Himmelklar – Der katholische Podcast

Volker Kauder: Christliches Menschenbild ist Kompass der CDU

Veröffentlicht am 19.05.2021 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln/Berlin ‐ Für Volker Kauder ist die CDU keine Kirche – mit dem christlichen Menschenbild habe sie aber einen sicheren Kompass: Politik darf den Menschen nicht umerziehen, sondern muss ihn nehmen, "wie er geht und steht", sagt der Unionsabgeordnete im Interview.

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Bewahrung der Schöpfung sei ein urchristlicher Wert – aber dazu gehöre es auch, dem Menschen mit seinen technischen Möglichkeiten Freiraum zu lassen, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Volker Kauder im Interview. Neben den vielfältigen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie spricht der langjährige Fraktionsvorsitzende der Union auch darüber, was ihm als Christ Hoffnung macht.

Frage: Sie sind seit über 30 Jahren im Bundestag und kennen den politischen Alltag. Wie hat der sich für Sie im vergangenen Jahr verändert?

Kauder: Ganz entscheidend ist vor allem, dass ich und wir so wenig direkten Kontakt mit den Menschen haben. Künstlerinnen und Künstler sagen mir: "Ach, das ist alles so schrecklich. Wir können gar nicht mehr auf die Bühne." Dann sage ich: "Meine Bühne ist die Veranstaltung, wo ich Menschen direkt treffe – und auch das kann ich nicht mehr." Wenn ich daran denke, was es für ein Unterschied ist, ob ich in einer großen Kirche oder in einem Gemeindesaal über verfolgte Christen spreche oder das per Audio- oder Video-Podcast mache, ist das ein himmelweiter Unterschied! Das fehlt mir sehr. Gerade in einer Zeit, wo es darauf ankommt, mit den Menschen zu sprechen und zu erklären. Und ihnen vor allem Mut zu machen: Wir werden das schon durchstehen und es kommen auch wieder bessere Zeiten.

Frage: Ist denn der parlamentarische Alltag auch komplizierter geworden?

Kauder: Der parlamentarische Alltag ist schon deshalb schwieriger geworden, weil wir natürlich auch die Abstandsregelungen und Maskenregelung bei uns haben. Da merkt man auch: Viele Dinge, kleinere Themen und Fragen hat man im Plenarsaal mal mit einer Kollegin oder einem Kollegen kurz besprechen können. Das fällt heute nicht ganz aus, aber ist doch viel schwerer, wenn man schon so laut sprechen muss wegen der Maske, dass alle außen herum es mitbekommen. Das hat sich also verändert. Der Ton im Parlament ist schon durch die AfD anders geworden, aber jetzt wird es vor allem auch durch die AfD noch aggressiver. Also ja, da hat sich schon einiges verändert.

Frage: In den letzten Jahrzehnten mussten wir uns ja nicht mit wirklichen Krisen, die jeden betroffen haben, auseinandersetzen. Jetzt wird die wehrhafte Demokratie auf die Probe gestellt, oder?

Kauder: Da haben Sie völlig recht. Wobei man noch nicht einmal von der wehrhaften Demokratie sprechen muss. Da gäbe es noch ganz andere Situationen. Aber richtig ist schon, dass die Demokratie attackiert wird von Querdenkern und von anderen, die mit den Regelungen nicht mehr einverstanden sind. Da müssen wir dafür werben: Es muss der Grundsatz gelten und es muss auch in anderen Zusammenhängen gesagt werden – beispielsweise wenn es um Integration von Menschen geht, die zu uns gekommen sind –, wir müssen die Gesetze einhalten.

Auch wenn es mir nicht passt, muss ich akzeptieren: Wenn eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 dasteht, muss ich die einhalten. Auch wenn ich denke: Was soll denn das? So muss ich einfach dafür werben, dass die Verordnungen und Gesetze, die beschlossen worden sind, eingehalten werden oder im rechtsstaatlichen Verfahren verändert werden sollen. Aber nicht durch Selbstjustiz, indem man sagt: Ich mache Demonstrationen, halte mich nicht an die Verordnungen. Das geht schon ans Mark der Demokratie.

Frage: Sie können das von einer Fachebene aus beurteilen, Sie sind gelernter Jurist. Wenn man auf die Ebene "Einhalten von Regeln" guckt, dann ist man ja auch ganz schnell bei den Gottesdiensten, bei den Sonderregelungen für die Religionsgemeinschaften. Im Vergleich zur Kultur haben die Religionsgemeinschaften Sonderrechte. Finden Sie das berechtigt?

Kauder: Es gibt eine ganze Reihe von, wie Sie sagen, Sonderrechten oder Ausnahmen, also beispielsweise in der Versorgung mit Gütern des täglichen Lebens. Die Menschen müssen essen und trinken, deswegen muss der Supermarkt aufgemacht werden. Da müssen dann die Hygieneregeln eingehalten werden. Und der Mensch muss nicht nur essen und trinken, wie es so schön in der Bibel heißt: "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein", sondern er lebt auch davon, dass er eine Zuversicht, eine Perspektive hat. Dazu gehört natürlich auch die Ausübung der Religion oder beispielsweise die traurige Tatsache, dass ich Begräbnisfeiern durchführen muss, um mich verabschieden zu können. Deswegen halte ich es, dass die Religionsgemeinschaften, die Kirchen ihre Angebote machen können, für so wichtig und notwendig wie die Versorgung mit Essen und Trinken.

„Die CDU macht keine christliche Politik, weil es christliche Politik gar nicht gibt, sondern die CDU hat eine Grundlage, einen Kompass. Das ist das christliche Menschenbild.“

—  Zitat: Volker Kauder

Frage: Die nächste Bundestagswahl ist eine Situation, in der sich die CDU auf ihr "C" besinnt, auf ihre christlichen Werte. Mein Eindruck ist aber, wenn man sich die Unionspolitik anguckt, kommen diese vor allem in der Frage des Lebensschutzes vor. Habe ich da etwas nicht im Blick? Wo sehen Sie die christliche Identität der Union heutzutage?

Kauder: Da muss man noch mal ganz klar sagen: Die CDU ist keine Kirche. Die CDU macht, was jetzt manchen überraschen wird, keine christliche Politik, weil es christliche Politik gar nicht gibt, sondern die CDU hat eine Grundlage, einen Kompass. Das ist das christliche Menschenbild. Mit diesem christlichen Menschenbild arbeitet die CDU. Jetzt kann man sagen: Was heißt das eigentlich? Wenn man eine Definition sucht, findet man sie im Galaterbrief im Neuen Testament. Dort heißt es: Der Mensch ist zur Freiheit befreit (Gal 5,1: "Zur Freiheit hat uns Christus befreit!"). Jetzt sage ich es mal etwas salopper – und auch zur Verantwortung für seinen Nächsten. Also Freiheit, Eigenverantwortung, Verantwortung.

Ein christliches Menschenbild heißt auch, dass der Mensch, so wie er geht und steht, der wahre Mensch ist, dass wir ihn nicht verändern dürfen und wollen. Klar, kann man sagen. Aber es gab Situationen, da war der wahre Mensch nur der, der einer bestimmten Rasse oder einer bestimmten Klasse angehört hat. In der DDR war die Ausbildung zum sozialistischen Menschen Grundlage – der Mensch muss verändert werden. Da sagen wir: Nein, der Mensch, so wie er geht und steht, als Ebenbild Gottes – mit einer eigenen Würde ausgestattet, die ihm niemand nehmen kann –, für den machen wir Politik.

Ich muss auch sagen: Es ist natürlich klar, dass der Staat Regeln aufstellt, an die man sich halten muss. Aber es darf unmöglich sein, dass nach dem Motto vorgegangen wird: Was, du isst noch Fleisch und bist kein Veganer? Also kannst du doch kein wirklich guter Mensch sein. – Das steht dem Staat nicht zu. Er kann zwar Regeln erlassen, aber er hat den Menschen nicht zu qualifizieren. In dieser Situation sind die Grünen früher noch intensiver gewesen als heute. Oder "Fridays for Future"-Kids, die sagen: Also Opa, wenn du dich nicht für die Umwelt interessierst und weiter Auto fährst, dann geht es so nicht. – Da muss man aufpassen, dass die Würde des Menschen heißt: Ich darf nicht an den Menschen persönlich gehen. Ich kann Verhalten kritisieren und Verhalten einfordern. Das ist der entscheidende Punkt.

Wir in der Union machen Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und wollen den Menschen nicht umerziehen. Wir wollen ihm die Freiheit lassen, ihn nicht in Kollektive pressen. Das sind wichtige Punkte. Wenn wir das deutlich machen, wofür wir stehen, kommen wir auch aus dem Meinungsumfragetief wieder heraus.

Frage: Aber trotzdem ist die Bewahrung der Schöpfung zum Beispiel ja ein großer christlicher Wert. Sie sehen gerade viele klassische Unionswähler, die deswegen zumindest in den Umfragen in Richtung der Grünen abwandern. Würden Sie sagen, da braucht es mehr – nicht bloß auf das Offensichtliche gucken, sondern auch auf die Hintergründe?

Kauder: Da haben Sie völlig recht, die Bewahrung der Schöpfung ist ein urchristlicher Wert. Macht euch die Erde untertan, aber vernichtet sie nicht, müsste man sagen – so würde, wie Heiner Geißler mal formuliert hat, der Christus heute wohl zu uns sprechen. Das haben wir als Union wahrscheinlich zu wenig pointiert dargestellt. Aber mit welchen Methoden, mit welchem Ziel sollten wir die Schöpfung bewahren? Wollen wir den Menschen einfach Dinge verbieten, oder – und das ist jetzt der Unionsansatz – wollen wir kreativ überlegen, wie wir auch mit Möglichkeiten der Technik vorankommen?

Es gibt ja in der Bibel nicht nur die Vorschrift "Macht euch die Erde untertan", aber vernichtet sie nicht, sondern auch das manchmal etwas verstörend wirkende Gleichnis von den Talenten. Danach hat Gott uns Talente gegeben – Geist, Verstand, Forscherdrang. Und es gibt denjenigen, der das Talent nicht nutzt, der ein Talent bekommen und einfach Angst hat, auch nicht recht weiß, was er damit machen soll, und es vergräbt. Als er nachher zur Rechenschaft gezogen wird, wird ihm das auch noch weggenommen, weil er sein Talent nicht eingesetzt hat.

Deswegen finde ich, wir müssen als Union sagen: Bewahrung der Schöpfung, aber wir müssen auch sagen, zur Bewahrung der Schöpfung gehört auch der Mensch mit seinen Möglichkeiten, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen. Das ist eigentlich doch der große Unterschied zu denen, die nur eindimensional die Bewahrung der Schöpfung fordern – koste es, was es wolle, und wenn es um die Zukunftschancen der jungen Generation geht. Das machen wir nicht mit. Aber beides müssen wir betonen und haben vielleicht bei der Bewahrung der Schöpfung ein bisschen zu leise gesprochen.

„Die Leute lesen ja kein Wahlprogramm, sondern sie machen das an einer Person und dem, was da in wesentlichen Punkten gesagt wird, fest.“

—  Zitat: Volker Kauder

Frage: Wenn ich mir zum Beispiel den Machtkampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Markus Söder und Armin Laschet in der Union angucke, ist mein Eindruck, dass es da nicht wirklich um Inhalte geht, sondern nur um Personalia. Das sieht man, finde ich, relativ häufig, dass es nicht wirklich um Überzeugungen und Zieldurchsetzungen geht, sondern um persönliche Befindlichkeiten und Egozentrismus. Würde es der Union nicht mal guttun, sich jetzt vier Jahre lang in der Opposition wieder selber zu finden?

Kauder: Die Entscheidung über den Kanzlerkandidaten war für uns in der Union und auch an der Basis eine schwere Herausforderung, um es mal ganz vorsichtig und wenig aggressiv zu formulieren. Aber Personalentscheidungen sind nicht nur Machtfragen, sondern es sind auch inhaltliche Fragen. Es wurde ja im Zusammenhang mit dieser Entscheidung über die unterschiedlichen Bewerber gesprochen: Was zeichnet Laschet aus, was zeichnet Söder aus? Da ist schon über Inhalt gesprochen worden, dass Laschet einer ist, der mitten in der CDU steht, der die verschiedenen Strömungen versucht, zusammenzuführen, der vor allem für Europa und so steht. Und dann auf der anderen Seite Markus Söder mit seinen Stärken, die er hat. Da ist also schon auch über Inhalte gesprochen worden.

Dass es zwischen Menschen zu Auseinandersetzungen kommen kann, ist der Bibel ja nicht fremd. Von daher gesehen war das für uns eine Belastung. Aber jetzt muss es schon auch um die Inhalte gehen, da haben Sie völlig recht. Da sind wir noch ein bisschen hintendran, weil wir unser Wahlprogramm noch nicht formuliert haben. Das Wahlprogramm sollte eigentlich in zehn Thesen zusammengefasst werden können. Die Leute lesen ja kein Wahlprogramm, sondern sie machen das an einer Person und dem, was da in wesentlichen Punkten gesagt wird, fest. Wir müssen noch einiges leisten, da haben Sie völlig recht, die Zeit drängt irrsinnig.

Ich glaube allerdings, dass in dieser Pandemie die Menschen im Augenblick damit beschäftigt sind, wie sie durch die Pandemie kommen. Da geht es ums Impfen, die Ungerechtigkeit: Warum dürfen die einen schon jetzt wieder Freiheiten genießen? Ich bin noch nicht mal geimpft … – Das ist auch klar. Aber wenn das alles auf einem höheren Niveau ist, wird sehr schnell auch die Frage kommen: Wie geht es weiter? Viele Menschen sind ja existenziell bedroht. Der Gastronom, der kleine Einzelhändler und andere. Die werden fragen: Wie geht es mit der Wirtschaft wieder voran? Und das ist eine Kernkompetenz der Union. Deswegen glaube ich, dass wir da schon noch unsere Chance haben. Aber wir müssen uns zusammenreißen.

Frage: Ihnen persönlich ist im politischen Engagement die Christenverfolgung in aller Welt sehr wichtig – ein Randthema, das in der Öffentlichkeit wie auch in der Politik wenig Gehör findet. Wie kommt es dazu, dass Sie sich in dem Bereich so engagieren? Weshalb spielt das für Sie so eine große Rolle?

Kauder: Ich kam mit 16 Jahren zur Jungen Union und zur CDU wegen zwei, drei Themen. Da war einmal das Thema der deutschen Einheit, die Wiedervereinigung war eigentlich nur noch Thema bei der CDU, sonst bei fast niemandem mehr. Und es war auch das "C", das christliche Menschenbild. Da hat mich vor allem das Thema Freiheit interessiert. Dass Gott uns Freiheit geschenkt hat, sogar die Freiheit, Nein zu ihm zu sagen. Diesen Freiheitsdrang habe ich immer verspürt. Darüber wird nach meiner Auffassung viel zu wenig gesprochen. So kam ich dann auch zur Union.

Dieser Wert, den ich durch mein Christsein auch schon in früher Jugend gesehen habe, wird in anderen Regionen der Welt den Menschen verwehrt. Verfolgung von Christen war ja in der Kirchengeschichte immer ein Thema. Da habe ich die Verantwortung gespürt, dass wir, wenn wir geschwisterlich miteinander umgehen wollen, das nicht nur in unserem Land tun können, sondern uns auch für die Geschwister einsetzen müssen, die besonders betroffen sind. Mich hat immer zutiefst gerührt, dass ich jeden Sonntag zu meinem Gottesdienst gehen konnte, ohne Angst haben zu müssen, und Alterskollegen in anderen Ländern der Welt um ihr Leben fürchten mussten. In dem Bereich habe ich dann auch relativ wenig Solidarität verspürt – deswegen war das ein Thema, das mich schon immer beschäftigt hat. Als ich dann in eine besondere Verantwortung kam, nämlich Fraktionsvorsitzender wurde, gab es mit diesem Amt auch die Gelegenheit, über dieses Thema im Bundestag zu prominenter Redezeit zu sprechen.

Volker Kauder bei einem Diskussionsabend
Bild: ©KNA/Jörg Loeffke (Archivbild)

Volker Kauder ist seit über 30 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestages und war von 2005 bis 2018 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Ein Thema, mit dem sich Kauder seit langem ausführlich befasst, ist das Thema Christenverfolgung und Religionsfreiheit.

Frage: Stört es Sie denn, dass es trotzdem immer noch ein Randthema ist und es nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt, wie es vielleicht sollte?

Kauder: Das stört mich nicht, sondern es ist für mich eine Herausforderung und motiviert mich. Jetzt muss man sagen, es hat sich viel entwickelt: Die Themen Christenverfolgung und auch Religionsfreiheit waren vor 20 Jahren in der katholischen Kirche kein so bedeutendes Thema. Das hat sich radikal geändert. Mit Erzbischof Schick haben wir jemanden, der sich um dieses Thema in besonderer Weise kümmert. Missio kümmert sich darum. Die katholische Kirche hat einen Gebetstag für verfolgte Christen. Also es wird jetzt nicht nur der Stephanus am Zweiten Weihnachtsfeiertag besonders besprochen, sondern das Thema ist schon deutlicher vorhanden.

Es wird auch vom Vatikan aus in besonderer Weise vorangetrieben unter dem Thema Religionsfreiheit, was ja auch richtig ist. Der Papst war jetzt im Irak, wo die Christen bedrängt sind. Ein tolles Signal, ein tolles Zeichen. Der Papst hat sich mit al-Tayyeb, dem sunnitischen Repräsentanten, in Kairo getroffen. Da passiert also schon einiges. Und trotzdem bleibt die Tatsache, dass die Verfolgung von Christen in der letzten Zeit nicht abgenommen, sondern zugenommen hat. Deswegen dürfen wir bei dem Thema nicht schweigen. Da muss man an der Sache dranbleiben.

Die Christen sind die am meisten verfolgte Religionsgruppe in der ganzen Welt, weil es überall Christen gibt. Viele andere Religionen sind auf Regionen beschränkt. Die Hindus beispielsweise, die Muslime weitgehend in einer Region, während die Christen überall sind. Aber es werden natürlich auch andere Religionsgruppen verfolgt – und Muslime verfolgen Muslime. Sie bringen sich auch gegenseitig um, die Islamisten beispielsweise. Deswegen bleibt es eine große Herausforderung. In manchen Regionen, beispielsweise in China, ist nichts besser geworden in der letzten Zeit.

Frage: Die kirchliche Ebene haben Sie jetzt angesprochen. Wie sieht es mit der politischen Ebene aus? Braucht es da mehr Engagement?

Kauder: Mehr Engagement wäre auf jeden Fall richtig, aber auch da muss man sagen, es hat sich ja was getan. Ich habe noch als Fraktionsvorsitzender in den Koalitionsgesprächen durchsetzen können, dass wir einen Beauftragten für Religionsfreiheit bekommen haben, was unser Kollege Markus Grübel ist. Gerade gestern hat die EU, wozu ich immer gedrängt habe, jetzt wieder einen Beauftragten für Religionsfreiheit berufen. Wir haben gerade vor einigen Wochen im Deutschen Bundestag den Bericht von Markus Grübel zur Religionsfreiheit diskutiert. Zweimal intensive Debatten, sodass das Thema auch im Deutschen Bundestag präsent ist. Da hat sich also schon einiges getan. Die Berichterstattung ist auch größer geworden.

Wir haben zwar noch große Aufgaben, was die verfolgten Christen anbelangt, aber ich hätte mir vor 20 Jahren nicht vorstellen können, dass wir so weit schon gekommen sind und dass sich auch immer mehr Menschen interessieren. Ein Beispiel: Wenn ich früher Veranstaltungen zum Thema Religionsfreiheit und verfolgte Christen gemacht habe – jetzt kann man sie ja nur noch in Zoom oder in anderen Formaten machen – da sind wesentlich mehr Menschen zu der Veranstaltung gekommen, als wenn ich eine Parteiveranstaltung gemacht habe. Also, da hat sich schon was verändert. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Und wenn man so die Botschaft in der Heiligen Schrift liest, wird da ja auch kein Geheimnis draus gemacht: "Ihr werdet um meinetwillen verfolgt werden. " Das war nicht nur eine temporäre, zeitlich begrenzte Geschichte. Also, Jesus hat schon sehr genau gewusst, was auf seine Anhänger zukommen kann.

Frage: Was bringt Ihnen auch als Christ im Moment Hoffnung?

Kauder: Die Zusage unseres Herrn Jesus Christus: Ich bin bei euch. Ich bleibe bei euch, wenn ihr bei mir bleibt. Und daraus das wunderbare Wort: Fest, geborgen, gehalten, aufgehoben in Gottes Hand. Und diese Zuversicht sollten wir auch weitergeben. Gott hat gesagt: Ich werde wiederkommen in Gestalt von Jesus Christus. Es entscheidet sich dann, was mit der Welt weiter geschieht. Bis dahin haben wir den Auftrag, die Welt zu gestalten und zuversichtlich zu sein. Wir wissen doch, dass es immer wieder ernste Herausforderungen gibt, aber wir immer wieder auch mit dem Beistand von Jesus Christus die Dinge haben bewältigen können. Also, seid unverzagt und zuversichtlich. Diese Botschaft, finde ich, sollten die Kirchen noch viel deutlicher sagen. Deswegen ist es notwendig, existenziell für den Menschen, dass er auch in seinem Gottesdienst immer wieder diesen Beistand Gottes herbei beten kann.

Von Renardo Schlegelmilch