Misereor ruft zu internationaler Hilfe für Afghanistan auf
Das katholische Hilfswerk Misereor und die katholische Zentralstelle für Entwicklungshilfe appellieren an die internationale Staatengemeinschaft, auch nach der Machtübernahme der Taliban Hilfe für Afghanistan zu leisten. Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel (Foto) warnte am Donnerstag in Berlin vor einer sich täglich verschlechternden humanitären Lage. Fast 90 Prozent der Bevölkerung seien arm, sagte er. Grundnahrungsmittel verteuerten sich. Vier Millionen Menschen seien derzeit innerhalb des Landes auf der Flucht. Zahlreiche Parks in den Städten seien zu Flüchtlingslagern geworden. Daher seien Solidarität und die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft nun dringend erforderlich.
Misereor versuche, die Arbeit mit lokalen Partnern fortzusetzen, um die Menschen nicht im Stich zu lassen, sagte Spiegel. So laufe etwa der Betrieb eines Kinderkrankenhauses in Kabul weiter. Auch die Arbeit in Frauenbildungszentren werde wieder aufgenommen. Noch sei nicht klar, welchen Wert die Taliban unabhängiger Bildung außerhalb von Koranschulen beimessen werden und ob Bildung von Frauen weiter möglich sein werde.
Ähnlich äußerte sich der Leiter der katholischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Karl Jüsten. "Wir dürfen die Menschen in Afghanistan jetzt nicht im Stich lassen", mahnte er. Die aktuelle Lage sei vom Westen mit verursacht. Auch Deutschland habe daher die moralische Verpflichtung, alles zu tun, um das Leid der Zivilbevölkerung zu mindern und den Menschen die eigene Unterstützung zu versichern. Man habe nach wie vor eine Verantwortung für die Menschen, mit denen man über viele Jahr zusammengearbeitet habe. "Sie jetzt alleine zu lassen, wäre ein Vergehen an diesen Menschen", sagte Jüsten, der auch Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Berlin ist.
Gegen Aussetzung von Entwicklungszusammenarbeit
Jüsten wie Spiegel wandten sich dagegen, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit auszusetzen oder auf europäischer Ebene die Hilfe an Bedingungen zu knüpfen. "Wir sind nie dafür eingetreten, Entwicklungshilfe zu konditionieren. Es geht immer um den Menschen", mahnte Jüsten. Zugleich riefen beide dazu auf, mit den Taliban, die vor wenigen Tagen die Macht übernommen hatten, weiterzuverhandeln und um Menschenrechte, Frieden und gute Staatsführung zu ringen. Es gebe nicht die Taliban, sondern durchaus differenzierte Möglichkeiten. Gleichwohl sei darauf zu bestehen, "dass auch die Taliban die Werte, die uns heilig sind, auch bewahren, etwa die Menschenrechte und die gleiche Würde aller Menschen", erklärte Jüsten.
Deutschland und Europa sollten sich seiner Meinung nach auf die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Afghanistan vorbereiten, wenn auch derzeit nicht mit einer Flüchtlingswelle zu rechnen sei. "Europa ist stark genug, und Europa muss eine Lösung finden, Flüchtende aus Afghanistan aufzunehmen", sagte er. Ein nationaler Alleingang Deutschlands wäre allerdings falsch. Es müsse eine europäische Lösung her. Die Innenminister müssten alles tun, um ein vernünftiges und geregeltes Aufnahmeverfahren zu entwickeln.
Misereor hat nach eigenen Angaben 2020 mit rund 66 Millionen Euro fast zehn Millionen Euro mehr Spenden erhalten als noch ein Jahr zuvor. Insgesamt hatte das Hilfswerk etwa 215 Millionen Euro zur Verfügung. (tmg/KNA/epd)