Bischof Bätzing empört über Leid und Hilflosigkeit in Afghanistan
Die deutschen Bischofe zeigen sich betroffen über die Zustände in Afghanistan. "Die Szenen am Flughafen Kabul, belagert von Menschen, deren einzige Hoffnung darin besteht, ihre Heimat noch schnell genug verlassen zu können, bedrängen" sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, am Dienstag in Bonn. "Auch mich empören das um sich greifende Leid und die Hilflosigkeit derer, denen gerade die Zukunft entrissen wird."
Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan stelle "eine desaströse Niederlage der USA und der bis vor kurzem an ihrer Seite engagierten Länder" dar, so Bätzing weiter. Das gelte auch für Deutschland. "Die jetzt eingetretene Lage zehrt das politische Vertrauenskapital der westlichen Länder auf und wird von vielen in aller Welt als moralischer Bankrott verstanden", betonte der Bischof von Limburg.
Vor 20 Jahren auch in Kirchen "gemischte Diskussionslage"
Als vor 20 Jahren die Entscheidung für die militärische Invasion Afghanistans getroffen worden sei, habe es auch in den Kirchen eine "gemischte Diskussionslage" gegeben, sagte Bätzing. "Wie immer man dabei Partei ergriff: Nur schwer ist das abrupte Ende eines solchen Einsatzes zu begründen, wenn die katastrophalen Folgen doch absehbar waren."
Bätzing weiter: "Man gibt kein Land an eine erwiesenermaßen brutale archaisch-radikalislamistische Bewegung preis, wenn man die Zivilbevölkerung zuvor jahrelang angespornt hat, einem entgegengesetzten zivilisatorischen Kurs zu folgen! So werden Leib und Leben Tausender und Abertausender in Gefahr gebracht und die Flamme der Hoffnung, die man selbst genährt hat, ausgelöscht." Nun sei eine Renaissance des islamistischen Terrorismus nicht unwahrscheinlich.
Bätzing forderte die Evakuierung der Ortskräfte, die für das Militär der auswärtigen Mächte gearbeitet haben, und des Personals der internationalen Hilfsorganisationen. "Großzügige Aufnahmeangebote sollten aber auch jenen gemacht werden, die in besonderer Weise gefährdet sind, Opfer des neuen Taliban-Regimes zu werden, weil sie sich in den zurückliegenden Jahren für eine Neuorientierung der afghanischen Gesellschaft exponiert haben."
Viele verantwortliche Politiker äußerten die Erwartung, dass der Umsturz in Afghanistan mit erheblichen Fluchtbewegungen einhergehen werde. Deshalb sei es unerlässlich, die Staaten in der Region in die Lage zu versetzen, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. "Manche, vielleicht viele Menschen werden sich auch auf den Weg nach Europa machen. Die Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union muss dringend vertieft und verbessert werden, damit diejenigen, die ein Recht dazu haben, hier Aufnahme finden können", so der Vorsitzende der Bischofskonferenz.
ZdK für Debatte über deutsche Afghanistan-Politik
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) forderte angesichts der Lage in Afghanistan, humanitäre Korridore zu schaffen. Zugleich sprach sich das ZdK am Dienstag in Bonn für eine Debatte über Deutschlands Rolle in der Afghanistan-Frage aus. Dabei müsse es auch darum gehen, wie Entwicklungspolitik und militärisches Engagement künftig aussehen sollten.
"Über humanitäre Korridore muss die Versorgung der notleidenden Bevölkerung durch Hilfsorganisationen aufrechterhalten werden", sagte ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann. "Diese Korridore werden unter Umständen bald auch der einzige Weg sein, das Land auf einigermaßen sicherem Wege zu verlassen." Anrainerstaaten wie Tadschikistan oder Iran hätten jetzt eine wichtige Rolle und brauchten Hilfe auch aus Deutschland, fügte Kortmann hinzu. "Die Bundesregierung muss ihre Anstrengungen an diesem Punkt verstärken. Geflüchtete müssen auch dort mit deutscher Hilfe rechnen können."
ZdK-Präsident Thomas Sternberg forderte eine selbstkritische Debatte über die Afghanistan-Politik in Deutschland. Das fast 20-jährige Engagement habe nicht den erwünschten Erfolg gebracht. Auch Kortmann unterstrich, dass das westliche Konzept von "nation building" gescheitert sei. Der Westen habe die zivilen, friedensfördernden Kräfte nicht ausreichend gestützt.
Der Deutsche Caritasverband sprach unterdessen von einem massiven politischen Versagen - auch der Bundesregierung. Das werde auch zu einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen führen. Präsident Peter Neher forderte umfassende Maßnahmen, um die humanitäre Katastrophe innerhalb Afghanistans und in den Erstfluchtstaaten abzuwenden.
Oliver Müller, Leiter von Caritas international, forderte eine umgehende Evakuierung von Mitarbeitenden von Nichtregierungsorganisationen, die sich für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt haben. Notwendig sei das schnelle Aufsetzen eines humanitären Aufnahmeprogramms für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aus Afghanistan in den Nachbarstaaten, unterstrich die Caritas. Zudem brauche es unbürokratische Lösungen, um den Zugang zu deutschen Auslandsvertretungen für Afghanen weiterhin zu ermöglichen.
Bedford-Strohm fordert Aufnahme afghanischer Flüchtlinge
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, rief zur Aufnahme afghanischer Flüchtlinge in Deutschland auf - unabhängig davon, ob sie Helfer der Alliierten waren oder nicht. "Wir haben als Land in den vergangenen Jahren Mitverantwortung in Afghanistan getragen. Gerade deshalb ist es jetzt auch an uns, einen solidarischen Beitrag zur Bewältigung der Folgen zu leisten, indem wir dafür sorgen, dass Menschen, denen die Flucht aus Afghanistan gelingt, menschenwürdige Aufnahme finden", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag). "Die Verzweiflung, mit der Menschen jetzt versuchen, vor der befürchteten Gewalt der Taliban zu fliehen, kann niemanden unberührt lassen", so der bayerischer Landesbischof.
Der überstürzte Abzug der Truppen wirft seiner Ansicht nach grundsätzliche Fragen auf, die zu gegebener Zeit genau analysiert und diskutiert werden müssten. "Jetzt muss es unmittelbar um Hilfe für die Bevölkerung und alle nur denkbaren diplomatischen Aktivitäten gehen, die befürchtete Gewalt und Menschenrechtsverletzungen verhindern können." (tmg/KNA)
17.8., 11:05 Uhr: Ergänzt um ZdK und Caritas.