Annalena Baerbock wird erste Kanzlerkandidatin der Grünen
Weißer Rauch stieg bei den Grünen am Montag gewissermaßen auf aus der Parteizentrale. Erstmals gibt es in der Geschichte der Partei eine Kandidatin für das Kanzleramt. Damit hat Robert Habeck, der Philosoph, Annalena Baerbock, der Völkerrechtlerin, den Vortritt gelassen. Es brauche Mut, Dinge anders zu machen, betonte die 40-Jährige. Es gehe aber darum, Dinge zu verändern und nicht nur zu versprechen: "Ich trete an für Erneuerung, für den Status Quo stehen andere."
Habeck will seine Mitvorsitzende Baerbock auf ihrem Weg zur Bundestagswahl und danach, so betonte er, begleiten und unterstützen. Die beiden sollen gemeinsam als Spitzenduo der Partei in den Wahlkampf gehen. Das wünscht sich der Parteivorstand und will es entsprechend auf dem bevorstehenden Parteitag im Juni besiegeln, wo auch der Entwurf des Wahlprogramms beraten und verabschiedet wird. Die Erwartungen an die Grünen - an das Spitzenduo und an Baerbock als Kanzlerkandidatin - sind groß.
"Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin"
Vor der Wahl zur Parteivorsitzenden 2018 war Baerbock - im Gegensatz zu Mitbewerber Habeck - nur Insidern bekannt. Das sollte sich schnell ändern. Die Mutter von zwei Kindern stammt aus Hannover und studierte Politikwissenschaften in Hamburg und Völkerrecht in London. Sie zog nach Brandenburg, wo sie von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen war, bevor sie Bundestagabgeordnete wurde.
Mit ihrer Familie lebt sie in Potsdam, wo sie sich um ein Direktmandat bewirbt - größter Konkurrent im Wahlkreis ist Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Anders als ihr Parteikollege Habeck verfügt sie über keinerlei Regierungserfahrung und geht damit auch offen um. "Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin", so Baerbock. Aber sie sei bereit für die große Herausforderung und Aufgabe.
Baerbock, die als Jugendliche Trampolinspringen als Leistungssport betrieb, gilt als durchsetzungsstark und faktensicher. Und als bodenständig; unter anderem engagiert sie sich in Potsdam für einen Flüchtlingshilfeverein. Zu vielen ethischen Gesetzesfragen bezog sie klar Stellung und vertrat dabei auch kirchennahe Positionen: So war sie maßgeblich an der interfraktionellen Zustimmungslösung bei der Organspende beteiligt, die der Bundestag vor rund einem Jahr beschloss. Demnach soll die Organspende nach dem Tod eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben, die nicht durch den Staat erzwungen werden darf. In puncto Sterbehilfe spricht sie sich dagegen aus, assistierte Suizidbeihilfe als Dienstleistung zuzulassen. Dies wäre eine "Kapitulation", erklärt sie auf ihrer Homepage.
Beim Thema Abtreibung dagegen vertritt sie anders als die Kirchen eine liberale Haltung und setzt sich für Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch ein. Sie selbst, so Baerbock in einem Interview, sei Mitglied der protestantischen Kirche, aber nicht gläubig. In der Kirche sei sie geblieben, weil ihr die Idee des Miteinanders extrem wichtig sei.
Habeck, der "säkulare Christ"
Ihr politischer Partner Habeck ist Familienvater von vier erwachsenen Söhnen. Er kommt aus Schleswig-Holstein, wo er bis heute seinen Wohnsitz hat, und studierte in Freiburg und Dänemark unter anderem Philosophie. Mit seiner Frau veröffentlichte er zahlreiche Bücher. Seit 2002 ist er bei den Grünen, 2009 war er erstmals Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein. 2012 wurde er dort Landwirtschaftsminister und schaffte es, als Grüner auch bei Landwirten zu punkten.
Das große Thema des 51-Jährigen, der sich selbst als "säkularer Christ" bezeichnet, ist die Umweltpolitik, er engagiert sich aber auch in der Flüchtlingshilfe und setzt sich für eine großzügige Aufnahme von Geflüchteten ein. Mit Baerbock wirkte er am neuen Grundsatzprogramm der Grünen mit, das sich etwa für ein "selbstbestimmtes Sterben frei von Druck" ausspricht. Auch die neue Regelung zur Organspende begrüßte er. Er sei in einer "sehr christlichen" Familie aufgewachsen und nehme Religion theologisch ernst, so Habeck, habe sich jedoch im Laufe der Zeit vom Glauben entfernt. Er habe aber "tiefen Respekt für Menschen, die im Glauben Halt finden".
Woran beide ohne Zweifel glauben, wurde an diesem Montagvormittag deutlich: an politische Erneuerung und an eine Chance auf das Kanzleramt.