Warum eine Aufarbeitung extrem schwierig ist

Niederbronner Schwestern: Bleiben die Prostitutionsvorwürfe ungeklärt?

Veröffentlicht am 13.03.2021 um 12:45 Uhr – Lesedauer: 

Speyer/München ‐ Die Vorwürfe wiegen schwer: Haben Ordensfrauen der Niederbronner Schwestern Priestern Heimkinder gegen Geld zum Missbrauch überlassen? 50 Jahre später lässt sich diese These weder eindeutig bestätigen noch dementieren. Aufarbeitung tut trotzdem not.

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Auch ein Vierteljahr nach Bekanntwerden schwerster Missbrauchsvorwürfe in einem von Niederbronner Schwestern geführten Kinderheim in Speyer ist ungewiss, ob die Vermutung einer überregional organisierten Förderung der Prostitution zutrifft oder nicht. Was manche Helfer der Missbrauchsopfer als erwiesen ansehen, hält der Orden für undenkbar. Beweise fehlen.

Das Hauptproblem ist, dass die Vorfälle rund ein halbes Jahrhundert zurückreichen. Nur wenige Niederbronner Schwestern, die damals Beteiligte oder Mitwisserinnen gewesen sein könnten, leben noch. Auch viele mutmaßliche Opfer sind inzwischen gestorben. Von den übrigen sind nur wenige bereit, ihre Geschichte öffentlich zu erzählen. Das liegt auch daran, dass Betroffene bis heute schwersttraumatisiert sind. So bleibt vieles im Vagen.

Hoffnung auf juristische Aufarbeitung noch vorhanden

Trotz langer Verjährungsfristen scheint es unwahrscheinlich, dass jemals einer der Fälle vor einem Strafgericht verhandelt wird – die letzte Hoffnung darauf aufgegeben haben die Opfer indes noch nicht. Möglich dagegen wäre, dass die betroffenen Institutionen Vorwürfe – im Idealfall wissenschaftlich interdisziplinär und unabhängig – aufarbeiten ließen.

Entsprechende Ansätze gibt es in Bayern, wo als Teile eines möglichen pädophilen Netzwerks das frühere Hänsel-und-Gretel-Heim der Stadt München in Oberammergau, das Haus Maffei in Trägerschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Feldafing am Starnberger See, Kloster Ettal und das Salesianum in München benannt werden. Auch hierbei sind die Niederbronner Schwestern im Visier. Sie waren im Oberammergauer Heim tätig, das damals aber einer anderen Ordensprovinz als das in Speyer zugeordnet war.

Ehemaliges Kinderheim in Speyer
Bild: ©KNA/Bert Bostelmann

Was genau ist in dem von Niederbronner Schwestern geführten Kinderheim in Speyer und in anderen Einrichtungen geschehen? Vieles befindet sich momentan noch im Vagen.

Ferner wird vermutet, dass es Spuren einer Vernetzung zwischen den Niederbronner Schwestern und den aus ihnen hervorgegangenen Erlöserschwestern geben könnte, die vor allem im Bistum Würzburg aktiv sind. Die österreichische kirchliche "Stiftung Opferschutz" gibt ebenfalls an, dass ihr zwei Fälle im Umfeld der Niederbronner Schwestern bekannt seien. Ein Fall betreffe psychische Gewalt, ein anderer aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre psychische, körperliche und sexuelle Gewalt.

Unstrittig ist, dass es in allen genannten Einrichtungen teils schwersten sexuellen Missbrauch gegeben hat. Und es kann auch als gesichert angesehen werden, dass Täter beteiligt waren, die ihre Opfer an mehreren Orten fanden. Ob es zwischen den Einrichtungen aber organisatorische Verbindungen gab und ob Geld von Tätern an diejenigen floss, denen die Kinder anvertraut waren, ist unklar.

Nur einzelne Vorwürfe bislang?

Bisher wird dieser Vorwurf der Prostitution nur von einzelnen Heimkindern aus verschiedenen Einrichtungen erhoben. Dabei wird gesagt, dass es mehrere Opfer gegeben habe. Die These gewönne an Überzeugungskraft, würde sie von mehreren Zeugen aus einem Heim gestützt. Das ist bisher nicht der Fall.

Mitte der Woche gaben die Niederbronner Schwestern ein Gutachten zu einem angeblich handschriftlich angefertigten Dokument zur Berichterstattung frei. Es soll der Buchführung einer Ordensfrau entstammen. Bei den darin teils unter Namensnennung aufgeführten Summen soll es sich um "Lustgeld" handeln, das der Orden für den Verkauf eines Heimkindes an Freier in Speyer kassierte.

Bild: ©ambrozinio - stock.adobe.com (Symbolbild)

In einem Gerichsurteil ist die Rede von Sexpartys, bei denen "die Nonnen die Herren mit Getränken und Speisen bedient hätten, in der anderen Ecke seien die Kinder vergewaltigt worden".

Das Mannheimer Schrift- und Urkundenlabor M.S.U. kommt zum Ergebnis, dass der vermeintliche Ausschnitt aus einem "Kassenbuch" mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nicht handschriftlich erstellt wurde: "Die untersuchten Einträge lassen sich nahezu vollständig mit einer Computerschriftart replizieren." Die benutzte Type "Wiegel Kurrent" sei im Internet seit 2004 verfügbar.

Das Dokument ist im Besitz eines Mannes, der im Mai 2020 vor dem Darmstädter Sozialgericht eine staatliche Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz erstritten hat. Mit drastischen Worten beschreibt das Urteil eine "Zeit des ständigen Missbrauchs" vor allem durch Priester in der Speyerer Engelsgasse. Es ging, so heißt es, auch um Sexpartys, bei denen "die Nonnen die Herren mit Getränken und Speisen bedient hätten, in der anderen Ecke seien die Kinder vergewaltigt worden".

Schriftstück kein Beweismittel

Was bedeutet dieses Gutachten? Zunächst einmal nur, dass das untersuchte Schriftstück als Beweismittel ausfällt. Über die Glaubwürdigkeit seines Besitzers sagt es nichts. Der Mann gibt an, den vermeintlichen Auszug aus dem "Kassenbuch" mit zwei weiteren Dokumenten anonym in seinem Briefkasten vorgefunden zu haben – und zwar erst nach Ende seines Prozesses in Darmstadt. Der Passauer Rentner Vladimir Kadavy ist einer derjenigen, die Missbrauchsopfern helfen wollen, und der mit Medien in Kontakt steht. Er sagt, erst auf sein Drängen hin habe der Darmstädter Kläger das Material Journalisten zugänglich gemacht.

Bleibt die Frage, wer das Schriftstück fälschte und warum. Sicher ist nur, dass zur Anfertigung schon wegen der genannten Namen viel Insiderwissen nötig ist.

Von Michael Jacquemain und Christoph Renzikowski (KNA)