Dotschy Reinhardt zum 50. Internationalen Roma-Tag im Interview

Expertin: Papst Franziskus begegnet Sinti und Roma auf Augenhöhe

Veröffentlicht am 08.04.2021 um 11:11 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Diskriminierung von Sinti und Roma sei in Deutschland nach wie vor Alltag, sagt die Sinteza und Katholikin Dotschy Reinhardt. Im katholisch.de-Interview spricht sie über "Zigeunerschnitzel", diskriminierende Strukturen in der Kirche und den Papst.

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Die Diskriminierung von Angehörigen der Sinti und Roma, sogenannter Antiziganismus, ist in Deutschland auch heute noch an der Tagesordnung. Der Internationale Tag der Roma am 8. April soll daran erinnern. Dotschy Reinhardt ist selbst Sinteza – und katholisch. Im Interview mit katholisch.de spricht sie über den Umgang von Papst Franziskus mit den Sinti und Roma und darüber, was sie sich im Kampf gegen den Antiziganismus von der Kirche erhofft.

Frage: Frau Reinhardt, der Internationale Roma-Tag geht zurück auf den Ersten Welt-Roma-Kongress 1971 in London. Diskriminierung, Ausgrenzung und Abwertung wurden damals angeprangert und sollten bekämpft werden. Ist der Antiziganismus heute besiegt? 

Reinhardt: Antiziganismus gehört leider nach wie vor zum Alltag, mitten in unserer Gesellschaft. Klischees und Feindbilder finden sich auf dem Schulhof, aber auch in Debatten im Bundestag, die von der AfD angestachelt werden. Außerdem haben Sinti und Roma mit Benachteiligungen bei der Job- und Wohnungssuche zu kämpfen und werden auch in den sozialen Netzwerken Opfer von "hate speech". Wenn Sinti und Roma sichtbar werden, werden sie oft diskriminiert oder ausgegrenzt, auch gewaltvolle Übergriffe kommen vor. Deshalb haben sich viele in die Anonymität geflüchtet.  

Frage: Wie viele Sinti und Roma gibt es in Deutschland?

Reinhardt: Es gibt keine offiziellen Zahlen. Schätzungen gehen von 80.000 bis 100.000 Sinti und Roma mit deutscher Staatsbürgerschaft aus.

Frage: Vielen Menschen ist dennoch nicht bewusst, dass sie Sinti und Roma sind. Wie erklären Sie sich das?

Reinhardt: Nicht selten werden Sinti und Roma immer noch als Randgruppe wahrgenommen. Die seit Jahrhunderten gepflegten Vorurteile sind fester Bestandteil des Antiziganismus, einseitige Berichterstattungen zeigen zudem ein rassistisches Bild von Minderheitsangehörigen, welches zum Stigma für Sinti und Roma wird. Aber wir sind ein integraler Bestandteil Deutschlands  und haben die Kultur über Jahrhunderte mitgeprägt. Die deutschen Sinti sind seit 700 Jahren in diesem Land, in erster Linie sind wir alle Deutsche. 

Frage: Wie sieht es in der katholischen Kirche aus?  Schaut man in Jugendverbände, Vorstände, Kirchenbänke, findet man kaum Sinti und Roma. Woran liegt das?  

Reinhardt: Woran wollen Sie denn Sinti und Roma erkennen? Sie sind Menschen wie alle anderen auch. Viele von ihnen sind treue und gute Katholiken. Jährlich pilgern zum Beispiel viele Sinti zum französischen Marienwallfahrtsort Lourdes. Es ist die größte katholische Sinti-Wallfahrt. 

Bild: ©Uwe Hauth

Dotschy Reinhardt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Dokumentations- und Kulturzentrums der Deutschen Sinti und Roma in Heidelberg.

Frage: Im Jahr 2000 bat Papst Johannes Paul II. die Sinti und Roma um Vergebung für die Sünden, die Katholiken im Nationalsozialismus ihnen angetan haben. Wie beurteilen sie die Beziehung zur katholischen Kirche heute? 

Reinhardt: Die Haltung gegenüber Sinti und Roma ist noch immer weitgehend von Paternalismus geprägt. Wir werden nicht auf Augenhöhe gesehen und teilweise in eine Opferrolle gedrängt. Die evangelische Kirche hat sich als kooperativer und solidarischer mit Sinti und Roma in Deutschland gezeigt. Es gibt aber auch Katholiken, die für Mitarbeit auf Augenhöhe eintreten – allen voran Papst Franziskus. Der empfängt regelmäßig Sinti und Roma und hat sich auch klar gegen Antiziganismus positioniert. Als in Italien eine Roma-Familie Opfer eines Brandanschlags wurde, hat er Anteilnahme gezeigt und sich um die Hinterbliebenen gekümmert. 

Frage: Vor kurzem wurde die Berufung eines Professors an die Kölner Hochschule für Theologie bekanntgegeben, der bei Twitter erklärt hatte, kein Problem mit Begriffen wie "Zigeunerschnitzel" und "Negerkuss" zu haben. Wie fühlen Sie sich, wenn Sie so etwas hören? 

Reinhardt: Es geht vielmehr um die herablassende Haltung, mit der über solche Begriffe eine Abwertung von Menschen erreicht werden soll, die sich durch diese Fremdbezeichnungen verletzt fühlen. Wenn sie dann noch von der Kirche kommen, die eigentlich für Werte wie Gleichberechtigung und Liebe eintreten will... Für mich ist das ein Zeichen von Unreflektiertheit. Diese Personen wollen ihren Unmut gegen Minderheiten loswerden.  

Frage: Wie könnte die Kirche besser in die Gesellschaft wirken, um Vorurteile abzubauen? Was würden Sie sich da wünschen 

Reinhardt: Die Haltung ist wichtig. Wir möchten auf Augenhöhe gesehen werden. Durch die Aufarbeitung und Reflektion der Vergangenheit kann ein Bewußtsein für antiziganistische Strukturen innerhalb der katholischen Kirche geschaffen und so ein Dialog mit Sinti und Roma geführt werden. 

Frage: Besuchen Sie regelmäßig einen Gottesdienst?  

Reinhardt: Wenn die Kirchen geöffnet sind und die Infektionslage es zulässt, besuche ich gerne einen Gottesdienst. Allerdings vermehrt ökumenische. 

Von Teresa Walter

Statement des Zentralratsvorsitzenden Romani Rose

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagt in seiner aktuellen Videobotschaft zum Internationalen Roma-Tag:

"Um Rassismus zu sehen, müssen wir müssen nicht nach erst nach Amerika blicken, wo derzeit der Prozess um den Tod von George Floyd beginnt, der Opfer von rassistischer Polizeigewalt wurde. Auch hier in Deutschland kommt es immer wieder zu rassistisch motivierten Straftaten und Handlungen gegenüber unserer Minderheit - auch durch Polizeikräfte. So wurde Anfang des Jahres im baden-württembergischen Singen ein elfjähriger Sinti-Junge von einem Polizeibeamten beleidigt und in Handschellen auf die Wache geführt und das, ohne wenigstens seine Eltern zu informieren."