Puzzle nach Sarkophag-Öffnung: Warum Mainz zwei Dome hat
Es war ein archäologischer Fund von großer kirchengeschichtlicher Bedeutung: Forscher in weißen Schutzanzügen öffneten im Juni 2019 einen rund tausend Jahre alten Sarkophag in der evangelischen Johanniskirche in Mainz. Danach dauerte es noch fünf Monate, bis sich das Rätsel um die bestattete Person löste: In dem Grab liege tatsächlich der 1021 verstorbene Mainzer Erzbischof Erkanbald bestattet, sagte Forschungsleiter Guido Faccani im November 2019 vor Journalisten. Vor genau 1.000 Jahren – am 17. August 1021 – war Erkanbald gestorben, der bis zu seinem Tod Erzbischof von Mainz war.
"Er ist es! Im Sarkophag liegt Erkanbald", jubelte Faccani. Eine über 100-jährige Forschungsdebatte erklärte der Forschungsleiter damit für beendet. Während einer Grabung in Sankt Johannis hatten die Archäologen 2017 den steinernen Sarg entdeckt. Am 4. Juni 2019 wurde der 700 Kilo schwere Deckel geöffnet. In dem Grab wurden menschliche Überreste und Stofffragmente gefunden. Anfang Juli 2019 wurde der Grabdeckel wieder geschlossen. Zunächst war nur klar, dass der Tote ein Geistlicher war – aber nicht, wer.
Ein Pallium als Beweis
Es folgte eine Art wissenschaftliches Puzzle: Akribisch wurden Proben analysiert. Die Datierung von Kleidung und Schuhen zeigte schließlich deutlich, dass im Sarkophag nur ein Erzbischof liegen konnte, der um das Jahr 1000 in der Kirche bestattet wurde. Damit war zugleich klar: Es muss der Nachfolger des Mainzer Erzbischofs Willigis (975-1011) sein. Und das war Erzbischof Erkanbald, der von 1011 bis 1021 im Amt war.
Die Textil-Restauratorin Anja Bayer entdeckte verschiedene Textilien, darunter Beinlinge, ein Untergewand, eine Kasel aus Seide – also ein liturgisches Gewand –, und vielleicht das Wichtigste: ein Pallium – eine Art Stola als Insignium eines Bischofs.
Im September 2020 zog Faccani in einem Video, das vom "Freundeskreis Alter Dom St. Johannis" im Internet veröffentlicht ist, ein endgültiges Fazit seiner Forschungen: "Ein Pallium ist ein Stück Gewand, ein Ehrenzeichen, das der Papst direkt jedem Erzbischof verleiht. Und wenn der Erzbischof stirbt, nimmt er sein Pallium mit ins Grab. Deshalb wissen wir: Das muss das Pallium dieses Mannes sein, der hier liegt, also dieses Erzbischofs." Der Forscher resümierte: "Mit allen anderen wissenschaftlichen Ergebnissen können wir sagen, dass es letztlich das Pallium von Erkanbald sein muss."
Mainzer Dom: Kaiserdom und Kathedrale für das "Zweite Rom"
Siebenmal abgebrannt, mehrfach beschossen und bombardiert, zwischenzeitlich ein Lebensmittellager und selbst der Abriss war geplant – doch der Mainzer Dom wurde immer wieder aufgebaut. Seit über 1000 Jahren steht er mitten in der Stadt und bleibt eine "ewige Baustelle".
Der Kernphysiker Alfred Dewald datierte zudem mehrere Materialproben auf die "wahrscheinlichste" Zeit zwischen den Jahren 980 und 1020. Und auch die für die Kleidungsstücke verwendete Wolle, darauf entdeckte Seidenkreuze sowie Goldbortenfragmente ließen die Forscher auf das Bischofsamt des bestatteten Klerikers schließen.
Laut der Konstanzer Anthropologin Carola Berszin war der Verstorbene zwischen 40 und 60 Jahren alt, etwa 1,82 Meter groß und wog rund 70 Kilo. Zähne waren nicht erhalten. Das Skelett war "sehr brüchig und durch das Bedecken mit Ätzkalk stark in Mitleidenschaft gezogen, mit Ausnahme der Füße", so die Wissenschaftlerin. Vom Kopf war mehr oder weniger nur noch Knochenmehl vorhanden. Die "Bild"-Zeitung titelte etwas respektlos vom "Brösel-Bischof".
Mainz hat zwei Dome
Andreas Klodt, evangelischer Dekan in Mainz, nannte Erkanbald hingegen liebevoll "Archi" – nach der englischsprachigen Form des Namens: Archibald. Die Johanniskirche, die seit 1828 ein evangelisches Gotteshaus ist, gilt als eine der ältesten Kirchen Deutschlands. Die in direkter Nähe des Mainzer Doms Sankt Martin gelegene Kirche wird im Volksmund "Alter Dom" genannt.
Nun hat sich dieser Name wissenschaftlich bestätigt: Sankt Johannis war die Kathedrale der Mainzer Erzbischöfe bis 1036, als der Dom Sankt Martin geweiht wurde und die Nachfolge antrat. Mainz habe nun "zwei Dome", folgerte Dekan Klodt. Es sei etwas Besonderes, dass der "Alte Dom" nicht abgerissen und an gleicher Stelle ein Neubau errichtet wurde, sondern der Mainzer Dom Sankt Martin nur einen Steinwurf entfernt errichtet worden sei. In Sankt Johannis jedoch habe das bischöflich verfasste Christentum in Mainz seinen Ausgang genommen.