Digitalisierung im Blickfeld: Experten sehen die Kirchen gefragt
Der Niedriglöhner, der Elektroschrott entsorgt – oder die Online-Redakteurin, die Hass und Hetze in Kommentarspalten moderiert: Jobs, die mit der Digitalisierung zusammenhängen. Diese "unsichtbare Arbeit" müsse stärker anerkannt werden, forderte die Wiener Pastoraltheologin Judith Klaiber am Dienstagabend bei einer Online-Tagung der Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands (GKP). Dafür einsetzen sollten sich aus ihrer Sicht auch die Kirchen.
Klaiber ist nicht die einzige Wissenschaftlerin, die Religionsvertreter im Bereich Digitalisierung stärker gefragt sieht. Markus Beckedahl von der Plattform für digitale Freiheitsrechte netzpolitik.org rief die Kirchen kürzlich zu mehr Engagement in der netzpolitischen Debatte auf. Sie könnten auch Menschen erreichen, die nicht in Sozialen Medien aktiv seien, sagte er bei der Vorstellung der "11 Gebote für Haltung und Respekt im Netz" der ökumenischen Initiative #anstanddigital.
"Wenigstens grob verstehen, was technisch passiert"
Einen Schritt weiter geht der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gebhard Fürst. Die Kirche müsse "wenigstens grob verstehen, was technisch passiert und wie sich diese Phänomene auf Gemeinschaft und Fortschritt auswirken", schreibt er im Vorwort eines aktuellen Thesenpapiers, das die Clearingstelle Medienkompetenz zu "Digitalität und Künstlicher Intelligenz (KI)" erarbeitet hat. Digitale Themen gingen die Menschen "bis in ihr Innerstes" an, so der Bischof von Rottenburg-Stuttgart.
Nach Einschätzung von Andreas Büsch, Kommunikationswissenschaftler und Mitverfasser des Papiers, hat sich diese Entwicklung durch die Corona-Pandemie verschärft. Derzeit stelle sich die Frage, was sich aus dem "vielzitierten Digitalisierungsschub" lernen lasse, erklärte Büsch bei der GKP-Veranstaltung. Ein Punkt: "Auch in kirchlichen und kirchennahen Arbeitsfeldern braucht es mutige und authentische Akteurinnen und Akteure, die agieren und nicht nur reagieren."
Vorlagen dafür liefert das Thesenpapier. Es geht um digitale Kommunikation, die Vernetzung etwa im "Arabischen Frühling" ermöglicht hat, aber auch unter Extremisten. Ökologische Aspekte werden ebenso angesprochen wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder die Frage, wie ein ethischer Umgang mit KI-Anwendungen aussehen kann. Die Autoren beschreiben Digitalität und KI als "Zeichen der Zeit, an denen die Kirche zeigen kann, was aus christlicher Sicht den Menschen bestimmt".
Dieser Ansicht ist auch die Informatikerin Katharina Anna Zweig. Algorithmen bräuchten für jede Situation eine Regel, von der es keine Abweichung geben dürfe. Daher könnten sie keine Gnade üben, "die in unserem Menschenbild jedoch eine wichtige Rolle spielt", so Zweig in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Die Idee von Gnade ist, dass man keine Strafe bekommt, obwohl man sie verdient hätte - und die Frage ist, ob die Gesellschaft diese Formen von zweiten Chancen, möglicherweise auch unverdienten, nicht braucht."
Thesenpapier soll fortgeschrieben werden
Auch Klaiber fordert eine verstärkte Debatte über die Frage, was den Menschen ausmacht. Manche Aspekte blieben bislang unterbelichtet: So könnte die Kirche etwa Endlichkeit, Leiblichkeit und Transzendenzfähigkeit des Menschen stärker in den Fokus rücken. In der Debatte um Post- und Transhumanismus könne "das christliche Menschenbild ein Korrektiv und Regulativ sein", so Klaiber. Das vorgelegte Thesenpapier sei "keine umfassende theologische Deutung der Digitalität", betont Büsch. Es soll fortgeschrieben werden und neue Entwicklungen aufgreifen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat für das Frühjahr eine Denkschrift zum digitalen Wandel angekündigt.
Wissenschaftler und Techniker können nicht kontrollieren, was große Unternehmen aus ihren Entwicklungen machen. Doch auch von Unternehmerseite gibt es den Wunsch nach einer breiten ethischen Debatte. Die Kirchen "positionieren sich – Gott sei Dank – sehr deutlich zum Thema Klimawandel", sagte etwa Marie-Luise Wolff, Vorstandsvorsitzende des Energieversorgers ENTEGA AG, der KNA. "Das müssten sie auch bei der Digitalisierung tun. Denn die hat eine ebenso starke soziale Komponente wie der Klimawandel."