Missbrauch in Polen: 29 Prozent der Beschuldigten sind Geistliche
Polens staatliche Aufarbeitungskommission für sexuellen Kindesmissbrauch hat am Montag einen ersten ausführlichen Bericht vorgelegt. In rund 29 Prozent der Fälle, die der Kommission bislang gemeldet oder von ihr selbst aufgenommen wurden, ist demnach der Beschuldigte ein Geistlicher: in 100 von 349 Fällen. Bei 68 Beschuldigten handele es sich um einen Elternteil, bei 36 um einen anderen Verwandten.
Die vom Parlament beschlossene Aufarbeitungskommission erfasst seit November Fälle von Missbrauch von Kindern unter 15 Jahren. Die Analyse aller bis Ende Juni registrierten Fälle ist ein Schwerpunkt des mehr als 250 Seiten langen Berichts. Die Kommission empfiehlt unter anderem, dass die Justiz diese Strafverfahren mit Priorität durchführt und ein Kinderanwalt eingeführt wird.
55 Fälle an Staatsanwaltschaft weitergeleitet
55 der gemeldeten Missbrauchsfälle, die Geistliche begangen haben sollen, leitete die Kommission an die Staatsanwaltschaft weiter. In 36 von ihnen bestehe der Verdacht, dass die Glaubensgemeinschaft trotz Kenntnis eines glaubhaften Vorwurfs nicht unverzüglich die Strafverfolgungsbehörden informiert habe. Darauf stehen in Polen bis zu drei Jahre Gefängnis. Das jüngste mutmaßliche Missbrauchsopfer war dem Bericht zufolge ein Jahr alt. 188 der gemeldeten Betroffenen waren Mädchen, 173 Jungen. In den übrigen Fällen fehlten Angaben zum Geschlecht.
Die Kommission forderte laut ihrem Bericht bei der vatikanischen Glaubenskongregation Ende Juni zahlreiche Daten an. Sie will demnach etwa wissen, wie viele Strafverfahren wegen sexualisierter Gewalt gegen Kinder es seit 2002 gegen polnische Geistliche gab und wie viele Priester aus dem Klerikerstand entlassen wurden. Eine Antwort steht noch aus. Informationen erbat die Kommission auch von anderen Kirchen und den Zeugen Jehovas. Die orthodoxe Kirche, mit nach eigenen Angaben 600.000 Mitgliedern Polens zweitgrößte Konfession, erklärte, ihr seien keine Fälle von Kindesmissbrauch durch Geistliche bekannt. Die meisten anderen Glaubensgemeinschaften machten bislang keine Angaben.
Im März hatte die staatliche Aufarbeitungskommission Kardinal Stanislaw Dziwisz, den früheren Sekretär von Papst Johannes Paul II. (1978-2005) und emeritierten Erzbischof von Krakau, sowie weitere Bischöfe wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen die Meldepflicht bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Dabei ging es um einen Priester, der im südpolnischen Bistum Bielsko-Zywiec von 1984 bis 1989 ein Kind etwa 500 mal missbraucht haben soll. Auch der Vatikan hat bereits Ermittlungen gegen Dziwisz aufgenommen. Die katholische Kirche in Polen steht wegen bekanntgewordener Fälle von Missbrauchsvertuschung massiv unter Druck. Gegen einzelne Bischöfe verhängte der Vatikan zuletzt Disziplinarstrafen wegen Versäumnissen beim Umgang mit Missbrauchsfällen. (mal/KNA)