Pfarrer Olding segnet Holger und Lennart
Er darf das nicht und macht es doch: Pfarrer Christian Olding steht in seiner Kirche Sankt Martin im niederrheinischen Geldern und legt seine Hände auf die Köpfe zweier Männer. "Der Herr segne euch", murmelt Olding: "Er lasse sein Angesicht leuchten über euch." Holger und Lennart Woltering, seit 2017 standesamtlich verheiratet, sind beide als Sänger in der Geldener Kirchengemeinde aktiv. "Mir sind die ganzen Emotionen hochgekommen wie bei der Hochzeit", sagt der 30-jährige Holger nach der Segnung: "Mit Kribbeln im Bauch. Wahnsinn."
Wenn es nach dem Vatikan geht, darf ein katholischer Seelsorger wie Olding eine homosexuelle Partnerschaft nicht segnen – genauer gesagt: er kann es nicht. Die Kirche habe dafür keine Vollmacht, erklärte die Glaubenskongregation Mitte März. Gleichgeschlechtliche Verbindungen entsprächen nicht dem göttlichen Willen. Gott "segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen".
Initiatoren: Kein Angriff auf Ehesakrament
Auch Holger und Lennart Woltering haben die Erklärung aus dem Vatikan wahrgenommen. "Das hat sich angefühlt wie ein Schlag ins Gesicht", sagt Holger. "Es wirkt so rückständig", findet Lennart: "Der Vatikan kommt mit etwas um die Ecke, wo man dachte, da waren wir schon drüber hinweg", so der 33-Jährige.
Auch Pfarrer Olding hat das Nein aus dem Vatikan getroffen. "Es kann nicht sein, dass wir etwas stillschweigend hinnehmen, womit ganz viele Seelsorgerinnen und Seelsorger, Theologinnen und Theologen und gläubige Christen übergangen werden", sagt er. Gemeinsam mit anderen hat er die deutschlandweite Initiative "#liebegewinnt" gestartet. Um den 10. Mai herum gibt es bundesweit "Segensgottesdienste für Liebende". Dabei erhalten alle teilnehmenden Paare, die das wünschen, den Segen – auch wenn ihre Beziehung nicht dem katholischen Ideal von Mann und Frau in erster Ehe entspricht. Es geht um einen Segen, betonen die Seelsorger – und nicht um einen "Angriff auf das Sakrament der Ehe zwischen Mann und Frau", was Kritiker ihnen oft vorwerfen.
In Sankt Martin läuft ein romantischer Pop-Song über die Lautsprecher, eine Regenbogenflagge hängt an der Vorderseite des Altars. Pfarrer Olding und Ruhestandspfarrer Heiner Dresen setzen Mund-Nase-Schutz in Regenbogenfarben auf. Dann gehen sie von Paar zu Paar, legen ihre Hände auf die Köpfe und sprechen die Segensworte. Die "Liebenden" halten sich dabei an den Händen, ein Mann und eine Frau blicken sich tief in die Augen, zwei Männer haben die Arme um ihre Taillen gelegt. 35 Paare sind es insgesamt, darunter Homosexuelle, Heterosexuelle, Verheiratete, Geschiedene und Unverheiratete.
Dresen, seit 1985 Priester, hat schon während seiner Kaplansjahre ein Paar in zweiter Ehe gesegnet - in deren Wohnzimmer. Auch Olding spendete bereits heimlich den Segen – den Wolterings bei ihrer Hochzeit 2017. Die Haltung des Vatikan zu akzeptieren und vor Ort unter der Hand anders zu handeln, sei lange Zeit der Spagat gewesen, den Seelsorger hingenommen hätten, so der Pfarrer. Die aktuelle Erklärung sei für ihn jedoch ein Wendepunkt. "Das kann ich so länger nicht aushalten und mitmachen."
Keine Angst vor Sanktionen – vorerst
Angst vor Sanktionen habe er vorerst nicht. Sein Bischof, der Münsteraner Oberhirte Felix Genn, habe wie einige andere Bischöfe in Deutschland erklärt, dass er seine Seelsorger nicht abstrafen werde, wenn sie auch schwule und lesbische Paare segnen. "Aber eine Garantie haben wir alle nicht."
Nicht alle Bischöfe stehen dem Thema aufgeschlossen gegenüber. Und einige, auch aus anderen Ländern, sehen durch den Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland – den Synodalen Weg, in dem es auch um das Thema Sexualität geht – die Ehe zwischen Mann und Frau angegriffen und warnen vor einer Kirchenspaltung. Für Montag, den Haupt-Aktionstag von "#liebegewinnt", haben sie zu einem internationalen Gebet aufgerufen zur "Wiedergutmachung für alle Vergehen ..., die von den abtrünnigen Pfarrern der deutschen Kirche begangen wurden".
Linktipp: Mit-Initiator Thönnes: Die Segnungsfeiern sind keine Protestaktion
Deutschlandweit finden um den 10. Mai Segensgottesdienste unter anderem für homosexuelle Paare statt – auch als Antwort auf das Nein des Vatikan. Trotz Kritik gibt sich Mitinitiator Hans-Werner Thönnes selbstbewusst: Es gelte, eine Schöpfungswirklichkeit anzuerkennen.
Auch der Vatikan dürfte die Segensaktion in Deutschland mit erhöhter Aufmerksamkeit wahrnehmen. Ob eine Reaktion erfolgt und ob sich die liberaleren Bischöfe dann weiter hinter ihre Seelsorger stellen, ist offen. Ein Bischof ist dem Papst gegenüber zum Gehorsam verpflichtet – genauso wie ein Priester seinem Bischof gegenüber. Mögliche Konsequenzen werde er tragen, sagt Pfarrer Olding. Trotzdem sei jetzt der Punkt erreicht, um zu sagen, das gehe so nicht weiter.
In Geldern haben die 35 Paare den Segen erhalten. Im Kirchenvorraum gibt es ein Glas Sekt zum Abschluss – mit Abstand und Maske. Noch einmal ertönt das romantische Lied, viele haben ein Lächeln im Gesicht. "Das ist wichtig für mich, dass meine Partnerschaft unter Gottes Segen steht", sagt Andreas Hein. Der 49-Jährige ist mit seinem 55 Jahre alten Lebensgefährten Mario Berwanger zum Gottesdienst gekommen. Die beiden wünschen sich eine von Gottes Liebe getragene Ebene, auf die sie zurückgreifen können, wenn es im Leben einmal schwierig wird. Aus der Kirche waren sie schon ausgetreten. Als Berwanger an Krebs erkrankte und Zuspruch bei einem Pfarrer fand, traten sie wieder ein.
"Wir sind alle vor Gott gleich"
Er bezeichnet die Erklärung aus dem Vatikan als sehr schmerzlich. "Wir sind alle vor Gott gleich", sagt er. Sein Partner Hein glaubt nicht daran, dass Rom seine Haltung zu Homosexualität ändern wird. Lieber wolle er sich auf das Gemeindeleben vor Ort konzentrieren. Von seinem Pfarrer sei er willkommen geheißen worden und spiele jetzt Orgel in der Gemeinde. "Das ist Kirche", findet Hein: "Nicht, was da oben gesagt wird."
Pfarrer Olding will seinen Gottesdienst nicht als kirchenpolitischen Protest missverstanden wissen. Auch eine Kirchenspaltung wolle niemand. Die Kirche müsse sich aber an ihren Auftrag erinnern: "Den Menschen zu Dienste zu sein und ihnen in ihrer Lebensrealität zur Seite zu stehen." Vorerst will Olding weiter tun, was er nicht darf - ganz ohne Heimlichkeit.