Himmelklar – Der katholische Podcast

Hirschhausen: Das Vaterunser gilt auch für Treibhausgase

Veröffentlicht am 25.08.2021 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Kirchen können bei der Bewältigung des Klimawandels eine tragende Rolle spielen, weil sie über Generationen hinaus denken, sagt der Arzt Eckart von Hirschhausen. Zudem fordert er eine neue Kategorie christlichen Denkens: die Übernächstenliebe.

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Klimaziel nach Klimaziel scheint momentan zu fallen, Fluten und Feuer bestimmten die Schlagzeilen. Der Klimawandel zeigt, dass er nicht nur in fernen Ländern und der fernen Zukunft passiert. Der Arzt und Autor Dr. Eckart von Hirschhausen hat sich diesem Thema schon gewidmet, hat das Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben" geschrieben und die Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen" gegründet. Im Interview spricht er über die Rolle von Christentum und Kirche in der Klimapolitik.

Frage: Flut, Afghanistan, Brände, Klima - Bei all den Krisen, die wir im Moment erleben: Was bringt Ihnen da eigentlich noch Zuversicht und Hoffnung?

Hirschhausen: Die Jugendlichen, die mit "Fridays for Future" auf die Straße gegangen sind und dafür gesorgt haben, dass wir diese Debatte endlich aus einer bestimmten ideologischen Ecke befreit haben und dass dieses Thema in allen Gemeinden, in allen Parteien, in allen gesellschaftlichen Gruppen endlich eine Priorität bekommt. Denn die Wissenschaft ist dazu schon seit 50 Jahren eindeutig: Wir hatten den Bericht des Club of Rome und die Weltklimaberichte. Es mangelt nicht an warnenden Hinweisen. Ich durfte jetzt gerade den Tagesthemen-Kommentar zum aktuellen IPCC-Report sprechen.

Und so gesehen gibt mir das ein bisschen Hoffnung, weil wir ein sehr, sehr kleines Zeitfenster haben, uns tatsächlich radikal zu verändern, weniger die Atmosphäre zu zumüllen. Das, was im Vaterunser steht, nämlich "wie im Himmel so auf Erden" gilt auch für Treibhausgase. Alles, was wir da oben hin verklappen, fällt uns auf die Füße.

 Aufräumarbeiten nach Überschwemmungen
Bild: ©KNA/Julia Steinbrecht (Symbolbild)

Das Hochwasser hat im Ahrtal, hier in Bad Neuenahr, große Schäden angerichtet.

Frage: Es gibt aber auch schon Leute, die in die Gegenrichtung argumentieren: Wenn wir es eh nicht mehr ändern können, warum jetzt nicht einfach unser Leben leben, so gut wie wir können und dann einfach sehenden Auges auf den Abgrund zufahren. Was kann man da entgegnen?

Hirschhausen: Alle Weltreligionen, nicht nur das Christentum, haben eine Idee von der Bewahrung der Schöpfung in ihrem Kern. Wir haben ein Geschenk bekommen, das Geschenk des Lebens. Und dazu noch einen einzigartigen Wohnort: Die Erde ist der einzige Planet mit Wasser, mit Luft und erträglichen Temperaturen im ganzen Universum. Ich möchte nicht die letzte Generation sein, die hier das Licht ausmacht. Ich habe schon den Ehrgeiz, dass das, was Menschen über Hunderttausende von Jahren aufgebaut haben, auch pfleglich an die nächsten Generationen übergeben wird. 

In diesem Zusammenhang setze ich auch auf die Rolle der Kirchen, weil ein Denken über mehrere Generationen hinweg immer auch Kern des Christentums war. Es ist einer der wenigen Orte am Sonntag, wo man Menschen aus völlig unterschiedlichen Welten treffen kann, aus unterschiedlichen Generationen. Und alle erkennen erst einmal an, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind als wir. Deswegen brauchen wir die Vision von einem nicht materialistischen Weltbild, von einer Idee, dass wir nicht an unserem Ressourcenverbrauch gemessen werden oder an unserem Geld oder Wohlstand. Dazu gibt es auch die schöne biblische Geschichte vom Kamel und dem Nadelöhr.

Wir brauchen Menschen, die Lust haben auf diese Veränderungen und mit einer kindlichen Neugier an sie herangehen. Und wir brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen, weil wir die erste Generation sind, die weiß, wie bitter es jetzt bereits ist und die letzte, die etwas dran ändern kann. Ich habe noch nicht aufgegeben und finde dieses "Nach uns die Sintflut"-Denken auch abstrus. Denn wie wir jetzt im Ahrtal gesehen haben: Die Sintflut ist schon da.

Frage: Ein bisschen apokalyptische Stimmung macht sich im Moment ja trotzdem breit. Wenn wir gesagt bekommen, wir müssen es schaffen in den nächsten drei Jahren, weltweit radikal unseren CO2-Ausstoß und unsere Lebensweise zu ändern, – da muss man doch mit realistischem Blick sagen: Das kriegen wir doch eh nicht hin.

Hirschhausen: Warum nicht?

„Aber wenn der Kern des Christentums die Nächstenliebe ist, dann wünsche ich mir auch eine neue Kategorie, eine neue Dimension: die Übernächstenliebe.“

—  Zitat: Dr. Eckart von Hirschhausen

Frage: Erfahrungswerte.

Hirschhausen: Dann möchte ich wenigstens sagen können: Wir haben einen ernsthaften Versuch unternommen. Den haben wir bisher noch gar nicht gemacht. Die Politik hat das bislang auf konservativer Seite immer ein bisschen belächelt, das sei so ein grünes und linkes Öko-Spinner-Thema – und es hieß: "Ach, so schlimm wird es schon nicht". Und plötzlich, auch angesichts der Bilder aus der Flutkatastrophe, rudert auch die Union, die sich christlich nennt, zurück. Wir haben endlich die Ernsthaftigkeit der Situation vor Augen. Vorher war das für viele ein Problem von Eisbären und von Bangladesch.

Wir in den reichen Ländern haben einfach viel früher angefangen als andere Länder, Emissionen und fossilen Dreck in der Atmosphäre zu platzieren und die Menschen, die darunter schon viel länger leiden als wir selber, sind ja auch nicht hier, sondern im globalen Süden. Hunger, Dürre, Migration, Flucht und Krieg – all das denke ich mir ja nicht aus. Auch wenn ich weiterhin auf der Bühne mit meinem Publikum Spaß haben möchte, können wir doch davor nicht die Augen verschließen, dass wir in einer historischen Situation und damit auch in einer historischen Verantwortung stehen.

Frage: Was den Leuten aber erst so wirklich bewusst wird, wenn das Leid oder die Katastrophe bei ihnen selber an die Haustür klopft, so wie im Moment?

Hirschhausen: Unser Mitgefühl, unsere Empathie ist offenbar wirklich nicht so leicht universell ausdehnbar. Aber wenn der Kern des Christentums die Nächstenliebe ist, dann wünsche ich mir auch eine neue Kategorie, eine neue Dimension: die Übernächstenliebe. Wenn der Kern des Christentums ist, für deinen Nächsten zu sorgen, was ist dann mit den Nächsten, die wir gerade noch nicht sehen? Sei es, weil sie in einem anderen Land oder noch nicht geboren sind. Diesen Gedanken finde ich wichtig, dass wir uns als Teil einer Kette, als Teil von einem Netzwerk verstehen.

Und dann glaube ich tatsächlich, sind auch Veränderungen schnell möglich, weil wir soziale Veränderungen oft dadurch erreichen, dass erst einmal Einzelne vorpreschen, dann andere ins Grübeln kommen und es im Nachhinein sich auch bei vielen Themen dann so anfühlt, dass man denkt: Wie konnten wir das eigentlich so lange akzeptieren? Da sind wir gerade kurz davor, diesen Tipping Point, diesen Kipppunkt zu überschreiten, dass sich viel mehr Menschen empören und sagen: Mit welchem Recht verballern wir in 50 Jahren fossile Energie für die Mutter Erde viele, viele tausend Jahre gebraucht hat?

Von Renardo Schlegelmilch