Theologisches Gutachten zu Homosexualität sei "befremdlich"

Fall Latzel: Kirchenrechtler Heinig kritisiert Vorgehen des Gerichts

Veröffentlicht am 01.09.2021 um 12:29 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Göttingen ‐ "Was die Bibel 'wirklich' sagt, ist im säkularen Rechtsstaat nun wirklich keine sinnvolle Frage für ein Gerichtsgutachten": Hans Michael Heinig kritisiert das gerichtliche Vorgehen im Fall des wegen Volksverhetzung verurteilten Pastors Olaf Latzel.

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Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig hat das Vorgehen des Landgerichts Bremen im Berufungsprozess um den wegen Volksverhetzung verurteilten Pastor Olaf Latzel kritisiert. Der Vorgang, ein theologisches Gutachten zu beauftragen, sei "befremdlich", sagte der Professor für Öffentliches und Staatskirchenrecht in Göttingen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Im säkularen Rechtsstaat könne es für die Frage, ob der objektive Tatbestand wegen Volksverhetzung erfüllt wird, auf die theologische Bewertung von Homosexualität nicht ankommen, sagte Heinig: "Was die Bibel 'wirklich' sagt, ist im säkularen Rechtsstaat nun wirklich keine sinnvolle Frage für ein Gerichtsgutachten."

Das Landgericht hat nach eigener Aussage den Theologieprofessor Christoph Raedel von der Freien Theologischen Hochschule Gießen beauftragt zu prüfen, ob Latzels Aussagen über Homosexualität und Geschlechtergerechtigkeit von der Bibel gedeckt sind. Latzel war als Pastor der Bremer St.-Martini-Gemeinde im November des vergangenen Jahres vom Amtsgericht wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Nach Auffassung des Gerichtes hatte der Theologe in einem sogenannten Eheseminar zum Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Latzel hat Berufung eingelegt.

"Das ist juristisches Handwerk, nicht theologisches"

Es sei sicherlich "nicht ohne", einen Sachverhalt wie im Fall Latzel unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Paragrafen zur Volksverhetzung zu subsumieren, sagte Heinig. "Aber das ist juristisches Handwerk - nicht theologisches", ergänzte er. Für die Bewertung des objektiven Tatbestands sei der religiös-kulturelle Hintergrund weitgehend unerheblich. "Bei einer Volksverhetzung gegen Juden kommt es ja auch nicht ernsthaft darauf an, ob der antisemitische Täter weltanschauliche Gründe hat und sich auf die Weltanschauungsfreiheit berufen kann", sagte Heinig, der auch Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

"Religiöse oder weltanschauliche Motive schließen gerade nicht aus, dass hier der Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt wird", sagte er. Jedem und jeder sei es staatlicherseits unbenommen, praktizierte Homosexualität für Sünde zu halten. "Man darf diese Überzeugung nur nicht in einer Weise ausdrücken, dass strafrechtliche Grenzen überschritten werden", sagte der Jurist.

"Bemerkenswert" nannte Heinig auch die Auswahl des Gutachters. Der Angeklagte sei Pfarrer einer Gliedkirche der EKD. Theologische Expertise hielten die Fakultäten bereit, die von diesen Gliedkirchen getragen werden, sagte er. Die Hochschule, an der Raedel lehrt, hat eine evangelikale Prägung. "Dass es da im evangelikalen Bereich Kontroversen gibt, lässt sich auch ohne Gutachten durch eine kurze Internetrecherche feststellen", sagte Heinig. (epd)