Seit der Liturgiereform am dritten Samstag nach Pfingsten gefeiert

Zwischen Verstandesglauben und Antimodernismus: Das Herz-Mariä-Fest

Veröffentlicht am 12.06.2021 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Maria gilt als Ideal eines gläubigen Menschen: In ihrem Herzen verbinden sich symbolisch Glaube und Verstand. In der Volksfrömmigkeit zwar lange verwurzelt, konnte sich die liturgische Herz-Mariä-Verehrung erst recht spät durchsetzen – und geriet zunehmend ins Fahrwasser des Antimodernismus.

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Obwohl es ein verhältnismäßig junges Marienfest ist, wurde es bereits an verschiedenen Terminen gefeiert: das Fest vom unbefleckten Herzen Mariens. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wird es am dritten Samstag nach Pfingsten begangen. Viele Marienfeste erinnern an einen bestimmten Aspekt im Leben der Gottesmutter – etwa ihre Geburt, die Verkündigung durch den Erzengel Gabriel oder ihre Aufnahme in den Himmel. Anders beim Herz-Mariä-Fest: Ihm liegt kein spezielles Ereignis zugrunde, sondern es ist eine Art liturgische Zusammenfassung, die das Leben und die Glaubenshaltung Marias als Ganzes ins Zentrum stellt.

Natürlich ist mit dem Herzen Mariens nicht das Körperorgan aus Fleisch und Blut gemeint. Vielmehr wird "Herz" als Symbolwort verwendet, das die innerste Mitte einer Person mit all ihren Eigenschaften bezeichnet. Diese bildhafte Deutung des Herzens als Ort für das Fühlen, Denken und Handeln eines Menschen findet sich bereits in der Bibel: So bittet etwa König Salomon am Anfang seiner Herrschaft Gott um "ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht" (1 Kön 3,9) und im Anschluss an die Pfingstpredigt des Petrus heißt es, seine Botschaft traf die Zuhörer "mitten ins Herz" (Apg 2,37). Sie wurden von innen heraus bewegt und konnten sich für das Wort Gottes öffnen. Das Herz wird als symbolischer Sitz der Gottesbeziehung des Menschen charakterisiert.

In ähnlicher Weise kommt auch Marias Herz in der Bibel zur Sprache: An zwei Stellenam Ende der Weihnachtsgeschichte und nach der Wiederauffindung des zwölfjährigen Jesus im Tempelerzählt das Lukasevangelium, dass Maria das Geschehene "in ihrem Herzen" bewahrte (Lk 2,19.51). Der Jubelgesang der Engel über die Geburt Jesu dürfte für Maria ebenso verwunderlich gewesen sein wie die Worte ihres Sohnes im Tempel. Beide Male nennt die biblische Erzählung hier ihr Herz als den Ort, an dem Verstand und Glaube zueinander finden.

Gottesgeburt im Herzen der Gläubigen

Schon die Kirchenväter in der Spätantike griffen diese Metapher auf. Bemerkenswert ist etwa eine Stelle bei Augustinus: Hier parallelisiert er Herz und Geist des Menschen und betont die höhere Bedeutung dieser Wesenszüge gegenüber dem rein Körperlichen. So sei Maria durch ihr geistiges Empfangen seliger geworden als durch das leibliche und habe Gott "glücklicher mit ihrem Herzen geboren" als durch das Fleisch (Beatior fuit Maria concipiendo mente, quam ventre: felicius gestavit corde, quam carne). Damit macht Augustinus Maria zur Identifikationsfigur für die Gläubigen allgemein und erklärt den Verstand zum maßgeblichen "Organ" des Glaubens: Vermögen die Gläubigen Gott zwar nicht leibhaftig zur Welt zu bringen, so können sie sich ihm doch im Denken nähern, und er wird – bildlich gesprochen – geistig in ihrem Herzen geboren.

Die Vorstellung Marias als Idealfigur des gläubigen Menschen ist seitdem der theologische Kerngehalt aller Marien-Verehrung. Im Sprachbild des Herzens werden dabei die verschiedenen Facetten des Glaubens gebündelt: Verstand und Emotion, Zweifel und Hoffnung, Gottes- und Nächstenliebe. Ikonografisch dargestellt wird das Herz Mariens als stilisiertes menschliches Herz, das von einem Kranz aus Rosenblüten umschlungen wird. Die Flammen, die oben aus dem Herz schlagen, sollen ihre brennende Liebe symbolisieren und das Schwert an die leidvolle Erfahrung des Todes erinnern.

Schrittweise Einführung des Herz-Mariä-Festes

Nachdem die Herz-Mariä-Verehrung über lange Zeit Teil der Privatfrömmigkeit war, setzte sich im 17. Jahrhundert vor allem der französische Priester Johannes Eudes für die Einführung eines eigenen liturgischen Festes ein. Er betonte dabei die theologische Verbindung zwischen dem Herzen Mariens und dem Herzen Jesu, dessen Verehrung sich zur damaligen Zeit ebenfalls auszubreiten begann: So wie das Herz Jesu die Liebe Gottes zu den Menschen verkörpere, sei das Herz Mariens ein Bild für die antwortende Liebe des Menschen gegenüber Gott.

Mit seinen Bestrebungen traf der französische Ordensmann einen Nerv der Zeit, war doch im 17. Jahrhundert die Glaubenspraxis ganz auf Innerlichkeit und persönliche, auch körperliche Verzückung gerichtet. Die Strömung der Barock-Mystik knüpfte an den Gedanken der spirituellen Vereinigung des Gläubigen mit Gott an und bediente sich etwa bei Birgitta von Schweden, Teresa von Avila oder Ignatius von Loyola.

Ordensgründer Johannes Eudes
Bild: ©Public domain / Bibliothèque municipale de Caen

Der französische Priester und Ordensgründer Johannes Eudes (1601-1680) hat sich maßgeblich für die liturgische Verehrung des Herzens Mariens eingesetzt. 1909 wurde er durch Papst Pius X. selig- und 1925 durch Papst Pius XI. heiliggesprochen.

1643 führte Eudes das Herz-Mariä-Fest in den Ordenshäusern der von ihm gegründeten Priestergemeinschaft "Kongregation von Jesus und Maria" ein und feierte es am 8. Februar 1648 erstmals mit einer öffentlichen Messe in der Kathedrale von Autun. Von einigen Ordensgemeinschaften wird das Fest deshalb bis heute an diesem Datum begangen.

Die römische Ritenkongregation allerdings stand einer offiziellen Einführung des Festes zunächst kritisch gegenüber, da sie es für nicht notwendig und die Lehre für nicht klar genug begründet erachtete. Eudes legte daraufhin ein ausführliches Traktat über "Das verehrungswürdige Herz der allerheiligsten Gottesmutter" vor. Ob sein Text oder die wachsende Beliebtheit in der Volksfrömmigkeit der Grund war: Die Herz-Mariä-Verehrung verbreitete sich ausgehend von Frankreich über ganz Europa und das liturgische Fest wurde zunächst in einzelnen Diözesen und 1855 für die ganze Kirche erlaubt.

Ideenfeste im Zeichen des Antimodernismus

Stand bei Augustinus noch der Verstandesaspekt des Glaubens im Vordergrund, geriet das Herz-Mariä-Fest im Laufe der Geschichte zunehmend ins Fahrwasser des Antiintellektualismus. Angesichts von Aufklärung und Humanismus zog sich die Kirche auf das Feld des "wahren Glaubens" zurück. Was durch Philosophie und Naturwissenschaften in Frage gestellt wurde, sollte den Gläubigen exklusiv durch die Lehre der Kirche vermittelt werden. Valide Antworten auf die Krise der Moderne wurden kaum mehr gefunden. Zu Zeiten des Kulturkampfs im 19. Jahrhundert mutierten Ideenfeste wie die vom Herzen Jesu und Mariä regelrecht zum Bekenntnis des Ultramontanismus: Nicht in den Reformbestrebungen einer von Aufklärung und Reformation geprägten Theologie, sondern allein in der zentralistischen Papstkirche "jenseits der Berge" sollte das Heil zu finden sein.

So überrascht nicht, dass das Herz Mariens seinen Beinamen "unbefleckt" vermutlich im Zusammenhang mit dem Dogma ihrer unbefleckten Empfängnis erhielt. Darin wurde 1854 die Glaubensaussage festgehalten, dass Maria vom ersten Augenblick ihres Lebens von der Erbsünde bewahrt worden sei. Von theologischer Seite wurde diese nachträgliche Hinzufügung der Unbeflecktheit zur Herz-Mariä-Verehrung immer wieder kritisiert, da sie den ursprünglichen Gedanken der Glaubenszuversicht mit dem Aspekt der Sühne und der sexuellen Reinheit überlagert habe. Das Herz als Bild der Leib-Seele-Einheit des Menschen erhielt eine leibfeindliche Konnotation.

Statue der Madonna von Fatima
Bild: ©KNA

Bei den Marienerscheinungen von Fatima 1917 soll die Gottesmutter selbst zur Verehrung ihres Herzens aufgefordert haben.

Einen letzten Bekanntheitsschub erhielt die Verehrung des Herzens Mariens mit den Marienerscheinungen von Fatima 1917: Gemäß den Visionsbeschreibungen der portugiesischen Hirtenkindern soll die Gottesmutter zur Verehrung ihres unbefleckten Herzens und zur Weihe der ganzen Welt an dasselbe aufgerufen haben. Papst Pius XII.– bekanntlich ein glühender Verfechter des sogenannten Antimodernismus – nahm diese Weihe in den Jahren des Zweiten Weltkriegs vor. In "schicksalsschwerer Stunde", so formulierte er, sollte die Gottesmutter Fürbitte für die Menschheit leisten, die "von wilder Zwietracht zerfleischt, im Brande des Hasses lodert". 1944 legte Pius XII. schließlich das Herz-Mariä-Gedächtnis als verbindliches Fest für den 22. August fest, den Oktavtag von Mariä Himmelfahrt.

Wechselnde Festtermine und Interpretationen

Um die enge Verbindung zum Herzen Jesu wieder zu verdeutlichen, wurde das Herz-Mariä-Fest im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil auf den Samstag der dritten Woche nach Pfingsten verlegt, den Tag nach dem Herz-Jesu-Fest. Das zunächst willkürlich erscheinende Datum ergibt sich aus der früheren Oktavordnung der Liturgie: Wie heute nur noch Ostern und Weihnachten hatten die meisten höheren Feste eine eigene Oktav, wurden also eine ganze Woche lang gefeiert.

Sowohl das Herz-Jesu-Fest als auch das Fronleichnamsfest verstehen sich als feierliches Echo jener Ereignisse rund um das Osterfest, die durch den stillen Charakter der Karwoche keine prunkvolle Entfaltung hatten: Am ersten "freien" Donnerstag nach der 50-tägigen Osterzeit und der (inzwischen abgeschafften) Pfingstoktav wird feierlich der Einsetzung der Eucharistie am Gründonnerstag gedacht – Fronleichnam. Und wiederum am ersten "freien" Freitag nach der (ebenfalls nicht mehr vorhandenen) Oktav von Fronleichnam, also dem dritten Freitag nach Pfingsten erinnert das Herz-Jesu-Fest an die Lebenshingabe Jesu am Kreuz.

Trotz des indirekten Terminbezugs auf Ostern: Die Herz-Mariä-Verehrung hat ihre Anklänge an eine befremdliche Sühnetheologie und an überkommene Reinheits- und Geschlechtervorstellungen kaum ablegen können. Auch das antiintellektualistische Bild des schlichten Herzensglaubens als Ausdruck der Papsttreue gegenüber kirchlichen Reformbewegungen blieb an dem Fest haften. So wird es im liturgischen Kalender von vielen Gläubigen heute als irritierendes Relikt empfunden und verschämt übergangen. Um das theologische Potential des Festes zu erschließen, bedürfte es einer zeitgemäßen Interpretation des Herz-Mariä-Bildes: sich ein Herz für die Schwachen der Welt zu fassen, jedem mit Aufrichtigkeit und Liebe begegnen, intellektuelle Glaubenszweifel nicht wegzudrängen, sondern sich zu Herzen gehen lassen – Anknüpfungsmöglichkeiten bieten sich zu genüge.

Von Moritz Findeisen