Warum eine Ampelkoalition eine Herausforderung für die Kirchen wäre
Es sind die beiden zentralen Fragen, die Politik, Medien und weite Teile der Bevölkerung seit der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend deutschlandweit umtreiben: Wer wird der nächste Bundeskanzler? Und mit welcher Koalition wird er Deutschland regieren? Und auch wenn die Debatten dazu in den Parteien derzeit noch auf Hochtouren laufen und Koalitionsgespräche noch gar nicht begonnen haben: Inzwischen zeichnet sich – auch wegen der Chaostage bei CDU und CSU – ab, dass eine Ampelkoalition von SPD, Grünen und FDP unter Führung von Olaf Scholz die wahrscheinlichste Regierungsoption ist.
Für die beiden großen Kirchen wäre ein solches rot-grün-gelbes Bündnis durchaus eine Herausforderung. Zwar geben sich beide Kirchen nach Außen derzeit betont gelassen – man wolle zunächst die Gespräche der Parteien abwarten, heißt es. Doch bei vielen Themen, die den Kirchen wichtig sind, vertreten SPD, Grüne und FDP dezidiert andere Auffassungen als Vertreter der Amtskirchen. Der Politikwissenschaftler und katholische Publizist Andreas Püttmann betonte in diesem Zusammenhang jüngst, dass aus christlicher Sicht mit einer linksliberalen Ampelkoalition "ungemütlichere Zeiten" drohten.
Befürchtungen vor rot-grün-gelbem Gegenwind
Wenn man Vertreter beider Kirchen in diesen Tagen darauf anspricht, äußern viele hinter vorgehaltener Hand ebenfalls die Befürchtung, dass der Wind den Kirchen bei einer Ampelkoalition deutlich rauer ins Gesicht wehen könnte als unter der bewusst kirchenfreundlichen Union. Wenn sie nach ihrem desaströsen Abschneiden bei der Wahl nicht mehr an der neuen Regierung beteiligt sei, fehle das Korrektiv, das in den vergangenen Jahren allzu große Zumutungen verhindert habe, so der Tenor.
Beispielhaft zeigt sich das beim Thema Abtreibung. Hier war es nach Auffassung der katholischen Kirche in der vergangenen Legislaturperiode nur der Union zu verdanken, dass Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, der die Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch untersagt, lediglich zaghaft reformiert und nicht vollständig gestrichen wurde. Dieser Schritt könnte nun – mit einer rot-grün-gelben Mehrheit im Parlament – doch noch erfolgen, denn SPD, Grüne und FDP haben sich in ihren Wahlprogrammen allesamt für die ersatzlose Streichung des Paragrafen ausgesprochen.
Insbesondere für die katholische Kirche, die bei diesem Thema eine striktere Position als die evangelische Kirche vertritt, wäre ein solcher Schritt nur schwer zu verdauen. Allerdings fürchten Vertreter beider Kirchen, dass eine Ampelkoalition sogar noch viel weitergehende Eingriffe in die geltende Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch beschließen könnte. Denn SPD und Grüne haben sich in ihren Programmen auch dafür ausgesprochen, Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch zu löschen, der Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe stellt (nur unter bestimmten Voraussetzungen, die in Paragraf 218a aufgelistet werden, bleiben sie straffrei). Schwangerschaftskonflikte gehörten nicht ins Strafgesetzbuch, argumentieren die beiden Parteien – und stellen sich damit diametral gegen die kirchliche Position.
Kirche warnt vor einer "Normalisierung" von Abtreibungen
Bereits in der Diskussion um das Werbeverbot hatte die katholische Kirche vor einer Gefährdung der Gesamtstatik des Schwangerschaftsberatungssystems gewarnt. Es sei verantwortungslos, so der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Karl Jüsten, Ende 2017 in einem Interview, wenn "an einen der Eckpfeiler der Lösung, der für den Schutz des ungeborenen Lebens so wichtig ist, die Axt" angelegt werde. Im öffentlichen Diskurs werde zunehmend eine "Normalisierung" von Schwangerschaftsabbrüchen unterstellt. Eine Abtreibung sei jedoch weder für die betroffenen Frauen noch für Ärzte ein normaler Vorgang.
Kaum weniger konfliktfrei dürfte es zwischen den Kirchen und einer Ampelkoalition mit Blick auf die weitere Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts zugehen. Auch hier haben sich alle drei potenziellen Partner vor der Wahl für Änderungen ausgesprochen. Erkennbare Unterschiede zwischen den Parteien gibt es lediglich bei der Frage, wie diese Änderungen erreicht werden und wie umfangreich sie ausfallen sollen.
Während die SPD in ihrem Wahlprogramm ankündigt, gemeinsam mit den Kirchen einen Weg erarbeiten zu wollen, "ihr Arbeitsrecht dem allgemeinen Arbeits- und Tarifrecht sowie der Betriebsverfassung anzugleichen", deuten Grüne und FDP an, notfalls auch gegen die Kirchen entsprechende Entscheidungen zu treffen. Doch während die Grünen "nur" eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts, eine Förderung der gewerkschaftlichen Mitbestimmung sowie eine Aufhebung der Ausnahmeklauseln für die Kirchen im Betriebsverfassungsgesetz und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz fordern, sprechen sich die Liberalen für eine vollständige Abschaffung der kirchlichen Privilegien im Arbeitsrecht aus – dies immerhin mit der Einschränkung "soweit sie nicht Stellen betreffen, die eine religiöse Funktion ausüben".
Welche Zukunft hat das Staatskirchenrecht unter Rot-Grün-Gelb?
Auch was das Staatskirchenrecht und damit das Verhältnis von Kirchen und Staat angeht, könnte eine Ampelkoalition insbesondere auf Initiative der Grünen und der Liberalen Änderungen anstoßen. Während die Sozialdemokraten dieses Thema in ihrem Wahlprogramm gar nicht erwähnt haben, haben die beiden kleineren Parteien vor der Wahl sogar jeweils eigene Kapitel dazu in ihre Programme aufgenommen. Am weitgehendsten sind dabei die Forderungen der FDP, die das Staatskirchenrecht zu einem Religionsverfassungsrecht weiterentwickeln will. "Es soll einen passenden rechtlichen Status bieten für alle Religionsgemeinschaften, die das Gleichheitsgebot und die Glaubensvielfalt, die Grundrechte sowie die Selbstbestimmung ihrer Mitglieder anerkennen", so die Partei, die sich in diesem Zusammenhang zudem für eine Abschaffung von Tanzverboten und ähnlichen Einschränkungen an stillen Feiertagen wie dem Karfreitag ausspricht.
Einigermaßen entspannt verfolgen Kirchenvertreter dagegen die Forderungen der potenziellen Partner in Sachen Staatsleistungen, die schon in der vergangenen Legislaturperiode mehrfach Thema im Parlament waren. Wiederholt hatten Grüne und FDP gemeinsam mit der Linken die Forderung nach einer Ablösung der Staatsleistungen auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt – zuletzt Anfang Mai mit einem gemeinsamen Gesetzentwurf, der zwar auch bei Union und SPD vereinzelt auf Wohlwollen stieß, letztlich im Plenum aber keine Mehrheit fand.
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Das Thema, bei dem es um den seit mehr als 100 Jahren bestehenden Verfassungsauftrag zur Beendigung historisch begründeter Geldzahlungen des Staates an die Kirchen zusätzlich zur Kirchensteuer geht, könnte in der neuen Legislaturperiode sehr bald wieder aktuell werden. Denn Grüne und FDP haben die Forderung nach einer vollständigen Ablösung der Staatsleistungen auch in ihre Wahlprogramme übernommen. Die Kirchen sind bei diesem Thema deshalb einigermaßen entspannt, weil sie zum einen bereits grundsätzliche Gesprächsbereitschaft über die Zukunft der Staatsleistungen signalisiert haben und sie zum anderen sehr genau wissen, dass der Weg bis zur Ablösung noch sehr weit seien dürfte. Schließlich kann der Bundestag die Beendigung der Zahlungen nicht allein beschließen. Im Gegenteil: Das Parlament kann nach allgemeiner Auffassung nur ein sogenanntes Grundsätzegesetz erlassen, um damit den Bundesländern als eigentlichen Verhandlungspartnern der Kirchen einen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen vorzugeben. Erst danach können die einzelnen Länder in konkrete Verhandlungen mit den Kirchen treten.
Abwarten, was die Sondierungsgespräche ergeben
Am heikelsten dürfte dabei die Berechnung der konkreten Summe seien, die der Staat den Kirchen als Ablöseleistung zahlen muss. Die Vorlage von FDP, Grüne und Linke im Mai orientierte sich am Äquivalenzprinzip und nahm als Berechnungsschlüssel den 18,6-fachen Wert der jährlich zu leistenden Zahlungen, wobei das Jahr 2020 zugrunde gelegt werden sollte. Das ergäbe insgesamt rund zehn Milliarden Euro. Rechtsexperten bei der Bundestagsanhörung plädierten hingegen eher für einen Korridor, um regionalen Unterschieden gerecht zu werden. Allerdings sind auch andere Formen der Ablösung denkbar.
Doch so weit ist es noch lange nicht. Vorerst bleibt auch den Kirchen nichts anderes übrig als abzuwarten, für welche Koalition sich die Parteien im Bundestag entscheiden werden. Die am Dienstag begonnenen Sondierungsgespräche zwischen Grünen und FDP dürften auch in der katholischen und der evangelischen Kirche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt werden. Immerhin haben es die beiden kleinen Parteien in der Hand, wem von den ehemals "Großen" – sprich SPD und Union – sie zuerst Gespräche über eine künftige Zusammenarbeit im Bund anbieten.