Konsequenzen für Priesterbild und -ausbildung gefordert

Historiker: Bei Missbrauch könnte es einen "pastoralen Tätertyp" geben

Veröffentlicht am 14.06.2021 um 11:45 Uhr – Lesedauer: 

Münster ‐ Seit eineinhalb Jahren untersucht der Historiker Klaus Große Kracht sexuellen Missbrauch durch Vertreter der katholischen Kirche. Seine ersten Forschungsergebnisse legen jetzt nahe: Es könnte einen speziellen Tätertyp im kirchlichen Umfeld geben.

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Aus Sicht des Münsteraner Historikers Klaus Große Kracht könnte es einen speziellen Tätertyp von Priestern geben, die vor sexuellem Missbrauch gerade Jugendliche oft jahrelang spirituell missbrauchen. "Gerade das letzte Merkmal, die Kombination des Sexuellen mit dem spirituellen Missbrauch, macht diesen Tätertypus, wie ich meine, zu einem spezifisch kirchlich-religiösen, der sich vermutlich kaum in anderen gesellschaftlichen Bereichen auffinden lässt", sagte Große Kracht dem "Deutschlandfunk" am Sonntag. "Erst im Raum der Kirche und anderer religiöser Gemeinschaften findet er überhaupt einen sozialen Kontext für seine spezifische Anbahnungs-Strategie."

Die Geistlichen nutzten demnach das Macht-Gefälle etwa in der Jugendarbeit der Gemeinden, um sich zunächst als seelische Ratgeber der Heranwachsenden unentbehrlich zu machen, um anschließend zum sexuellen Missbrauch überzugehen. "Wenn die Annahme eines spezifischen pastoralen Tätertyps plausibel erscheint, dann sollte dies Konsequenzen im Hinblick auf das Verständnis des Priesteramtes und der Priesterausbildung innerhalb der katholischen Kirche haben", sagte der Historiker. Prävention müsse dann anders gestaltet werden als etwa in Schulen oder Sportvereinen. "Immer muss es darum gehen, die Autonomie des oder der Gläubigen in sämtlichen Fragen der Lebensgestaltung als höchstes Gut der priesterlichen Fürsorge fest in der Ausbildung und dem Amtsverständnis zu verankern und jede Form asymmetrischer Kommunikation zwischen Priester und Laien zu verhindern", so Große Kracht. Um die Hypothesen zum pastoralen Tätertyp zu erhärten, seien allerdings noch weitere empirische Untersuchungen nötig.

Es sei an der Zeit, dass sich die Kirche von einem zu unkritischen Leitbild des Priesters als "Hirten" und Seelenführers verabschiede. Davon sei sie allerdings auch in der aktuellen Krise noch weit entfernt, wie etwa die Formulierung "Weide meine Schafe" im Brief von Papst Franziskus an Kardinal Reinhard Marx zeige.

Große Kracht leitet seit eineinhalb Jahren ein vom Bistum Münster gefördertes unabhängiges Forschungsprojekt der Universität Münster mit dem Titel "Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige" im Bistum. (cbr)