dass bei Identitätskontrollen das Gesicht zu zeigen ist, etwa in Behörden oder im Personenverkehr. Weigerungen führen zu Bußen oder Leistungsentzügen. Flankierende Maßnahmen sollen Frauenrechte stärken.

Wenig Einheit unter Schweizer Feministinnen

Weniger Einheit gibt es unter den Schweizer Feministinnen. Das Thema spaltet, ähnlich wie das Thema Prostitution. Auch wenn sich die großen Frauenverbände mittlerweile klar gegen ein Verhüllungsverbot beziehungsweise Kleidervorschriften insgesamt ausgesprochen haben; das Dilemma bleibt: Die Unterdrückung der Frau durch Burka und Nikab ist abzulehnen – aber kann Zwangsbefreiung durch ein bevormundendes Verbot eine feministische Position sein? Wer das Selbstbestimmungsrecht der Frau hoch hält und Nein zum Verbot sagt, verteidigt damit indirekt ein fundamentalistisches Symbol. Wer Frauen von der Burka "befreien" will, gilt rasch als muslimfeindlich. Zudem bekämen damit Kleidervorschriften für Frauen Verfassungsrang.

Wo früher ein feministisches Nein zur Burka quasi reflexartig gewesen wäre, hat sich der feministische Diskurs also inzwischen radikalisiert, wie die Schweizer Politikphilosophin Katja Gentinetta bemerkt. In einer multikulturellen Gesellschaft wird die Forderung nach einer "Leitkultur" als ein Herrschaftsinstrument der Eliten empfunden – und abgelehnt. Das Verbot einer anderen kulturellen Praxis durch eine gefühlt männerdominiserte Verfassung wird als Ausdruck eines potenziell rassistischen Machtgebarens gesehen – eine feministische Aporie.

Von Alexander Brüggemann (KNA)