Für die Auflösung einer "priesterlichen Sonderwelt"

Generalvikar Pfeffer beklagt erheblichen Mangel an Dialog in Kirche

Veröffentlicht am 02.06.2021 um 09:54 Uhr – Lesedauer: 

Düsseldorf/Essen ‐ Römische Verlautbarungen ohne Vorwarnung, fehlende Frauenweihe, eine "priesterliche Sonderwelt" und aus der Zeit gefallene Bräuche wie Fronleichnamsprozessionen: Für Essens Generalvikar Klaus Pfeffer hat die Kirche noch eine Menge Arbeit vor sich.

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Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer beklagt einen "erheblichen Mangel an Dialog" in der Kirche. "Aus Rom kommen Verlautbarungen, ohne dass vorher mal mit den deutschen Bischöfen der Kontakt gesucht wird - und dann wundert man sich über den Wirbel, der entsteht", sagte Pfeffer im Interview der "Rheinischen Post" (online Dienstagabend).

Manche Äußerungen aus römischen Kreisen weckten zudem "den Verdacht eines Misstrauens gegenüber einer Kirche, die sich einer pluralen Gesellschaft stellt und bereit ist, sich zu verändern", so der Geistliche und frühere Journalist. Auch "die Selbstverständlichkeit, mit der Nichtgeweihte, also sogenannte Laien, seit vielen Jahren ein Mitspracherecht in der Kirche in Deutschland besitzen", sei "manchen in der Weltkirche fremd".

Für eine Weihe von Diakoninnen

Pfeffer sprach sich für eine Weihe von Diakoninnen aus. Er wisse "natürlich um die hohen dogmatischen Hürden" in dieser Frage. Darum stehe "sicher noch eine längere und schwierige Debatte bevor"; am Ende gingen solche großen Veränderungen "nur Schritt für Schritt". Er sei aber "überzeugt, dass es der Kirche sehr gut täte, wenn Frauen und Männer gleichberechtigt auf allen Ebenen wirken könnten", betonte der 57-Jährige.

Pfeffer sieht darin eine große Chance für eine "Auflösung einer priesterlichen Sonderwelt, die sich vor allem darin begründet, dass ausnahmslos zölibatär lebende Männer Priester werden können". Die MHG-Missbrauchsstudie habe "deutlich auf die Problematik einer solchen überhöhten 'Monokultur' hingewiesen". Wenn sich das priesterliche Amt nicht an Geschlecht und Ehelosigkeit festmache, könne es "offener und vielfältiger werden" und sich auf seine spirituellen und theologischen Funktionen konzentrieren.

Es sei doch "merkwürdig", dass Frauen den kirchlichen Alltag entscheidend mitprägten und in der Kommunionvorbereitung, in Kitas, im Religionsunterricht und vielen anderen Bereichen oft mehr als Männer den christlichen Glauben vermittelten, aber beim priesterlichen Amt ausgeschlossen blieben. Pfeffers Fazit: "Ich verstehe, dass das immer weniger verstanden wird."

Bild: ©KNA/Lars Berg (Symbolbild)

Feste und Gebräuche wie die Fronleichnamsprozessionen, wo die Gemeinde den sakralen Kirchenraum verlässt und ins profane Weltliche zieht, wirkten heute mancherorts wie aus der Zeit gefallen, so Generalvikar Klaus Pfeffer.

Die katholische Kirche ist nach Ansicht Pfeffers in einem unumkehrbaren Wandel und hat noch einen weiten Weg der Verwandlung vor sich. Nicht nur sei das Priesteramt in seiner bisherigen Gestalt "massiv in Frage gestellt", auch Feste und Gebräuche wie die Fronleichnamsprozessionen, wo die Gemeinde den sakralen Kirchenraum verlässt und ins profane Weltliche zieht, wirkten heute mancherorts wie aus der Zeit gefallen, so Pfeffer. "In unseren Gewändern sowie mit den sehr traditionellen Texten und Liedern ziehen wir durch die Innenstadt - und an den Fenstern oder am Straßenrand blicken uns Menschen an, als seien wir Außerirdische von einem fernen Planeten."

Das könne aber auch "hoffentlich provozierend für uns Katholiken" sein, "wenn wir spüren, dass wir das, was wir sagen und tun, übersetzen müssen für die Menschen von heute, die nicht mit unseren Traditionen groß geworden sind", sagte der Essener Generalvikar und fragt: "Was nutzen unsere missionarischen Bemühungen, wenn sie niemand mehr versteht?"

Gottesdienste sollten ein Ort sein, der den Glauben erfahrbar macht, so der Geistliche; "ob sie das immer sind, ist durch die Corona-Zeit allerdings fraglich geworden". Er kenne Kirchgänger, die offen bekennten, dass sie nichts vermisst hätten in der Zeit des Lockdowns. Das sei ein Alarmsignal. "Wir müssen die Qualität unserer Gottesdienste überprüfen", sagte Pfeffer; dort gelte es, "mit Gott in Berührung zu kommen und Kraft für das eigene Leben zu tanken".

Zorn und Ärger über Kirchenvertreter

Die derzeitige Heftigkeit von Zorn und Ärger über Kirchenvertreter erklärt Pfeffer nicht nur mit einem Reformstau und jüngsten Skandalen, sondern auch mit einem Klerikalismus früherer Generationen. "Damals war völlig klar, dass es in Glaubensfragen unverrückbare Wahrheiten gibt, über die nur Kleriker Bescheid wissen", so Pfeffer; "alle anderen haben diesen Wahrheiten zu folgen". Freiheitliches Denken etwa in der Sexualmoral sei konsequent unterbunden worden.

Das habe sich binnen weniger Jahrzehnte radikal verändert. "Menschen, die in einer aufgeklärten, freiheitlichen und pluralen Gesellschaft aufwachsen, lassen sich ein solches 'System' nicht mehr gefallen", betonte der Geistliche. Dieser radikale Wandel sei "längst nicht zu Ende". "Dass zurzeit so viel hochkocht, hat auch mit diesen alten Zeiten zu tun", sagte der 57-Jährige. "Wer allerdings heute immer noch an einem Kirchenbild der vergangenen Zeiten hängt, muss die gegenwärtigen Debatten natürlich als bedrohlich empfinden."

Zugleich warb Pfeffer dafür zu erkennen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten in der katholischen Kirche "schon alles geändert hat". Noch vor 30 oder 50 Jahren hätte etwa die Diskussion über eine Zulassung der Weihe von Frauen gar nicht so offen geführt werden können. Trotz "all der mühseligen Diskussionen" glaube er daher, dass es "über kurz oder lang zu einer gleichberechtigten Kirche kommen wird". (tmg/KNA)